Die Choosing-Wisely-Initiative liefert insbesondere Allgemeinärzt:innen fach- und länderspezifische Empfehlungen, um unnötige diagnostische und therapeutische Maßnahmen, die Patient:innen nichts nützen oder ihnen sogar schaden, zu reduzieren. Inzwischen ist Choosing Wisely auch bei uns etabliert. Eine Umfrage unter Schweizer Hausärzt:innen zeigt nun aber: Viele davon stimmen den Empfehlungen zwar zu, setzen sie aber häufig nicht um. Dies dürfte in Deutschland ganz genauso sein. Doch warum ist das so? Darüber liefern nun die Daten aus der Schweiz auch für uns neue Erkenntnisse.

Empfehlungen werden oft nicht umgesetzt

Für die Schweizer Allgemeinmediziner:innen existiert seit 2016 eine Top-5-Liste, die 2021 um 5 weitere Punkte ergänzt wurde. Ein Team von der Fachhochschule Westschweiz ermittelte nun, ob die Ärzt:innen die Listen kennen, ihnen zustimmen, sie umsetzen und welche Faktoren deren Umsetzung verhindern. Von den befragten Hausärzt:innen kannten 83 % die Top 5 von 2016, jedoch nur 56 % die erweiterte Top-10-Liste von 2021. Das ließe sich noch verschmerzen. Aber: Während 70 % den Empfehlungen voll zustimmten, berichteten nur 32 %, sich in der Praxis immer daran zu halten. Die Mehrheit hält die Empfehlungen also für richtig, aber nur knapp ein Drittel setzt diese auch um. Der Anteil der Befragten, der immer oder meistens einer einzelnen Empfehlung folgte, war am höchsten für die Empfehlung, die Patient:innen nicht unbegründet präoperativ zum Röntgen zu schicken. Am wenigsten wurde die Empfehlung umgesetzt, keine gewohnheitsmäßige Bestimmung von Calcidiol bei Menschen ohne Risikofaktoren für einen Vitamin-D-Mangel durchzuführen.

Doppelter Druck auf Hausärzt:innen

Doch warum befolgen so wenige Ärzt:innen alle Empfehlungen? Am häufigsten wurde dabei der Druck vonseiten der Patient:innen (97 %), Angst vor Rechtsstreitigkeiten (62 %), Zeitmangel (58 %) und die Sorge genannt, Patient:innen zu verlieren (57 %). Dem Druck vonseiten der Patient:innen sind die Hausärzt:innen hierzulande jedoch gleich zweifach ausgesetzt: in der eigenen Praxis, wenn etwa eine Überweisung für ein Röntgen des Thorax bei der präoperativen Abklärung ohne Verdacht auf Erkrankungen in diesem Bereich massiv eingefordert wird. Oder die Patient:innen suchen unter Umgehung der Hausärzt:innen gleich direkt eine Spezialist:in auf. Dann erfolgen unsinnige Röntgenaufnahmen erst einmal ohne Wissen und ohne Überweisung der Hausärzt:in.

Viele Leistungen sind nicht nur medizinisch fragwürdig, sondern verschlingen auch eine Unmenge an Ressourcen und Geld. Dieses wäre weit besser angelegt, wenn man den Allgemeinärzt:innen die Zeit besser honorieren würde, die sie zum Teil in langen Gesprächen verbringen müssen, damit ihre Patient:innen eine kluge Entscheidung (Choosing Wisely) treffen können. Dies endlich zu erreichen, wäre wirklich klug und weise.


... meint Ihr

Raimund Schmid


Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (6) Seite 31