Die Zahlen sind auf den ersten Blick durchaus beeindruckend. 6,6 Millionen Menschen waren nach den jüngsten Daten des Qualitätsberichts für 2016 der KBV in Disease-Management-Programmen (DMP) eingeschrieben. Da manche Patienten zum Teil an mehr als einem DMP teilnehmen, addieren sich die DMP-Einschreibungen sogar auf die stolze Zahl von 7,7 Millionen.

Alles eitel Sonnenschein?

DMP sind damit also rein zahlenmäßig eine Erfolgsgeschichte. Und auch die Entwicklung von relevanten medizinischen Parametern und Werten kann sich sehen lassen. So hat sich z. B. der Anteil von Patienten mit normotensivem Blutdruck im DMP Diabetes Typ 2 im Zeitraum 2008 bis 2014 von 47 auf 56 % und im DMP Koronare Herzkrankheit von 58 auf 64 % erhöht. Bei Typ-1-Diabetikern ist der Anteil der Patienten, bei denen jährlich die Nierenfunktion überprüft wird, von 2008 bis 2014 sogar gleich von 70 auf 90 % hochgeschnellt. Erfreulich auch der Trend bei der leitliniengerechten Arzneiverordnung: 2014 erhielten 82 % der Typ-2-Diabetiker Metformin, 6 Jahre zuvor waren es lediglich gut 72 %. Auch bei den DMP-Patienten mit koronaren Herzerkrankungen erhöhte sich der Anteil derer, die leitliniengerechte Statine erhalten, von 68 auf fast 75 %.

Also alles eitel Sonnenschein bei den DMP? Nicht unbedingt. Denn die reinen medizinischen Parameter sagen nur bedingt etwas über die optimale Behandlungsstrategie gerade älterer DMP-Patienten – der Hauptzielgruppe solcher Management-Programme – aus. Für multimorbide und geriatrische Patienten ist das Erreichen der Normzielwerte nur dann medizinisch prioritär, wenn darunter nicht die Lebensqualität leidet. Wer z. B. als Patient mit Typ-2-Diabetes einen über dem Normwert liegenden Blutzuckerwert hat und dafür gewaltige Einschränkungen bei der Lebensqualität in Kauf nehmen muss, hat dafür einen sehr hohen Preis zu bezahlen. Und besonders bei multimorbiden Patienten, die Tag für Tag bis zu 15 Arzneien schlucken müssen, kann eine leitliniengerechte Medikation dann ins Gegenteil umschlagen, wenn leitliniengerechte Medikamente nicht zusammenpassen oder gar kontraproduktive Wechselwirkungen hervorrufen.

Die Lebenswirklichkeit der Patienten im Blick behalten

Wer bei DMP-Patienten also zu sehr auf die Medizin aus dem Lehrbuch setzt und zu wenig darauf achtet, dass strukturierte Behandlungsprogramme auch das Alter, die Funktionalität im Alltag und die Lebenswirklichkeit im Auge haben, wird dem alten Menschen nicht gerecht. Genauso wichtig ist für die DMP auch der Schulungsaspekt, der die Patienten zu mehr Eigenständigkeit und Selbstbestimmung führen soll. Auch dieser Aspekt geht vielfach unter.

Positiv ist indes, dass im Qualitätsbericht explizit die Bedeutung persönlicher Zielwerte herausgestellt wird. Das genau ist der Schritt in die richtige Richtung, der sich bereits an Zahlen ablesen lässt. So haben sich die Zielwerte, die DMP-Diabetiker (Typ 1 und Typ 2) persönlich unter Beachtung der Alltagstauglichkeit mit ihrem Arzt vereinbart haben, innerhalb von 6 Jahren um 8 Prozentpunkte verbessert. Weg von strikten Normwerten hin zu individuellen Lösungen, das sollte daher künftig viel stärker auch die Devise für die DMP sein, meint Ihr

Ihr
Raimund Schmid



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (6) Seite 45