Neuroleptika werden vor allem in Pflegeheimen bei Demenzpatienten gerne eingesetzt, um Aggressivität, Unruhe und Schlafstörungen entgegenzuwirken. Das Problem: Diese Medikamente sind in dieser Indikation häufig gar nicht zugelassen. Zudem erhöhen sie die Sterblichkeit und fördern die Sturzneigung. Alles gute Gründe, einen Absetzversuch zu wagen. Dabei ist auch eine Dosisreduktion als Erfolg zu werten.

Kasuistik
Ein 77-jähriger Patient mit vorbekannten kognitiven Einschränkungen, vorwiegend vaskulärer Genese, sowie zeitweiser Unruhe mit nächtlichem Aufstehen war mit einem sogenannten atypischen Neuroleptikum (Quetiapin 25 mg 0,5 – 0 – 2 Tabletten) vorbehandelt. Es kam zu einem Sturz mit einer proximalen Humerusfraktur und einer periprothetischen Fraktur bei liegender Hüftendoprothese rechts.

Nach stationärer Behandlung in der Chirurgie wurde der Patient in die Klinik für Geriatrie verlegt. Dort wurde eine schrittweise Reduktion des Quetiapins auf 0 – 0 – 1 – 1 Tabletten, dann auf 0 – 0 – 0,5 – 1 vorgenommen.

Die Unruhe schien sich darunter erneut zu verstärken, so dass wieder auf 0 –0 – 1 – 1 erhöht wurde. Nach etwa einer Woche unternahm man einen weiteren Versuch der Reduktion auf Quetiapin 25 mg 0 – 0 – 0,5 – 1, diesmal ohne Verschlechterung. In der Folge wurde das Quetiapin dann schrittweise um eine halbe Tablette weiter reduziert, so dass der Patient nach fünf Wochen ohne das Präparat entlassen werden konnte.

Der Fall zeigt, dass kognitive Einschränkungen mit Desorientiertheit und Gangstörungen Stürze auslösen können, wobei Neuroleptika dieses Risiko noch verstärken. Das sogenannte "herausfordernde" Verhalten war mit und ohne Quetiapin in ähnlicher Weise vorhanden, die Unruhezustände nahmen ohne das Neuroleptikum nicht zu. Die Situation hatte sich nach Absetzen des Quetiapins daher nicht verschlechtert, die Nebenwirkungen, wie ein höheres Sturzrisiko, konnten aber möglicherweise reduziert werden.

Die Behandlung mit Neuroleptika (Antipsychotika) beim alten Menschen ist besonders für Demenzpatienten bzw. Bewohner von Pflegeheimen relevant. Eine aktuelle amerikanische Arbeit zeigt, dass etwa ein Drittel der alten Demenzpatienten im Pflegeheim Neuroleptika erhält, in einzelnen Pflegeeinrichtungen sind es sogar bis zu 50 % [6]. Diese Häufigkeit scheint weltweit ähnlich hoch zu sein. Auch in Deutschland wird sich der niedergelassene Arzt deshalb regelmäßig mit der Verordnung von Neuroleptika konfrontiert sehen – vor allem, wenn er Pflegeheime betreut.

Neuroleptika werden von der Bevölkerung als problematisch angesehen (z. B. "Ruhe auf Rezept" – Die Zeit online, 2009). So muss sich der Arzt mitunter kritischen Fragen seitens der Angehörigen stellen. Ein Hausarzt, der gleichzeitig ein Heim betreut, steckt jedoch oft in einem Interessenkonflikt, was die Vorschläge der Altenpflege betrifft, die bei unruhigen Heimbewohnern auch die Verordnung von Neuroleptika "triggern" können.

Indikationen für Neuroleptika im Alter

Der Anlass zur Verordnung der Neuroleptika kann in den Symptomen der Demenz selbst liegen – etwa im sogenannten "herausfordernden" Verhalten wie Aggressivität oder Umherwandern –, aber auch in Schlafstörungen, nächtlicher Unruhe oder einer Tag-Nacht-Umkehr (Tabelle 1). Diese Symptome sind für pflegende Angehörige und Pflegekräfte eine große Belastung. Gerade für diese beiden Indikationen sind Neuroleptika nicht unumstritten und ein Absetzen oder eine Dosisreduktion wird empfohlen. Im Gegensatz dazu ist die Gabe von Neuroleptika bei psychiatrischen Erkrankungen wie Psychosen, bipolaren Störungen oder bei Symptomen wie Halluzinationen relativ klar indiziert.

Trotz der geschilderten Häufigkeit der Verordnung ist die Zulassung für demenzbedingte Verhaltensstörungen kaum gegeben. So ist z. B. Promethazin laut Fachinformation für Verhaltensstörungen bei Demenz nicht zugelassen. Lediglich bei Aggression von Patienten mit mäßiger bis schwerer Alzheimer-Demenz kann Risperidon eingesetzt werden.

Einmal Neuroleptika, immer Neuroleptika?

Beim Einzug eines dementen Menschen in eine Pflegeeinrichtung kann der Ortswechsel bzw. die Fremdheit der Umgebung zu Verhaltensauffälligkeiten führen. Dieses Gefühl der Fremdheit in der neuen Umgebung kann im Laufe der Zeit wieder verschwinden – und damit auch die Indikation für Neuroleptika. Für den Arzt ist es daher gerechtfertigt, die Indikation für diese Medikamente regelmäßig zu prüfen.

Legt die Pflegeeinrichtung darauf Wert, dass sich der Bewohner an den Arbeitsablauf der Pflegenden anpasst, dann ist ein Herumwandern des Patienten am Abend oder in der Nacht störend. Passt sich die Institution hingegen an die Wünsche des Bewohners an, dann toleriert das Personal eher herausfordernde Verhaltensweisen oder begegnet ihnen anders. Auf Neuroleptika kann so zumindest teilweise verzichtet werden. Mittlerweile gilt es als Qualitätskriterium, in Pflegeheimen möglichst wenige Neuroleptika einzusetzen. In den USA beispielsweise werden dazu regelmäßig aktuelle Zahlen als Qualitätskriterium veröffentlicht (z. B. [4]).

Konventionelle und atypische Neuroleptika

Man unterscheidet herkömmliche, konventionelle Neuroleptika der ersten Generation und sogenannte atypische oder Neuroleptika der zweiten Generation (vgl. Tabelle 2). Dabei zählt Haloperidol zu den stark potenten, weil stark antipsychotisch wirkenden Neuroleptika der ersten Generation, Melperon und Dipiperon zu den niederpotenten Substanzen.

Die neueren, sogenannten atypischen Neuroleptika liegen in ihrer antipsychotischen Potenz dazwischen. Vor allem mit der Einführung dieser scheinbar nebenwirkungsärmeren Neuroleptika stieg die Verordnungshäufigkeit der Medikamente an. Vermutlich handelt es sich hier aber um keinen prinzipiellen Unterschied, sondern nur um etwas unterschiedliche (Neben-)Wirkungsprofile bei verschiedenen Rezeptoraffinitäten [8].

Gute Gründe für das Absetzen

Es gibt gute Gründe, die Gabe von Neuroleptika einzuschränken (Tabelle 1). Ein Grund ist, dass die Sterblichkeit bei der Gabe von atypischen Neuroleptika höher liegt als beim Verzicht auf diese Medikamente. Mit den Hinweisen der Food and Drug Administration in den USA bzw. dem Rote-Hand-Brief zu Risperidon in Deutschland ist dies schon seit 2005 bekannt. Konkret besteht hier eine 1,5- bis 1,7-fach höhere Sterblichkeit an vaskulären Komplikationen. Dabei handelt es sich vermutlich um einen sogenannten Klasseneffekt, der alle Neuroleptika betrifft. Die Übersterblichkeit bei den konventionellen Neuroleptika liegt ähnlich hoch [7]. Eine kürzlich publizierte Studie bestätigte erneut die Übersterblichkeit unter Neuroleptika (1,7-fach höher, bei Medikamenteninteraktionen sogar knapp zweifach höher) [3]. In den ersten Wochen und Monaten nach Therapiebeginn ist sie am höchsten und scheint dosisabhängig zu sein. Hier schneidet Quetiapin noch am günstigsten ab. Die Behandlung mit Neuroleptika sollte daher mit der geringstmöglichen Dosis und über einen möglichst kurzen Zeitraum erfolgen. Patienten und rechtliche Vertreter müssten über dieses Risiko aufgeklärt werden.

Weitere Gründe für das Absetzen sind stärkere Müdigkeit, Apathie oder eine verminderte emotionale Schwingungsfähigkeit. Aufgrund der typischen, durch Neuroleptika verursachten Dopaminrezeptor-Blockade und der daraus resultierenden Gangstörungen (kleinschrittig, parkinsonoid) kommt es zu vermehrten Stürzen. Die anticholinerge Potenz der Medikamente kann zudem eine Verschlechterung der Demenz verursachen. Auch eine orthostatische Dysregulation kann in bis zu einem Drittel der Fälle vorkommen. Hinzu kommen weitere typische Nebenwirkungen der Neuroleptika wie Früh- und Spätdyskinesien oder eine Sitzunruhe (Akathisie).

Beim Absetzen von Neuroleptika bei Demenzpatienten wurde in einer Cochrane-Review kein Unterschied zum Fortführen der Therapie festgestellt [2]. Die Autoren schränken allerdings ein, dass bei schwerem herausfordernden Verhalten eine Verschlechterung möglich ist.

Was passiert beim Absetzen?

In einer Metaanalyse von sieben Studien bei Demenzpatienten wurde festgestellt, dass sich die Verhaltensauffälligkeiten bei einer Dosisreduktion tendenziell verschlechtern können, während das Überleben der Patienten verbessert wird [5].

Da also beim Absetzen der Neuroleptika die Verhaltensstörungen zunehmen können, sollte eine Dosisreduktion oder ein Absetzen mit Patienten, Angehörigen bzw. gesetzlichen Betreuern sowie den Pflegenden besprochen und gemeinsam getragen werden! Ein "Deprescribing", d. h. eine Reduktion bzw. ein Absetzen von Neuroleptika, ist somit vor allem ein kommunikativer Prozess. Schulungsprogramme im Bereich der Pflege können dabei helfen, die Verordnung von Neuroleptika, vor allem in Einrichtungen mit einer hohen Verordnungshäufigkeit, zu reduzieren [6].

Ausschleichen von Neuroleptika

Wie geht man nun beim Ausschleichen bzw. beim Absetzen praktisch vor? Ein aktueller englischsprachiger Algorithmus ist dazu im Internet frei verfügbar [1] (Abb. 1). Bei herausforderndem Verhalten bzw. bei Schlafstörungen von Demenzkranken, die mit Neuroleptika behandelt werden, empfiehlt dieser einen Versuch des Ausschleichens bzw. des Absetzens. Die Dosisreduktion sollte langsam erfolgen und circa 25 – 50 % Dosisreduktion in ein bis zwei Wochen betragen, so dass ein Ausschleichen über zwei bis acht Wochen geplant werden kann. Ein Ausschleichen bei psychiatrischen Grunderkrankungen, z. B. bei Halluzinationen, ist mit einem hohen Rezidivrisiko verbunden und daher nicht ohne weiteres zu empfehlen.

Beim Ausschleichen sollte eine ärztliche Kontrolle der Symptome alle ein bis zwei Wochen erfolgen. Während des gesamten Zeitraums sollten Angehörige bzw. Pflegekräfte die Patienten gut beobachten (ggf. mit Rückmeldung an den Arzt). Falls es zu einem Wiederauftreten von Verhaltensauffälligkeiten oder nächtlicher Ruhelosigkeit kommt, kann der Arzt nicht-medikamentöse Maßnahmen, ein erneutes Ansetzen bzw. eine erneute Dosissteigerung oder das Umsetzen auf ein anderes Neuroleptikum überlegen. Falls der Versuch scheitert, sollte nach drei Monaten zumindest ein weiterer unternommen werden. Natürlich ist das Absetzen nicht in allen Fällen erfolgreich, doch schon eine Dosisreduktion ist ein Erfolg, da die Nebenwirkungen dosisabhängig sind!

Fazit für die Praxis
  • Neuroleptika sind keine harmlosen Substanzen (erhöhte Sterblichkeit, Stürze).
  • Besondere Vorsicht bei Neuroleptika und gleichzeitiger Polypharmazie bzw. bei vaskulären Grunderkrankungen (wie bekannte stenosierende koronare Herzkrankheit).
  • Falls nötig: niedrigste Dosierung und kürzeste Dauer wählen.
  • Auf Nebenwirkungen achten (z. B. parkinsonoides Gangbild).
  • Kommunikation vor dem "Deprescribing" mit Patienten, Angehörigen/Betreuern und der Pflege!
  • Beim Absetzen: langsame Dosisreduktion bzw. langsames Ausschleichen über zwei bis acht Wochen.
  • Genaue Beobachtung nach dem Absetzen, auch hier alle Beteiligten mit einbeziehen.
  • Bereits eine Dosisreduktion ist ein Erfolg (Nebenwirkungen sind dosisabhängig)!


Literatur:
1. Bjerre LM, Farrell B, Hogel M, Lermay G, McCarthy L, Rojas-Fernandez C, Sinha S, Thompson W, Welch V, and Wiens A (2016) Deprescribing antipsychotics for behavioural and psychological symptoms of dementia (BPSD) and insomnia: an evidence-based clinical practice guideline.
2. Declercq T, Petrovic M, Azermai M, Vander SR, De Sutter AI, van Driel ML, and Christiaens T (2013) Withdrawal versus continuation of chronic antipsychotic drugs for behavioural and psychological symptoms in older people with dementia. Cochrane Database Syst Rev CD007726-
3. Liperoti R, Sganga F, Landi F, Topinkova E, Denkinger MD, van der Roest HG, Foebel AD, Finne-Soveri H, Bernabei R, and Onder G (2017) Antipsychotic Drug Interactions and Mortality Among Nursing Home Residents With Cognitive Impairment. J Clin Psychiatry 78:e76-e82
4. National Partnership to Improve Dementia Care in Nursing Homes (2017)
5. Pan YJ, Wu CS, Gau SS, Chan HY, and Banerjee S (2014) Antipsychotic discontinuation in patients with dementia: a systematic review and meta-analysis of published randomized controlled studies. Dement Geriatr Cogn Disord 37:125-140
6. Tjia J, Hunnicutt JN, Herndon L, Blanks CR, Lapane KL, and Wehry S (2017) Association of a Communication Training Program With Use of Antipsychotics in Nursing Homes. JAMA Intern Med 177:846-853
7. Wang PS, Schneeweiss S, Avorn J, Fischer MA, Mogun H, Solomon DH, and Brookhart MA (2005) Risk of death in elderly users of conventional vs. atypical antipsychotic medications. N Engl J Med 353:2335-2341
8. Wolter DK (2009) Risiken von Antipsychotika im Alter, speziell bei Demenzen. Eine Übersicht. Zeitschrift für Gerontopsychologie & -psychiatrie 22:17-56



Autoren:

Prof. Dr. med. Klaus Hager

DIAKOVERE
Henriettenstift Hannover,
Zentrum für Medizin im Alter
30559 Hannover

Dr. med. Olaf Krause
DIAKOVERE
Henriettenstift Hannover und Institut für Allgemeinmedizin,
Medizinische Hochschule Hannover
30625 Hannover

Interessenkonflikte: Der Autoren haben keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (19) Seite 24-28