Nein, Urologen sind keine Männerärzte – wir behandeln zu 35 bis 40 % Frauen, die bekannterweise ebenso über Nieren, Harnleiter und Blase verfügen wie die Männer. Dennoch möchten wir interdisziplinär dabei helfen, die Männer in Bezug auf ihre Gesundheit nicht zu benachteiligen. Dazu möchte ich als Urologe hier etwas beitragen und zum gemeinsamen Handeln anregen.

Wir möchten die Vermeidung oder Behandlung von Erkrankungen erreichen, die das Leben frühzeitig begrenzen oder verschlechtern. Dazu gehört die Klärung der Optionen: Vorsorge oder Früherkennung.

Primäre und sekundäre Prävention

Vorsorge oder primäre Prävention entspricht der Gesunderhaltung von Gesunden, indem wir versuchen, krankhafte Veränderungen gar nicht erst auftreten zu lassen. Die dafür prominentesten Beispiele sind Ihnen in Ihrem umfassenden Fachspektrum bekannt und ich werde mich hüten, Sie darüber aufklären zu wollen: Hypertonie, Diabetes mellitus, Metabolisches Syndrom, Koronare Herzkrankheit, zerebrale Insulte und im Malignom-Bereich ggf. Bronchial-, Ösophagus- und enterale Tumoren. Diese Entitäten könnten durch individuelle Lebensstilsteuerung in großem Umfang vermieden werden. Das zu evaluieren und zu vermitteln, ist für Sie einer der Pfeiler Ihrer umfassenden Tätigkeit mit der Unwägbarkeit, inwieweit die PatientInnen dazu bereit sind.

Der zweite Bereich umfasst die Erkrankungen, die mehr oder weniger schicksalhaft entstehen und so rechtzeitig detektiert und kuriert werden sollten, dass die Endpunkte einer "gesunden" Lebenserwartung und -qualität erreichbar sind, also überwiegend die Krebsfrüherkennung oder sekundäre Prävention.

Krebsfrüherkennung

Unter anderem wird seit 1971 allen Männern ab dem 45. Lebensjahr einmal pro Jahr die Teilnahme an der gesetzlichen Krebsfrüherkennung angeboten, die die Module digitorektale Untersuchung, Stuhltest auf okkultes Blut und Inspektion der Haut umfasst, seit einigen Jahren ergänzt um die Koloskopie ab dem 55. Lebensjahr, insgesamt zweimal in zehnjährigem Intervall.

Die Inanspruchnahme hat sich trotz aller ebenso medienwirksamen wie finanziell aufwendigen Kampagnen mit 14 % seit 1971 nicht um ein Jota steigern lassen; einzig die Initiative der Felix-Burda-Stiftung zur präventiven Koloskopie hat die Mortalität bei den Teilnehmern signifikant um 30 % gesenkt – ein ebenso eindrucksvoller Beweis der Sinnhaftigkeit.

Warum sind Männer so? Nun, Männer sind geprägt, als Heranwachsende schnell Auto zu fahren, zu viel Alkohol zu trinken, zu rauchen und Risikosportarten wie Klippenspringen, Drachenfliegen und Autorennen zu betreiben – allesamt ebenso sinnfrei wie potenziell lebensbegrenzend und dem unstillbaren Balztrieb geschuldet. Diese "Hobbys" entsprechen dem modernen Bild vom historischen "Sammler und Jäger", der stark ist und ungesund lebt, um dann die Erde rund fünf Jahre früher zu verlassen als die weiblichen Pendants, die sich weder so unsinnigen Risiken aussetzen noch mit ihrer Gesundheit so fahrlässig umgehen. Zudem gesellt sich bei Männern die bis heute nicht ursächlich geklärte panische Angst vor dem ärztlichen, insbesondere dem urologischen Zeigefinger hinzu, der gleichsam als gefährlichste Waffe gegen das Männlichste im Manne, anscheinend das Rektum, verteufelt wird.

Mit dieser "Waffe" stehen wir Urologen an Ihrer Seite, wenn es um Aufklärung und Beratung zur Früherkennung böser Erkrankungen im Harntrakt geht. So müssen wir feststellen, dass unsere kleine Fachgruppe mit 6.000 Angehörigen immerhin 30 % aller soliden Malignome bei beiden Geschlechtern behandelt und trotz aller Bemühungen immer noch eher ernüchternde Ergebnisse von "Früherkennung" erzielt (vgl. Tabelle 1).

Zumindest für das Prostatakarzinom gilt, dass das 12.957 Tote zu viel sind, da wir diese Tumorentität bei "Vollauslastung" der Früherkennung und angemessener Behandlung praktisch komplett heilen könnten, zumal wir wissen, dass 90-jährige Männer fast alle ein im Leben nicht relevantes Prostatakarzinom in sich tragen, mit dem und nicht an dem sie versterben werden. Es gilt also, die zu identifizieren, die einer kurativen Behandlung bedürfen, und die anderen in Ruhe zu lassen. Daran arbeiten wir weltweit und sind auf einem vielversprechenden Weg durch die Generierung neuer genbasierter Tumormarker. Bis zur "Serienreife" bleibt uns aktuell jedoch der seit 30 Jahren etablierte PSA-Test, dessen intelligente Interpretation trotz aller kritischen Stimmen die tumorspezifische Mortalität um 30 % (bemerkenswerte Analogie zur Koloskopie) reduziert hat. Das ist Weltrekord und hat bisher nie ein Laborwert geschafft!

Was können wir anbieten ?

Zur Verbesserung der Ergebnisse einer adäquaten Tumorfrüherkennung sind folgende Module als qualitätsgesichert und effizient belegt:
  • Prostata: PSA-Test, Sonographie
  • Hoden: Palpation, Sonographie
  • Nieren: Urintest, Sonographie
  • Blase: Urintest, ggf. Cytologie, Sonographie

Bemerkenswert ist, dass alle diese Leistungen bisher keinen Eingang in den Leistungskatalog der GKV gefunden haben – die Früherkennung wird von den Kostenträgern immer noch auf dem Stand von 1971 für gut befunden, obwohl sich auch die Medizin in 45 Jahren hier und da weiterentwickelt hat.

Meilenstein in der primären Prävention: die erste Impfung gegen Krebs

Spätestens seit zehn Jahren wissen wir durch die Forschung und Entwicklung unseres letzten Nobelpreisträgers 2008 Harald zur Hausen, dass Humane Papillom Viren (HPV) nicht nur die häufigste sexuell übertragbare Erkrankung verursachen (ca. 680.000 Neuerkrankungen pro Jahr an Genitalwarzen in Europa), sondern dass dadurch auch potenziell lebensbegrenzende Zervixkarzinome bei Frauen entstehen, die in Deutschland pro Jahr 100.000 vermeintlich fertilitätsverhindernde, genitalverstümmelnde Konisationen erfordern und denen 3.000 Frauen pro Jahr erliegen, obwohl es seit 2007 eine hochwirksame Impfung mit in Australien und den USA beeindruckenden Wirkungsraten von > 90 % sowohl bei den Condylomata als auch beim Rückgang der Zervixkarzinome gibt.

HPV betrifft aber nicht nur die Genitalorgane; inzwischen steht fest, dass durch Diversifizierung der Sexualpraktiken auch HPV-assoziierte Anal- und Oropharynxkarzinome an Inzidenz deutlich zunehmen (Abb. 1 und 2). Deutschland schläft – die Mädchen werden bisher nur zu 40 % geimpft und die Ständige Impfkommission hat bis heute nicht die Empfehlung zur Jungenimpfung gegeben, somit haben sich bisher nur 25 der 113 Krankenkassen kulanzhalber bereitgefunden, die Kosten auch für Jungen zu übernehmen, obwohl der Penis unzweifelhaft den Transmitter der Viren darstellt.

Niemand würde auf die abwegige Idee kommen, bei z. B. der Hepatitis B als ebenso sexuell übertragbare Erkrankung nur einem Geschlecht wirksamen Schutz anzubieten, ganz abgesehen von der Gruppe gleichgeschlechtlich orientierter Jungen, die von einer Mädchenimpfung gar nicht profitieren. Eine Herdenimmunität, also der wirksame Durchbruch der Infektionskette gleichsam wie die Schneise im Waldbrand, bedarf einer Impfquote von 85 % aller Jugendlichen vor dem ersten Geschlechtsverkehr. Wenn sich Eltern, Jugendliche, Ärztinnen und Ärzte gemeinsam für diese Schutzmaßnahme engagieren würden, könnten wir nicht nur täglich acht Frauen das Leben retten, sondern auch den folgenden Generationen von Kindern die in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts mühsam erstrittene sexuelle Liberalität erhalten. Warum tun wir das nicht einfach?

Fazit

Männer sind Gesundheitsmuffel; nur durch Aufklärung in der Jugend könnten wir ihnen den Schlüssel zur Möglichkeit der eigenen Gesundheitssteuerung im späteren Leben in die Hand geben – Erhaltung der Männergesundheit beginnt in der Jugend durch Aufbau einer Jungensprechstunde, die den Jungen die Chance bietet, ihre Wissens­isolation in der Pubertät wegen der Distanz zu ihren Eltern durch ärztliche Begleitung zu kompensieren.

Als „Leuchtturm“ primärer Prävention steht mit der HPV-Vakzine erstmalig eine wirksame Impfung gegen eine potenziell tödliche Krankheit zur Verfügung, die wir allen unseren Kindern nicht vorenthalten dürfen.



Autor:

Dr. med. Wolfgang Bühmann

Facharzt für Urologie – Andrologie
Med. Tumortherapie –  Qualitätsmanagement Pressesprecher des Berufsverbandes der Deutschen Urologen e.V.
25980 Sylt OT Keitum

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (12) Seite 57-60