Die Zahl der Hausärzte in Deutschland sinkt in den nächsten Jahren weiter deutlich ab. Ein Hausarztmangel droht, die ambulante ärztliche Versorgung gerade in ländlichen Regionen Deutschlands ist vielerorts gefährdet, trotz so vieler Ärztinnen und Ärzte wie niemals zuvor. Wie ist dieses Paradoxon zu erklären? Und können zentral in einer Region gelegene hausärztliche Großpraxen ein Weg sein, das Problem zu lösen? An einem Beispiel erläuterte Dr. Andreas Ullmann auf der practica 2015 die Vorteile einer Großpraxis für Ärzte und Patienten. Das Interesse der Seminarteilnehmer an diesem Thema war groß.

In Deutschland haben wir sicherlich ein Verteilungsproblem bei den Ärzten mit einem deutlichen Zentrum-Peripherie-Gefälle, es gibt aber noch weitere Gründe für den zunehmenden Ärztemangel:

  • Die Entwicklung des medizinischen Fortschritts.
  • Der demografische Wandel der Bevölkerung.
  • Die Feminisierung des ärztlichen Berufsstandes.
  • Die Altersstruktur der Ärzte.
  • Die Emigration der Ärzte ins Ausland.
  • Die Unattraktivität der Freiberuflichkeit.

Dies alles stellt eine Belastung für die ambulante vertragsärztliche Versorgung dar. Nach Ansicht von Dr. Ullmann schafft es gerade die tradierte Form der Einzelpraxis zunehmend nicht mehr, den Bedürfnissen der nachwachsenden, aber auch der älteren, ausscheidenden Ärztegeneration gerecht zu werden. Es werden grundlegende Veränderungen in der vertragsärztlichen Versorgungsstruktur benötigt, um den ambulanten Sektor wieder für junge Mediziner attraktiver zu gestalten und um die ambulante ärztliche Versorgung gerade in den ländlichen Regionen Deutschlands langfristig sicherzustellen. Die Einzelpraxis ist am Ende! Ein Lösungsansatz ist die "Zentrale Großpraxis" – freiberuflich geprägt, meist auf der Basis größerer Gemeinschaftspraxen mit Angestellten und einer organisatorischen Leitung und Zentrierung an einem Standort. Als Mindestgröße für eine gut funktionierende Großpraxis gab Dr. Ullmann die Zahl von 6 Ärzten an.

Vorteile einer Großpraxis

Um eine zentrale Großpraxis dauerhaft erfolgreich führen zu können, muss zum einen auf die veränderten Anforderungen der nachwachsenden Ärztegeneration Rücksicht genommen werden, zum anderen muss das Modell auch für Praxisinhaber und fusionsbereite Kollegen einen klaren Vorteil bieten. Im Folgenden ist eine ganze Reihe von Vorteilen aufgeführt, die eine zentrale Großpraxis bietet:

  • In Kooperationen ergeben sich viele Synergieeffekte.
  • Flexible Arbeitszeitmodelle mit attraktiver Work-Life-Balance. Teilzeitarbeitsmöglichkeiten, Familienfreundlichkeit werden möglich.
  • Flexibilität für den vorrangig weiblichen Nachwuchs ist garantiert.
  • Anstellungsmöglichkeit ohne unternehmerisches Risiko ist gegeben.
  • Flexibilität bei Vertretungswünschen, Urlaub und Krankheit ist garantiert.
  • Neigungsorientiertes Arbeiten wird ermöglicht.
  • Teamstrukturen, innerärztlicher Austausch und höhere Spezialisierung sind möglich.
  • Organisation wird durch zentrale Verwaltungsstruktur optimiert.
  • Bring- und Holdienste zum Arzt können eingerichtet werden.
  • Praxisabgaben werden erleichtert, entsprechende Praxen können eingebunden werden.
  • Marktbeherrschende Stellung kann angestrebt werden.
  • Betriebswirtschaftliche Aspekte mit deutlichen Kostenspareffekten bestehen.

Das hört sich gut an, aber wie sieht es in der Realität aus? Dazu stellte Dr. Ullmann in seinem Seminar kurz das "Zentrum für Allgemeinmedizin Aichach" vor, an dem er als Allgemeinarzt arbeitet und dessen Geschäftsführer er ist.

Beispielhaft: das Zentrum für Allgemeinmedizin Aichach

Das Zentrum für Allgemeinmedizin ist im Jahre 2012 in neue, zentrale Praxisräume mit 700 m2 Praxisfläche gezogen und hat mit weiteren medizinischen Leistungsträgern und einer Apotheke ein großes Gesundheitshaus eröffnet. Das zentrale Ärztehaus mit hohem technischen Standard hat eine optimale Verkehrsanbindung und ausreichend Parkplätze.

In dieser Art, mit momentan 12 Kassensitzen, ist das Zentrum für Allgemeinmedizin eine der größten Allgemeinarztpraxen in Deutschland. Momentan arbeiten 12 Allgemeinärzte (8 Gesellschafter und 4 angestellte Ärzte) dort, 2016 kommen 2 neue dazu. Neben einem Geschäftsführer und einer Kauffrau gibt es über 20 Medizinische Fachangestellte.

Zusätzlich zur Verbesserung der regionalen ambulanten allgemeinärztlichen Versorgung gelang auch eine beachtliche Erweiterung der fachärztlichen Versorgung. 5 Internisten aus den Bereichen der Kardiologie, Diabetologie, Nephrologie, Hämatologie und Onkologie führen Zweigstellen in den Räumen des Zentrums.

Gerade für den zunehmend weiblichen Nachwuchs finden sich attraktive Arbeitsbedingungen und ideale individuelle Arbeitszeiten. Durch die organisatorische und kaufmännische Zentrierung wird für die Ärzte ein "Arbeiten ohne Ablenkung" bei zuverlässigem Einkommen ermöglicht.

Was haben die Patienten davon?

Aber auch die Patienten profitieren davon, denn die Dienstleistungen konnten erheblich gesteigert werden. So gibt es in der Großpraxis:

  • Erweiterte Öffnungszeiten abends bis 20.00 Uhr
  • Durchgehende Sprechstunden von 07.30 Uhr bis 20.00 Uhr
  • Jeden Samstag geöffnet
  • Keine Schließung wegen Urlaubs
  • Täglich ca. 400 Patienten

Ein weiterer Vorteil für die Patienten ist, dass sie hier viele ärztliche Kompetenzen unter einem Dach vorfinden, wie z. B.:

  • Akupunktur
  • Homöopathie
  • Notfallmedizin
  • Naturheilverfahren
  • Chirotherapie
  • Flugmedizin
  • Psychotherapie
  • Psychoonkologie
  • Palliativmedizin
  • Substitutionsmedizin
  • Gelbfieberimpfstelle
  • Sportmedizin

Der voll besetze Workshop auf der practica ermöglichte eine rege Diskussion über die zentrale Großpraxis. Dr. Ullmann erläuterte, mit welchen grundlegenden Fragen man sich vorab schon einmal beschäftigen sollte:

  • Wo will ich hin? Welche Ängste habe ich?
  • Welche Probleme sehe ich bei Veränderungen?
  • Was hält mich davon ab zu fusionieren?
  • Groß oder klein? Was ist richtig für mich?
  • Einzelkämpfer oder Teamplayer?
  • Gesellschafter oder Angestellter?
  • Fabrikcharakter vs. Tante Emma-Laden?
  • Verschiedene Arzttypen – geht das überhaupt?
  • Eigentum oder Miete?
  • Meine Patienten oder unsere Patienten?
  • Freie Arztwahl oder Steuerung?
  • Patientenreaktionen?
  • Wer bekommt welche Leistung?

Die Gretchenfrage: Wie wird der Gewinn verteilt?

Ein wichtiger Hinderungsgrund für Fusionen, aber auch einer der häufigsten Gründe für das Scheitern von Großpraxen ist das Problem der praxisinternen Gewinnverteilung, das sich durch die individuellen Unterschiede der beteiligten Ärzte ergibt, seien es das Ungleichgewicht der eingebrachten Eigentumsanteile, der eingebrachten Patientenzahlen und des eingebrachten Privatpatientenanteils, die individuellen Arbeitsweisen, die individuellen Arbeitszeiten (auch Teilzeit), die unterschiedlichen Zulassungen und Qualitätsvoraussetzungen für bestimmte Leistungen, oder auch die Fehltage (z. B. Urlaub) der beteiligten Ärzte.

Erschwert wird die geeignete Leistungsabbildung dieser individuellen Unterschiede noch dadurch, dass in Deutschland ein großer Teil der Patientenvergütungen, ca. 60 %, im Quartal als einmalige Pauschalvergütung der ärztlichen Leistung ( z. B. Versichertenpauschale oder Chronikerkomplexe etc.), unabhängig von der zu diesem Zeitpunkt erbrachten Leistung, honoriert wird.

Hierfür gilt es, Lösungen anzubieten: Was erwarten betroffene Ärzte von einer internen Gewinnverteilung? Was muss berücksichtigt werden? Welche Probleme gibt es bei einem internen Vergütungssystem? Was wird als wichtig erachtet? Zunächst ergeben sich daraus 3 harte Kriterien, die erfüllt sein müssen:

1. Transparenz

Ein internes Vergütungssystem muss klar und für jeden verständlich sein. Alle Abrechnungsschritte sowie der Geldfluss müssen nachvollziehbar dargestellt sein.

2. Leistungsbezogenheit

Das System muss die erbrachten Leistungen der Einzelnen korrekt abbilden. Die Leistungsbezogenheit wird an der Umsatzstärke der Betroffenen festgemacht.

3. Flexibilität des Systems

Das System darf nicht starr sein, sondern muss auf Veränderungen reagieren können, seien es externe Veränderungen von Vergütungsstrukturen oder auch interne Veränderungen der Arbeitsweisen oder Schwerpunktverlagerungen .

Einfaches und transparentes Vergütungssystem

Anhand dieser 3 Kriterien hat Dr. Ullmann unter Inkaufnahme der Aufgabe der Einfachheit eines Abrechnungssystems ein Präferenzvergütungsmodell entwickelt, das eine weitestgehende Abdeckung aller Bedürfnisse nach einem internen Vergütungssystem schafft. Folgende Faktoren sind dabei beinhaltet:

  • Berücksichtigung des eingesetzten Kapitals (Verzinsung)
  • Berücksichtigung der Eigentumsanteile bzw. Gesellschafteranteile
  • Berücksichtigung zusätzlicher individueller Sonderleistungen
  • Grundlegende Unterscheidung und Zuordnung von leistungsunabhängigen und leistungsabhängigen Leistungen
  • Berücksichtigung von Fehltagen jeglicher Art und von zusätzlichen Arbeitstagen
  • Berücksichtigung von Zusatzarbeiten wie Geschäftsführung, Computerpflege, Verwaltung, etc.
  • Umfangreiche Berücksichtigung von individuellen Unterschieden, wie z. B. Arbeitsweise, Umsatzleistung, Kostenbewusstsein, Wirtschaftlichkeit

Das Präferenzvergütungsmodell bietet alle Voraussetzungen, die finanzielle Verteilung zur Zufriedenheit aller zu regeln, Planungssicherheit zu geben und das Zusammenarbeiten in einer BAG zu stabilisieren. Im Zentrum für Allgemeinmedizin in Aichach wird dieses Modell bereits seit einigen Jahren erfolgreich umgesetzt, wie Dr. Ullmann bei seinem Seminar überzeugend darstellen konnte.



Autor:

Dr. A. Ullmann

Der Referent ist Facharzt für Allgemeinmedizin und Executive MBA der Hochschule St. Gallen. Bereits seine Masterarbeit befasste sich mit dem Thema der Zentralen Großpraxis. Er ist Mitbegründer und Geschäftsführer des „Zentrum für Allgemeinmedizin Aichach“, eine der größten freiberuflichen allgemeinärztlichen Praxen Deutschlands. Seine Praxis ist Lehrpraxis der LMU München.
Dr. Ullmann ist seit Jahren Verfechter der Zentralen Großpraxis als Geschäftsmodell der Zukunft. Er hat mehrfach Praxisfusionen durchgeführt und gilt als Experte der internen Vergütungsregelung in Großpraxen. Über den Springer Verlag erscheint 2016 hierzu ein Buch.

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (5) Seite 26-29