Was könnte Praxisinhaber dazu veranlassen, über ihre eigenen und die Werte in der Praxisführung nachzudenken? Braucht man so etwas wie Werteorientierung überhaupt? Wie werden Werte sichtbar und welchen Nutzen hat die Beschäftigung mit Werten für meine Praxisführung, für die Auswahl der Mitarbeiter und deren Umgang oder auch für die Auswahl meiner ärztlichen Kollegen in einer Berufsausübungsgemeinschaft? Fragen, die in diesem Beitrag näher beleuchtet werden.

Was sind Werte?

Über Werte wird viel geschrieben, eine exakte Definition von Werten liegt jedoch nicht vor. Die Interpretation von Werten ist ein höchst individueller Prozess. Sie ist von den augenblicklichen Gefühlen, Ereignissen, den Lebenserfahrungen, Erlebnissen, der eigenen Sinnorientierung und damit auch Orientierung an Glaubenssystemen abhängig (Ralf Besser).

Wie werden Werte sichtbar?

Beispiel 1: Die Homepage

Werte werden auf den Homepages unter der Rubrik "Praxisleitbild" oder "Praxisphilosophie" sichtbar und beispielsweise wie folgt formuliert: "Wir nehmen uns für Sie Zeit", "wir schaffen eine vertrauensvolle Atmosphäre", "für uns ist Humor wichtig – bei uns darf gelacht werden", "wir respektieren unterschiedliche Lebensmodelle", "wir schätzen ein klares Wort", "als Patient sind Sie unser Partner" oder "Wertschätzung und Respekt im Miteinander ist uns wichtig". Wenn Ihnen das Letztere wichtig ist und Patienten an der Anmeldung öffentlich deklassiert werden oder Mitarbeiter im Beisein von Patienten kritisiert werden oder sich untereinander beschimpfen, dann wird die Inkongruenz zwischen gewünschten und gelebten Werten deutlich.

Werte als reine Begriffe sind demnach "wertlos". Im besten Sinne sind sie nur Absichtserklärungen. Werte sind immer an Handlungen gekoppelt und spiegeln sich im Verhalten wider. Zudem zeigt sich der Wert der Werte erst richtig in kritischen Situationen. "Passt das erlebte oder das selbst generierte Verhalten zu den gewünschten oder beabsichtigten Werten?", dies ist eine Kernfrage im Umgang mit Werten (Ralf Besser). Die Praxis zeigt häufig, dass die Unternehmensphilosophie den Mitarbeitenden gar nicht bekannt ist. Auch die Bedeutung und Umsetzung der Werte in Bezug auf gelebte Kollegialität und im Patientenumgang bleibt häufig im Unklaren. Jeder handelt nach seinem eigenen Wertesystem. Neue Mitarbeiter eignen sich häufig das Verhalten an, welches ihnen vorgelebt wird (Praxisgeist). Möglicherweise werden hier durch widerstrebendes Vorbildverhalten gut gemeinte Werte untergraben.

Beispiel 2: Rahmenbedingungen

Werte werden durch Rahmenbedingungen geformt. Dies trifft nicht nur auf die zwischenmenschlichen Beziehungen zu, sondern auch auf die Praxiseinrichtung, Sauberkeit und Ordnung des Umfeldes, geschmackvolles Ambiente, geprägt durch die Werte, färben die Gestaltung der Praxis ein. Eine weitere Wirkungsebene sind die Rahmenbedingungen, in denen sich die Mitarbeiter bewegen. Wird nur kritisiert oder auch gelobt? In welcher Atmosphäre finden Teambesprechungen statt (gut gelüfteter, heller Raum, Getränke etc.?), sind neue Ideen willkommen oder besteht jede Teamsitzung aus einer Abhandlung von Missständen? Wird möglichem Besuch auch mal ein Kaffee angeboten? All diese Rahmenbedingungen prägen Werte und laden zu bestimmtem Verhalten ein.

Dabei hat der Praxisinhaber in jeder Hinsicht eine Vorbildfunktion. Hier stellt sich wieder die Frage: Sind mir meine gewünschten Werte bewusst und lebe ich diese Werte (nur dann sind sie glaubhaft)? Der Praxisinhaber hat also bewusst oder unbewusst die Rolle inne, die Grundwerte der Praxis festzulegen. Sei es im Patientenumgang oder im Umgang mit den Mitarbeitenden. In der Regel werden die Mitarbeiter das Verhalten des Chefs oder der Chefin zumindest in Teilen imitieren. Wie heißt es so schön: "So wie der Herr, so das Gescherr!"

Beispiel 3: Berufsausübungsgemeinschaft und Praxisübernahme

Unterschwellige Konflikte zwischen ärztlichen Kollegen sind unter anderem auch auf ein unterschiedliches Wertesystem zurückzuführen. Die entsprechenden Verträge regeln oftmals nicht das, was später zum Konflikt führt: Unterschiedliche Zielsetzungen in der Unternehmens- und Mitarbeiterführung, unterschiedliche medizinische Ausrichtungen und Umgang mit Selbstzahlerleistungen, Dissens in der Vorstellung und Bedeutung einer Teamarbeit, um nur einige Beispiele zu nennen.

Die Antwort erscheint einfach: Werte geben den Zielen ihre Bedeutung. Und Werte bestimmen, wie man die Ziele erreicht. Gemeinsame Werte sind auch die Basis für die "Strahlkraft" nach innen wie nach außen (Stefan Merath). Unterschiedliche Zielsetzungen können zu Konflikten führen und offenbaren ein differierendes Wertesystem, dies soll folgende Situation verdeutlichen: Ein Praxiskollege möchte den wirtschaftlichen Status durch ein möglichst breites Angebot von Selbstzahlerleistungen optimieren. Den Patienten wird eine Liste mit "besonderen Praxisleistungen" direkt vorne an der Anmeldung vorgelegt, so dass diese je nach Bedarf wählen können. Die Praxiskollegin hingegen lehnt Selbstzahlerleistungen vehement ab, da diese in ihrer Vorstellung einer evidenzbasierten Medizin nicht gerecht werden. Sie ist der Meinung, das, was wissenschaftlich belegt ist, wird von der Krankenkasse bezahlt. Interessant wäre hier für beide, von dem anderen zu erfahren, welcher Wert sie jeweils in ihrer Haltung leitet. Dann würden auch die Handlungen klarer.

Mit der Praxisübernahme werden in der Regel nicht nur der Patientenstamm, sondern auch die Werte des Vorgängers oder des Senior-Partners mit eingekauft. Dessen sollten Sie sich bewusst sein. Passen die Werte des Vorgängers zu meinem Wertesystem? Wenn nicht, stellt sich die Frage, ob das mit der Patientenübernahme so funktioniert. Gut beraten sind Praxisnachfolger, wenn sie auf vorhandene konsistente Werte aufbauen und Veränderungen nur langsam und wohldosiert einführen. Mitarbeiter und Patienten orientieren sich an Altbewährtem und an Kontinuität, das gibt Sicherheit. Und nicht alle werden Ihnen folgen – jede Veränderung hat ihren Preis.

Nutzen und Wirksamkeit einer Werteorientierung für die Praxisführung

Für die Erstellung einer Homepage wäre es für Praxisinhaber wichtig, sich im Vorfeld zu überlegen, welche wichtigsten ein bis drei Werte (nicht mehr!) als Praxiswerte definiert werden sollen. Mit der schriftlichen Definition der Werte, zum Beispiel: Vertrauen, Respekt, Humor etc., kann man sowohl das Verhalten des Praxisinhabers als auch das der Mitarbeitenden an den Werten messen. In praxisinternen Leitfäden sollten den Werten zusätzlich Verhaltensnormen und Kriterien zugeordnet werden. Was nutzen Werte, wenn nicht klar ist, ob entsprechendes Verhalten wertekonform ist (Stefan Merath). Zugleich wird durch Festlegung von Werten auch die Patientenzielgruppe genauer definiert. Hat eine Praxis im Leitbild festgelegt, dass ihr die langfristige Betreuung von Patienten am Herzen liegt (möglicher Wert: Kontinuität), sind Patienten, die eher ein "Ärztehopping" pflegen, in dieser Praxis fehl am Platze.

Eine Praxis, die folgender Überzeugung folgt: "Medizin ist nicht zum Wunsche, sondern zum Wohle des Patienten" (möglicher Wert: Verantwortung) ist eher geneigt, Patienten mit "medizinischer Einkaufsmentalität" die Grenzen aufzuzeigen, da diese nicht zu dem bevorzugten Patientenkreis gehören.

Neue Mitarbeiter werden häufig aufgrund ihrer Qualifikationen und Fähigkeiten eingestellt und aufgrund ihrer Persönlichkeit wieder entlassen. Wie hilfreich sind nun definierte Werte bei der Einstellung von Mitarbeitern? Da Sie nicht davon ausgehen können, dass eine neu eingestellte Mitarbeiterin Ihnen zuliebe ihre Werte verändert, ist ein entscheidendes Einstellungskriterium, ob die Praxiswerte bereits Werte sind, die auch zum Wertesystem der Mitarbeiterin gehören. Fähigkeiten können erlernt und nachgeschult werden.

Für die Gründung einer Gemeinschaftspraxis empfiehlt sich, aus besagten Gründen, vor Vertragsschließung eine präventive Mediation, um persönliche Werte und Wertekonformität für das Unternehmen abzugleichen. Wie gesagt, den Anderen ändern Sie nicht und unterschiedliche Werte rauben sehr viel Energie, die Sie in der Phase der Praxisgründung für andere Dinge gebrauchen und die letztendlich auch zur späteren Trennung führen können.

Fazit

Der Wert der Werte in der Praxisführung ist hoch, vorausgesetzt Sie als Praxisinhaber agieren als Vorbild. Wenn Sie ein paar werteorientierte Verhaltensregeln aufstellen, dann halten Sie sich unbedingt daran. Hilfreich ist es, wenn Sie aus den Werten ein paar ganz klare K.O.-Kriterien für Verhaltensweisen ableiten und diese samt Konsequenzen in der Praxis bekannt machen.



Autorin:

Dipl. Päd. Petra Korioth

Kommunikationstrainerin, BusinessCoach, Mediatorin
40883 Ratingen

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (4) Seite 64-66