Trotz aller bestehenden Skepsis: Langsam kommt Licht ins Dunkel bei der Nutzung der viel diskutierten Videosprechstunde. Grund hierfür sind neue Regelungen, die KBV und GKV-Spitzenverband mit Wirkung zum 1. Oktober vereinbart haben. Die Änderungen beinhalten u. a. die Möglichkeit, Kontakte mit "neuen" Patienten sowie Fallkonferenzen mit Pflegeheimen per Video durchführen zu können. Auch die Vergütung ist neu geregelt. Die Neuerungen sollen die Möglichkeiten bei der Anwendung der Videosprechstunde erweitern und vereinfachen. Doch ist dies auch gelungen?

Die Organisation der Videosprechstunde ist denkbar einfach – so lautet es zumindest auf den Seiten der KBV: Ärzte wählen einen zertifizierten Videodienstanbieter aus (s. QR-Code in Infobox), darüber hinaus benötigen sie und die Patienten eigentlich nur noch einen Bildschirm mit Kamera, Mikrofon und Lautsprecher und natürlich eine Internetverbindung. Eine Software ist nicht erforderlich. Bestimmte technische Anforderungen müssen selbstverständlich trotzdem erfüllt werden, damit alles funktioniert und auch der notwendige Datenschutz erfüllt wird (s. Infobox).

Anschubfinanzierung: bis zu 500 Euro pro Quartal

Diese Neuerung dürfte in der Summe am schwersten ins Gewicht fallen: Über die nächsten zwei Jahre erhält der Arzt für eine Videosprechstunde pro Quartal zusätzlich ca. 10 Euro von den gesetzlichen Krankenkassen (GOP 01451: 9,95 Euro; 92 Punkte). Natürlich gibt es eine Deckelung: Die Förderung wird für maximal 50 Sprechstunden im Quartal ausgezahlt bei einer Mindestanzahl von 15 Videosprechstunden. Immerhin: Das macht bis zu 500 Euro zusätzlich pro Quartal.

Nicht neu, aber weiterhin geltend, ist der Technikzuschlag 01450 (4,33 Euro; 40 Punkte), der neben der Versicherten-, Grund- oder Konsiliarpauschale angesetzt werden kann. Auch er ist gedeckelt – auf 205,52 Euro pro Quartal.

Vergütung ist jetzt über Pauschalen geregelt

Die Videosprechstunde wird nun seit Oktober über die jeweilige Versicherten-, Grund- oder Konsiliarpauschale honoriert – d. h., dass die erst 2017 eingeführte GOP 01439 (Betreuung eines Patienten im Rahmen einer Videosprechstunde) wieder entfällt. Diese Pauschalen (plus ggf. Zuschläge) werden allerdings nur dann in voller Höhe ausgezahlt, wenn im selben Quartal auch noch ein persönlicher Kontakt mit dem jeweiligen Patienten stattgefunden hat. Bleibt es in einem Quartal bei einem ausschließlichen Video-Kontakt mit dem Patienten – was im Gegensatz zu den bisherigen Regelungen nun tatsächlich erlaubt ist –, erfolgt ein fachgruppenspezifischer, prozentualer Abschlag auf die jeweilige Pauschale. Dieser liegt bei den Hausärzten bei 20 % – sie fallen damit zumindest in die Gruppe mit dem niedrigsten Abschlag (Beispiel: In Gruppe 2 mit einem Abschlag von 25 % fallen Ärzte der Inneren Medizin, Augenärzte fallen in Gruppe 3 mit einem 30 %igen Abschlag). Im Falle dieses ausschließlichen Video-Kontakts muss die Abrechnung mit der Pseudo-GOP 88220 gekennzeichnet werden.

Infobox: Technische Anforderungen an die Videosprechstunde
  • Der Patient muss für die Videosprechstunde eine schriftliche Einwilligung abgeben.
  • Die Videosprechstunde muss in Räumen stattfinden, die Privatsphäre bieten. Außerdem müssen die eingesetzte Technik und die elektronische Datenübertragung eine angemessene Kommunikation gewährleisten.
  • Die Videosprechstunde muss vertraulich und störungsfrei verlaufen – wie eine normale Sprechstunde auch. So darf die Videosprechstunde beispielsweise von niemandem aufgezeichnet werden, auch nicht von den Patienten.
  • Der Klarname der Patienten muss für die Praxis erkennbar sein.
  • Die Videosprechstunde muss frei von Werbung sein.
  • Der Videodienstanbieter muss zertifiziert sein. Diese Zertifikate muss er der Praxis vorweisen können. Er muss zudem gewährleisten, dass die Videosprechstunde während der gesamten Übertragung Ende-zu-Ende-verschlüsselt ist.
Eine Übersicht über die aktuell zertifizierten Videodienstanbieter können Sie auf den Seiten der KBV aufrufen.

Quelle: KBV

Man könnte das Gesamtpaket der Neuerungen evtl. als wirtschaftlich relevant beurteilen, wenn sich die 20%-Limitierung nicht weiter wie ein roter Faden durch die Neuerungen ziehen würde: Denn neben dem erwähnten 20 %igen Abschlag auf die Pauschalen gibt es zwei weitere Einschränkungen: Nur 20 % aller Behandlungsfälle eines Arztes, die ausschließlich per Videosprechstunde erfolgen, werden auch angerechnet. Außerdem ist die Anzahl der per Videosprechstunde berechnungsfähigen Leistungen ebenfalls auf 20 % der jeweiligen GOPs limitiert.

Neue GOP für neue Patienten

Neu ist weiterhin, dass nun auch "unbekannte" Patienten, die zuvor gar nicht oder nicht in den letzten Quartalen in der Praxis waren, für die Videosprechstunde berücksichtigt werden können. Da hierdurch für das Praxispersonal ein erhöhter Aufwand für die Authentifizierung entsteht (die Stammdaten können nicht über die elektronische Gesundheitskarte erfasst werden), kann über die neue GOP 01444 (1,08 Euro; 10 Punkte) ein Zuschlag zur Versicherten-, Grund- oder Konsiliarpauschale angesetzt werden. Der Zuschlag ist allerdings auf zwei Jahre befristet bis zum 30. September 2021.

Videofallkonferenzen in der Pflege

Die Möglichkeit, Fallkonferenzen zwischen Vertragsarzt und Pflegekräften eines Pflegeheims mit Kooperationsvertrag per Video durchzuführen, gab es schon in der Vergangenheit (GOPs 37120 und 37320), sie wurde nun erweitert um die Fallkonferenz mit Pflegepersonal von Pflegebedürftigen in der Häuslichkeit und in beschützenden Einrichtungen. Die neue GOP 01442 (6,92 Euro; 64 Punkte) setzt allerdings einen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt im laufenden und/oder den zwei vergangenen Quartalen voraus und ist maximal dreimal im Krankheitsfall berechnungsfähig.

Chronikerzuschlag ansetzbar

Diese Neuerung könnte die Betreuung von chronisch kranken Patienten vereinfachen, zumindest aus Patientensicht: Haben in den vergangenen vier Quartalen ein oder zwei von den drei notwendigen Arzt-Patienten-Kontakten per Videosprechstunde stattgefunden, zählen diese Kontakte, um den Chronikerzuschlag (GOP 03220–03222) ansetzen zu können.

Darüber hinaus darf nun auch das "problemorientierte ärztliche Gespräch" mit der GOP 03230 ebenfalls per Videosprechstunde erbracht werden.

Lesen Sie auch, welche rechtlichen Aspekte bei der Videosprechstunde wichtig sind: Im Beitrag der Rechtsanwältin Eva-Maria Neelmeier "Ärztliche Behandlung ohne Praxisbesuch: Was ist rechtlich möglich?"



Autorin:
Yvonne Schönfelder



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (19) Seite 73-74