Eine gesundheitsbewusste Patientin, 56, kommt zum Check-up. Sie macht sich Sorgen um eine eventuell vorliegende Osteoporose. Die Frau ist postmenopausal und hat immer wieder Rückenschmerzen. Seit drei Jahren nimmt sie keine Hormone oder sonstigen Medikamente mehr ein. Bis auf ein Hohlkreuz, eine leichte muskuläre Schwäche im Rückenbereich und dorsale Myogelosen liegen keinerlei krankhafte Veränderungen vor. Die Familienanamnese der normalgewichtigen Frau zeigt auch keine Hinweise auf Osteoporose, kardiovaskuläre oder metabolische Erkrankungen. Was ist zu tun?

Die Beschwerden der Patientin deuten keinesfalls auf eine osteoporotische Fraktur hin. Eine verringerte Knochendichte ohne Frakturen oder Deformitäten ist asymptomatisch. Bei ihr liegt außerdem das geschätzte Zehn-Jahres-Risiko für Osteoporose-typische Frakturen deutlich unter 20 %. Die DVO-Leitlinie zur Osteoporose ( http://www.dv-osteologie.org/dvo_leitlinien/osteoporose-leitlinie-2014 ) beschreibt, bei welchen Konstellationen die 20 %-Grenze überschritten wird.

Diese Leitlinie basiert auf einer sorgfältigen Literaturrecherche und einem breiten Konsens aller wichtigen Fachgruppen im deutschsprachigen Raum. Danach ist eine weitere spezifische Diagnostik bei dieser Patientin nicht indiziert. Vielmehr sollte eine körperliche Aktivierung und Verbesserung der Rückenmuskelfunktion angestrebt werden (siehe Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerzen: http://www.leitlinien.de/nvl/kreuzschmerz/ ).

Allgemeine Gesundheitsberatung

Zur Primärprävention, aber auch bei manifester Erkrankung, sind folgende Maßnahmen bezüglich einer Osteoporose sinnvoll:

  • Förderung von Muskelkraft und Koordination durch regelmäßige, risikobewusste, dem funktionellen Zustand angepasste, körperliche Aktivität
  • Vermeidung von Immobilisation
  • Jährliche Sturzanamnese ab dem 70. Lebensjahr und ggf. Ursachenabklärung
  • Nutzen-/Risikoabwägung und ggf. Modifikation der Medikation bzgl. erhöhtem Sturz- oder Frakturrisiko: Antidepressiva, Antiepileptika, Glitazone, orale und inhalative Glukokortikoide, Neuroleptika, Orthostase-auslösende Medikamente, Protonenpumpeninhibitoren, vor allem bei Langzeiteinnahme, sedierende Medikamente sowie L-Thyroxin, insbesondere bei einem TSH-Wert < 0,3 mU/l
  • Vermeidung eines Vitamin-D-Mangels durch regelmäßigen Aufenthalt im Freien
  • Ausreichende Zufuhr von Folsäure, Vitamin B12 sowie Kalzium mit der Nahrung (siehe Rechner unter www.gesundheitsinformation.de/kalzium-rechner.2032.de.html)
  • Vermeidung von Untergewicht und Nikotinkonsum

Vitamin-D-Hysterie

Die Nahrung mit Vitamin D zu ergänzen, ist in der Allgemeinpopulation eine sichere Maßnahme, die keiner Tests bedarf. Sie kann aus klinischen Gründen indiziert sein, etwa bei Erkrankungen der Nebenschilddrüsen. Spiegel ≥ 50 nmol/l zeigen an, dass hinreichend viel Vitamin D vorhanden ist (laut dreier Metaanalysen). Aktuelle Studien unterstützen eine Supplementation von Vitamin D zur Prävention von Stürzen bei über 70-jährigen Heimbewohnern oder anderen Personen mit hohem Sturzrisiko. Andere Effekte sind nicht bewiesen. Ein Screening der Vitamin-D-Spiegel ist nicht nötig. Die Gabe hoher Dosen sollte vermieden werden [1, 2].

Diagnostikschwelle

Die gültige Osteoporose-Leitlinie von 2014 listet gegenüber der Vorgängerversion weitere Risikofaktoren für Osteoporose-typische Frakturen auf. Sie ist dadurch leider deutlich unübersichtlicher geworden. Im Zweifelsfall sollte man die Angaben der Kitteltaschenversion konsultieren.

Der Risikorechner auf der oben genannten Website wurde entfernt, weil er eine Pseudo-Genauigkeit suggeriert. Letztlich weiß niemand, wie die Risikofaktoren außer mit Alter und Geschlecht miteinander interagieren. Frax bietet einen deutlich gröberen Risikorechner an (www.sheffield.ac.uk/FRAX/tool.aspx?country=14).

Spezifische Diagnostik

Ist die Indikation zur weiteren Diagnostik gegeben und sollten daraus therapeutische Konsequenzen gezogen werden, sind folgende Kontrollen indiziert: körperliche Untersuchung, vor allem bei Wirbelfrakturhinweisen (Abnahme der Körpergröße > 5 cm oder > 2 cm/Jahr, starke lokale Schmerzen), Labor-Basisprogramm (Blutbild, BSG/CRP, Kalzium, Phosphat, Kreatinin-Clearance nach Formel, alkalische Phosphatase, gGT, TSH, Eiweiß-Elektrophorese), Knochendichtemessung mittels DXA an LWS und Hüfte. Letztere ist, laut G-BA-Beschluss, eine Kassenleistung zum Zweck der Optimierung der Therapieentscheidung, wenn aufgrund konkreter anamnestischer und klinischer Befunde, beispielsweise bei klinisch manifester Wirbelkörper- oder Hüftfraktur ohne adäquates Trauma, eine Absicht für eine spezifische medikamentöse Therapie einer Osteoporose besteht. Eine Wiederholung ist nach frühestens fünf Jahren oder bei besonderen therapierelevanten klinischen oder anamnestischen Gründen vorgesehen. Hier gibt es immer wieder Diskussionen mit den Spezialisten vor Ort, wann noch eine IGeL-Leistung gerechtfertigt ist.

Therapie

Mit dieser Diagnostik lassen sich Hinweise für eine behandelbare sekundäre Osteoporose oder eine spezifische Therapie erkennen. Die empfohlene Therapieschwelle ist in Tabelle 1 dargestellt. Details und Anpassungen bei zusätzlichen Risikofaktoren lassen sich der Leitlinie entnehmen. In Tabelle 2 sind die vorrangig einzusetzenden spezifischen Medikamente aufgelistet. Sie reduzieren das Gesamt-Frakturrisiko um etwa ein Drittel. Bei einem 30 %igen Frakturrisiko in zehn Jahren ergibt sich daraus eine jährliche absolute Risikoreduktion von einem Prozent und eine NNT (number needed to treat) von 100 pro Jahr bzw. 20 pro fünf Jahre. Eine hochgradige Niereninsuffizienz mit einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) unter 30 ml/min/173 m2 ist für die meisten dieser Therapeutika eine Kontraindikation. Hier sollte die Therapieentscheidung ein Nephrologe treffen. Im hausärztlichen Setting ist, nach meiner Ansicht, Alendronat einmal pro Woche wegen guter und länger persistierender Wirksamkeit sowie geringer Kosten das Mittel der ersten Wahl. Daneben sind die zuvor beschriebenen Basismaßnahmen konsequent anzuwenden. Bei parenteraler Gabe von Bisphosphonaten oder Denosumab muss unbedingt eine ausreichende Kalzium-Versorgung sichergestellt werden.

Kontrollen

Verträglichkeit und Adhärenz sind anfangs engmaschig zu kontrollieren. Die Indikation für Laborkontrollen hängt vom Ausgangsbefund und der Therapie bei diesen meist multimorbiden Patienten ab. Nach drei bis fünf Jahren sollte eine Re-Evaluation der Osteoporose stattfinden. Die Fortsetzung der spezifischen Therapie hängt von der erneuten Nutzen-Risiko-Abwägung ab. Es gibt aber – außer für Teriparatid— keine Obergrenze. Wenn innerhalb von drei Jahren mehr als eine neue Fraktur eintritt, sollte die Therapiestrategie ebenfalls neu überdacht werden ("Therapieversagen").


Literatur
1. Allan GM et al. Vitamin D: A Narrative Review Examining the Evidence for Ten Beliefs. J Gen Intern Med, online 7. März 2016; doi: 10.1007/s11606-016-3645-y
2. Hansen KE et al: Treatment of Vitamin D Insufficiency in Postmenopausal WomenA Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med. 2015;175(10):1612-1621. doi:10.1001/jamainternmed.2015.3874



Autor:

Prof. Dr. med. Erika Baum

Fachärztin für Allgemeinmedizin
35444 Biebertal
Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)

Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (1) Seite 14-16