Die Digitalisierung ist eines der brisantesten Themen unserer Zeit – auch und besonders für Ärzte. Die Vertrauensfrage in der digitalen Medizin diskutierten Experten bei der Veranstaltung "Bundesärztekammer (BÄK) im Dialog". Es ging um die wichtigsten Brennpunkte rund um den rasanten digitalen Wandel, der auch in der Medizin immer mehr das Tempo bestimmt und vor allem eines ist: unübersichtlich.

"Als Hausarzt kann ich Ihnen sagen, dass der Großteil der Patienten nicht zu den ,digital Natives´ zählt", betonte Bundesärztekammer-Präsident Dr. med. Klaus Reinhardt. Dennoch müssten Deutschlands Ärzte heute das Vertrauen dafür schaffen, dass sich "der Ausbau der digitalen Strukturen an den ureigensten Bedürfnissen ärztlichen Handelns und der Patientenversorgung orientiert und nicht an Marktinteressen von Technologiekonzernen und sogenannten digitalen Plattformen."

Digitalisierung berührt das ärztliche Berufsbild

In mehreren Werkstattgesprächen hatte die BÄK zuvor die Potenziale und Perspektiven der Digitalisierung analysiert und daraus Thesen formuliert, um sie an diesem Tag mit hochkarätigen Referenten, darunter auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, in den Ring zu werfen. Gefordert sei eine Gesamtstrategie für den Ausbau der Digitalisierung und ein Ordnungsrahmen, der politische, rechtliche und ethische Aspekte umfasse, so Reinhardt. Dies sei Aufgabe der Politik.

Die Ärzte wollten den digitalen Wandel nicht nur dulden, sondern "aktiv mitgestalten" – auch wenn dem vielleicht nicht immer so war, räumte er ein. Die Digitalisierung berühre viele Kernbereiche des ärztlichen Berufsbildes und habe das Potenzial, Prozesse und grundsätzliche Prinzipien der gesundheitlichen Versorgung zu verändern und infrage zu stellen. "Diese Veränderungen werden aber nur zu Verbesserungen führen, wenn Ärzte und Patienten Vertrauen in diese neuen Strukturen und Abläufe bekommen."

Gesetz zur digitalen Versorgung kommt

Der berufspolitische Wendepunkt bei der Digitalisierung war der Deutsche Ärztetag 2017 in Freiburg, weil sich die Ärzteschaft dort klar positionierte: Die digitale Medizin ist die Medizin von morgen und bietet mehr Chancen als Risiken. "Da der digitale Wandel kommt – ob mit oder ohne uns –, ist es unsere Aufgabe, ihn mitzugestalten: im Dienst der Menschlichkeit, eingebettet in Verantwortung und Vertrauen", erklärte PD Dr. med. Peter Bobbert, Vorsitzender des Ausschusses "Digitalisierung der Gesundheitsversorgung" der BÄK.

Die Künstliche Intelligenz (KI) unterstütze bereits in vielen Bereichen die Diagnosefindung und die Therapie, erläuterte er. "Schon heute sei schwer zu differenzieren: Wo hört die eigentliche Unterstützung der KI auf und wo beginnt bereits die Substitution der ärztlichen Tätigkeit?" Eine der wesentlichen Kernfragen sei deshalb: Was darf die KI, was nicht? Bei der Digitalisierung würde Europa zwischen zwei Systemen stehen: den USA mit ihren privatwirtschaftlich geführten Unternehmen und China mit seinen Staatskonzernen. "Das ist eine große Chance. Wir müssen jetzt klare ethische und moralische Rahmenbedingungen setzen, aus denen sich eine digitale Medizin von morgen in Europa entwickeln kann." Die Schnelligkeit des digitalen Wandels führe die Ärzteschaft allerdings auch in ein Dilemma, da sie als erste Handlungsprämisse mit ihrem Handeln ja nicht schaden dürfe (primum non nocere). Sollen digitale Anwendungen deshalb erst dann ins Behandlungsangebot implementiert werden, wenn sie sicher sind beziehungsweise ihr Nutzen bewiesen ist?

Spahn mahnt zur Sacharbeit

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn schlug vor, nach der zurückliegenden, nicht selten emotional geführten Diskussion rund um die mehrheitliche Übernahme der Gematik durch das Bundesgesundheitsministerium – das BMG hält heute 51 % der Gesellschafteranteile – sollten alle Beteiligten jetzt zum nächsten Schritt kommen und bei den Beschlüssen der Gematik "konstruktiv in der Sacharbeit sein".

Mit der Neuaufstellung der Organisation sei es gelungen, "ein Stück neuen Spirit in die Institution" zu bekommen. Deren frühere Struktur hätte in den letzten 15 Jahren schnelle Entscheidungen kaum zugelassen. Den Verantwortlichen sollte man jetzt ein Stück mehr an Vertrauen entgegenbringen, appellierte er an die Ärzte. Auch das Thema Datensicherheit sei Vertrauenssache und die Rechtsgrundlage hier "ziemlich eindeutig", so der Minister. Dass Daten allerdings "auf einem Server so ungeschützt liegen, dass sogar ich sie hätte hacken können", dürfe einfach nicht mehr passieren.

Sensibler Umgang mit Patientendaten

Spahn sprach bei der Digitalisierung von einer gemeinsamen Aufgabe, an der sich u. a. Arztpraxen, Krankenhäuser, Apotheken und Physiotherapiepraxen beteiligen müssten. "Die Zeiten, wo vielleicht der Cousin nebenbei die IT-Wartung in der Praxis gemacht hat, sind vorbei." Beim Datenschutz und der Frage "Wer hat Zugriff auf die Daten?" strebt Jens Spahn einen europäischen Code of Conduct an, "einen einheitlichen Rahmen für Gesundheitsdaten auf europäischer Ebene". Dieses Thema soll bei der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020 erörtert werden, um so "Sicherheit und Vertrauen" für diejenigen zu schaffen, "die mit Daten umgehen müssen" wie Deutschlands Ärzte innerhalb der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Spahn steht zur elektronischen Patientenakte

Das Vertrauen in die digitale Medizin wachse auch, wenn sich der Umgang mit der Digitalisierung im Alltag und die Anwendung der Telematik in der Praxis verbessere. Zur KI und deren hoher Treffsicherheit etwa bei der Diagnose, was durchaus irritierend wirken kann, sagte er: "10.000 Studien innerhalb einer Sekunde abgleichen – das kann kein Mensch." Es sei deshalb "Transparenz über die Parameter dahinter" notwendig.

Bei der elektronischen Patientenakte müsse man zunächst praktische Erfahrungen sammeln, um sie weiterentwickeln zu können. Die Akte werde sicher nicht von Anfang an perfekt sein. Dass die ePA aber "einen positiven Unterschied machen wird", davon ist Spahn wie auch bei den medizinischen Apps überzeugt, für die es zum Beispiel in der psychotherapeutischen Versorgung gute Belege gebe. Den anwesenden Ärzten gab er mit auf den Weg, Digitalisierung "nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung" zu sehen und, wo es möglich sei, selbst mitzugestalten.



Autorin:
Angela Monecke

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (2) Seite 30-33