Wie halten Sie es mit der Digitalisierung? Das wollte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) von den niedergelassenen Ärzten wissen. Wie weit sind die Praxen schon, welche Hoffnungen und Befürchtungen verbinden die Ärzte mit dieser offenbar unvermeidlichen Revolution, die über kurz oder lang in viele Arbeitsabläufe eingreifen und diese verändern wird. Bei den Befragungsergebnissen zeigen sich Licht und Schatten.

Die Digitalisierung ist in den Praxen der niedergelassenen Ärzte angekommen. Diesen Schluss zieht jedenfalls Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, aus den Ergebnissen des aktuellen Praxisbarometers zum Thema Digitalisierung. Eine ähnliche Umfrage war bereits 2018 durchgeführt worden, und im Vergleich zeigt sich, dass die Ärzte dem Thema inzwischen etwas offener gegenüberstehen – wenn auch gewisse Zweifel bleiben, ob die Digitalisierung tatsächlich bestimmte Abläufe vereinfacht und beschleunigt.

Praxen arbeiten zunehmend digital

Generell arbeiten Arztpraxen dem Praxisbarometer zufolge zunehmend digital. So ist der Anteil der Praxen, die Patientendokumentation, Praxismanagement und Qualitätsmanagement nahezu komplett digitalisiert haben, gestiegen. Dementsprechend hat sich der Anteil der Praxen, die einen eher hohen Nutzen in digitalen Anwendungen sehen, im Vergleich zum Vorjahr von 13 auf 33 % deutlich erhöht. Immer mehr Ärzte und Psychotherapeuten seien bereit, einheitliche Standards für Anamnese, Befunderhebung und Therapie zu nutzen, um so den Austausch von Daten zu beschleunigen und zu vereinfachen. Insgesamt stieg deren Anteil innerhalb eines Jahres von 37 auf 46 %.

Interkollegiale Kommunikation hängt noch stark am Papier

Etwas komplizierter sieht es bei der Kommunikation sowohl innerhalb des ambulanten Bereichs als auch zwischen den Sektoren aus, beispielsweise zwischen Praxen und Krankenhäusern. Denn die erfolgt weiterhin zu 85 % in Papierform – ein nur geringer Fortschritt im Vergleich zum Vorjahr mit 93 %. Dabei erachten viele der Befragten gerade den digitalen Austausch mit niedergelassenen Kollegen als besonders vorteilhaft. Insbesondere der elektronische Arztbrief wird von knapp 60 % der Praxen als nutzbringendste Anwendung der externen Praxiskommunikation eingeschätzt. Dennoch wird er kaum genutzt. Warum? Weil die praktische Umsetzung zu kompliziert ist, so erklärt Gassen. Für den Versand ist die sogenannte qualifizierte elektronische Signatur des Arztes erforderlich. Diese für jedes Dokument einzeln zu generieren sei jedoch umständlich und zeitaufwendig. Außerdem bedürfe es hierfür bestimmter Technik, welche die Praxen erst einmal anschaffen müssen. Das gleiche Problem habe man bei der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU). Deshalb fordert die KBV, die qualifizierte elektronische Signatur nur dort als verbindlich vorzusehen, wo es unbedingt erforderlich ist. Darüber hinaus müsse das Prozedere als solches vereinfacht werden, etwa indem sich der Arzt einmal zu Beginn eines Arbeitstages beim Signaturerstellungssystem anmeldet und dann alle an diesem Tag anfallenden Signaturvorgänge durch einen Klick im Praxisverwaltungssystem auslösen kann.

Keine halben Sachen

Das Wichtigste bei der Digitalisierung sei aber: keine halben Sachen! Im Moment gebe es leider für viele Prozesse nur Hy-
bridlösungen – halb digital und halb analog. Ein Beispiel ist die eAU: Zwar soll die Praxis die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung elektronisch an die Krankenkasse übertragen. Gleichzeitig soll der Patient aber nach wie vor einen Nachweis auf Papier erhalten. Ähnlich kurios sieht es beim elektronischen Rezept aus. Nach jetzigem Planungsstand könne es passieren, dass der Arzt zwar das Rezept elektronisch an die Apotheke übermittelt. Wenn der Patient aber kein Smartphone hat, um den zu dem Rezept gehörenden QR-Code in der Apotheke auslesen zu lassen, oder wenn er die elektronische Übertragung schlichtweg nicht wünscht, dann muss die Praxis den QR-Code ausdrucken und dem Patienten auf Papier mitgeben. Dann könne aber von einer echten Digitalisierung nicht mehr die Rede sein, mahnt der KBV-Vorsitzende.

Bleibt das Arzt-Patienten-Verhältnis auf der Strecke?

Sorgen machen sich die befragten Ärzte, wie sich die Digitalisierung auf das Arzt-Patienten-Verhältnis auswirken wird. Aus anderen Befragungen wisse man, dass es auch eine Befürchtung vieler Patienten ist, dass der menschliche Kontakt auf der Strecke bleiben könnte, wenn Dr. Algorithmus zu sehr in die Behandlung eingreift. Nicht umsonst gebe es ja den Begriff der "sprechenden Medizin". Neben der körperlichen Untersuchung seien Zuwendung und das persönliche Gespräch wesentliche Bestandteile ärztlichen Handelns. Dass diese durch die Digitalisierung quasi wegrationalisiert werden könnten, treibe viele Kolleginnen und Kollegen um. Wichtig sei deshalb, dass die durch die Digitalisierung von Prozessen eingesparte Zeit den Patienten zugutekomme, betonte Gassen.

Ärzte fürchten Sicherheitslücken

Skeptisch zeigen sich die Ärzte beim Problem der Datensicherheit. Rund 60 % der Befragten sehen mögliche Sicherheitslücken in der EDV als starkes Hemmnis für die weitere Digitalisierung ihrer Praxen. Hier wächst das Misstrauen offenbar noch, denn im Vorjahr betrachteten "nur" 54 % der Befragten die Entwicklung kritisch. Angesichts von Medienberichten aus den letzten Wochen über den mangelhaften Schutz von Patientendaten in den Praxen dürfte das Misstrauen und die Verunsicherung eher noch wachsen. So forderte der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) ein sofortiges Handeln des zuständigen Bundesgesundheitsministers Jens Spahn. Dieser könne sich jetzt nicht hinstellen und mit dem Finger auf die Ärzte und Psychotherapeuten zeigen, die ja selbst für die sichere Installation von Hard- und Software in ihren Praxen zuständig seien. Es sei verantwortungslos, die Praxen jetzt mit dem Problem im Regen stehen zu lassen. Vielmehr sei es Aufgabe der Politik und der vom Bundesgesundheitsministerium als Mehrheitseigner beaufsichtigten Gematik GmbH, den niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten eine klare Richtschnur und eindeutige Vorgaben für die sichere Anbindung an die Telematikinfrastruktur (TI) zu geben.

Dass der Zug zur Digitalisierung noch aufzuhalten ist, glaubt man bei der KBV jedenfalls nicht mehr. Stattdessen hofft man, dass diese "Revolution" auch positive Energie und Schaffenskraft freisetzt. Und deshalb wolle man sich weiter mit produktivem und lösungsorientiertem Elan daranmachen, die Digitalisierung aktiv mitzugestalten und voranzutreiben.



Autor:
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (1) Seite 27-28