Im Jahr 2020 sah es so aus, als wenn sich das Risiko der Ärzt:innen, von den Krankenkassen in Regress genommen zu werden, deutlich verringert hätte. Jedenfalls hatten Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und GKV-Spitzenverband dazu eine Vereinbarung getroffen. Doch diese wurde nun von den Kassen einseitig gekündigt. Ärztevertreter sprechen von einer "Blutgrätsche".

Ärzt:innen müssen im Fall eines Arznei- oder Heilmittelregresses in der Regel nicht mehr für die gesamten Kosten einer unwirtschaftlichen Verordnung aufkommen, sondern nur den Mehrpreis erstatten. So hatten es KBV und GKV-Spitzenverband vor etwa einem Jahr miteinander vereinbart. Die neuen Regelungen sollten niedergelassene Ärzt:innen im Fall von Regressen entlasten und ihnen mehr Planungssicherheit durch die Verkürzung der Frist für Wirtschaftlichkeitsprüfungen von vier auf zwei Jahre bieten.

Die Aktualisierung der Rahmenvorgaben war insbesondere aufgrund des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) notwendig geworden. Denn das Gesetz sieht unter anderem vor, dass bei Regressen für verordnete Leistungen nicht mehr die gesamten Kosten der als unwirtschaftlich erachteten Leistung erstattet werden müssen, sondern nur noch der Differenzbetrag zwischen unwirtschaftlicher und wirtschaftlicher Leistung.

Kündigung von "Knall auf Fall"

So weit, so gut. Doch vor wenigen Wochen gab es eine unangenehme Überraschung. Nachdem schon einige regionale Krankenkassenverbände die Vereinbarung blockiert hatten, kündigte nun auch der GKV-Spitzenverband die kaum ein Jahr alte Vereinbarung auf.

Bei der KBV zeigte man sich empört. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KBV Dr. Stephan Hofmeister sprach gar von einer "Blutgrätsche". "Wir erleben jetzt, dass auf gemeinsame Beschlüsse mit dem GKV-Spitzenverband kein Verlass mehr ist", sagte Hofmeister und vermutete, dass das Gängelungsinstrument der Wirtschaftlichkeitsprüfung den Kassen so nicht mehr scharf genug gewesen sei, um die Ärzt:innen richtig drangsalieren zu können. Damit werde nicht nur der Wille des Gesetzgebers missachtet, sondern es sei in Zeiten der Pandemie ein weiterer Sargnagel für die gemeinsame Selbstverwaltung, formulierte KBV-Chef Dr. Andreas Gassen sein Unverständnis.

Affront gegenüber den niedergelassenen Ärzt:innen

Auch der Hartmannbund kritisiert die einseitige Kündigung. Die damit de facto verbundene erneute Verschärfung eines unkalkulierbaren Regressrisikos für die Praxen dokumentiere ein Maß an Misstrauen und Missachtung, das die Kolleg:innen zu Recht als Affront betrachteten, heißt es in einer Stellungnahme. Für Dr. Klaus Reinhardt, den Vorsitzenden des Hartmannbunds, gehen die Folgen dieser Kassen-Politik weit über die wirtschaftliche Gefährdung der betroffenen Praxen hinaus. Für ihn konterkarieren die Kassen mit der Kündigung der Vereinbarung die Bereitschaft junger Menschen, sich als Arzt oder Ärztin niederzulassen. Schließlich sei die Sorge vor Regress eines der größten Hemmnisse einer Entscheidung zur Niederlassung. Hier würden die Krankenkassen nun ein fatales Signal für die Versorgung setzen.

Kassen wollen noch verhandeln

Beim GKV-Spitzenverband scheint man die Kritik der Ärzteverbände hingegen recht gelassen aufzunehmen. Die Kündigung werde ja erst zum 31. Oktober 2021 wirksam. Es sei also noch genug Zeit, hier weitere Schritte gemeinsam mit der KBV zu gehen. Das verbale Herumgepolter vonseiten der KBV sei nicht unbedingt hilfreich auf dem Weg, eine für beide Seiten angemessene Lösung zu finden, bei der es am Ende stets um die gute Versorgung der Versicherten gehen muss, wird ein Sprecher des GKV-Spitzenverbandes zitiert.



Autor
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (7) Seite 34-35