Bei welchen Krankheiten ist die orale Einnahme von Selen indiziert – insbesondere bei welchen Schilddrüsenfunktionsstörungen bzw. -krankheiten? Wenn ja, in welcher Dosis? Gibt es Kontraindikationen?

Antwort: Selen ist ein Spurenelement, das für die Funktion von mindestens 25 Enzymen im menschlichen Körper unerlässlich ist. Diese Selenoproteine wie z. B. die Glutathionperoxidasen, die Jodothyronindeiodinasen oder Thioredoxinreduktasen nehmen wichtige Funktionen bei der Entgiftung von Peroxiden und bei der Schilddrüsenhormonsynthese wahr. In Europa werden im Mittel 40 µg/d Selen mit der Nahrung aufgenommen, was noch innerhalb der von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlenen Zufuhr von 30 – 70 µg/d liegt. Mangelerscheinungen sind bei einer Selenzufuhr von weniger als 20 µg/d zu erwarten, wohingegen eine toxische Wirkung bei dauerhafter Zufuhr von mehr als 600 – 800 µg Selen/d bzw. akut > 3 mg Selen zu beobachten ist.

Niedrige Selenspiegel sind mit einem schlechteren Immunstatus, einer etwas gesteigerten Mortalität und kognitivem Abbau assoziiert worden und höhere Selenspiegel mit einer erhöhten Fertilität sowie einer geringeren Inzidenz an Autoimmunthyreoiditiden. Die Selenspiegel im Blut korrelieren allerdings U-förmig mit der Mortalität, d. h. sehr hohe Spiegel sind mit erhöhten Mortalitätsraten assoziiert.

Studien zur Selensupplementation ergeben in wechselndem Ausmaß Hinweise auf eine verringerte Inzidenz mancher Karzinomentitäten und auf eine Reduktion der TPO-Antikörper-Spiegel sowie ein erhöhtes Wohlbefinden bei der Hashimoto-Thyreoiditis. Andererseits zeigte sich in einzelnen Studien eine Erhöhung des Diabetesrisikos unter 200 µg Selen/d, was am ehesten an einer Übersubstitution Selen-suffizienter Patienten mit konsekutiver Steigerung der Insulinresistenz lag. Ausgehend von diesen Daten ergibt sich die Indikation zur Selensupplementation bei Patienten mit nachgewiesenem Selenmangel (in Deutschland gefährdet sind z. B. Dialysepatienten, Patienten mit Malabsorption, chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, Veganer etc.). Bei Patienten mit relativ niedrigen Selenspiegeln und Autoimmunthyreoiditis bzw. Post-Partum-Thyreoiditis kann eine Supplementation mit 200 µg/d (Erwachsene) erwogen werden, sie sollte aber bis zum Vorliegen weiterer Studien unter Kontrolle des Selenspiegels erfolgen und die Fortführung nach drei bis sechs Monaten sollte vom Nachweis einer Besserung der Immunparameter/Schilddrüsenmorphologie abhängig gemacht werden. Eine Indikation zur Selengabe zur Krebs- oder Infektprävention besteht nach momentanem Kenntnisstand bei normaler Ernährung nicht.


PD Dr. med. Roland Büttner


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PD Dr. med. Roland Büttner
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I
Universität Regensburg
93042 Regensburg

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2012; 34 (14) Seite 47