Frage: Ich habe eine Frage bezüglich der Umsetzbarkeit der Varizellenimpfempfehlung nach den neuen RKI-Richtlinien: Meines Wissens nach ist die Durchführung einer Titerbestimmung keine GKV-Leistung, die Bereitschaft der Betroffenen (Migrant:innen, junge Arbeitnehmer:innen im Pflegebereich), diese Leistung selbst zu bezahlen, jedoch eher gering. Die Anamnese ist oft mehr als unsicher. Gibt es hier die Möglichkeit einer kostenneutralen Umsetzung für die Betroffenen?

Antwort

Bei Varizellen ("Windpocken") handelt es sich neben Masern um eine der ansteckendsten Infektionserkrankungen des Menschen überhaupt: In der Literatur sind Ansteckungen über mehrere Stockwerke beschrieben. Ausbrüche von Varizellen treten in Deutschland vor allem in Gemeinschaftseinrichtungen und Einrichtungen für Asylsuchende und Geflüchtete auf.

Die Impfung gegen Varizellen dient auch dem Schutz von Mitarbeiter:innen und Bewohner:innen.

Die monovalenten Varizellenimpfstoffe werden in der Literatur als gut verträglich beschrieben. Sehr häufig kann es nach Impfung zu Rötung und Schwellung am Injektionsort sowie häufig zu Fieber ≥ 38 °C kommen. Zudem kann ein varizellenartiger Hautausschlag etwa 15–42 Tage nach Impfung auftreten.

Gegen die Windpocken besteht nach durchgemachter Krankheit in der Regel eine lebenslange Immunität. Reinfektionen kommen vor, sind aber sehr selten.

Bei der Frage muss zwischen der beruflichen Indikation und der Impfung für Migrant:innen selbst unterschieden werden.

Berufliche Indikation

Die STIKO empfiehlt seit Januar 2020, "seronegative Personen" mit beruflicher Tätigkeit in medizinischen Einrichtungen, Pflegeeinrichtungen, Gemeinschaftseinrichtungen und in Einrichtungen zur Unterbringung von Asylbewerber:innen zweimal gegen Varizellen zu impfen. Nach dem Infektionsschutzgesetz von 2011, 23 (Abs. 3 IfSG) sind die Leiter:innen von medizinischen Einrichtungen verpflichtet, nosokomiale Infektionen zu verhüten. Hierzu gehört auch die Impfung von Mitarbeiter:innen gegen Masern, Mumps, Röteln und Varizellen. Die Erstimpfung ist nach G-BA mit der Dokumentationsziffer "89401 V", die letzte Impfung eines Impfzyklus mit der Dokumentationsziffer "89401 W" zu dokumentieren.

Die Impfung gegen Varizellen dient dem Schutz von Mitarbeiter:innen und Patient:innen/Bewohner:innen. Als Kostenträger kommen deshalb sowohl die gesetzliche Krankenkasse als auch der Arbeitgeber (wenn die Impfung dem Schutz des Arbeitnehmers dient) nach der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) infrage.

Punkt 4.1 der arbeitsmedizinischen Regel Nr. 6.5 lautet: "Ob der Immunschutz ausreicht, wird durch die Bewertung der vorhandenen Impfnachweise und ggf. die Bestimmung von geeigneten spezifischen Antikörpern im Blut festgestellt. Hier könnte der Arbeitgeber gefragt werden, ob er auch die Kosten für die Titerbestimmung übernimmt."

Impfempfehlungen für Migrant:innen und Asylsuchende nach Ankunft in Deutschland

Kinder und Jugendliche, die ungeimpft sind bzw. deren Impfstatus unklar ist, sollten nach STIKO unter anderem eine Impfung gegen Varizellen, erhalten. Bei den erwachsenen Migrant:innen sollen seronegative Frauen mit Kinderwunsch unter anderem gegen Varizellen geimpft werden.

Für mich stellt sich die Frage, ob wirklich immer eine Titerbestimmung erfolgen muss.

Bei Patient:innen, die bereits eine Varizellenerkrankung durchgemacht haben, ist nach STIKO keine Titerbestimmung erforderlich: Studien belegen, dass die Angabe einer früher durchgemachten Varizellenerkrankung mit typischem klinischem Bild eine hohe Aussagekraft besitzt. Nach STIKO sollte "in Zweifelsfällen die Varizellenimpfung jedoch durchgeführt werden" – hier geht die STIKO nicht auf die Titerbestimmung ein, sondern empfiehlt "im Zweifelsfall" die Impfung. Explizit empfohlen wird die Titerbestimmung von der STIKO zum Nachweis eines Varizellenschutzes bei Frauen mit Kinderwunsch und unklarer Varizellenanamnese. Bei diesen besteht die Möglichkeit, dass sie zum Zeitpunkt der Impfung bereits schwanger sind, was vermieden werden sollte.

Ich persönlich würde eine Titerbestimmung also nur durchführen:
  • bei Frauen mit Kinderwunsch und unklarer Impf-Varizellenanamnese auf Kosten der Krankenversicherung,
  • bei beruflicher Indikation – hier sollte nachgefragt werden, ob der Arbeitgeber die Kosten übernimmt.|


Literatur:
Epidemiologisches Bulletin 2,2020
Epidemiologisches Bulletin 34 | 2020
Schutzimpfungs-Richtlinie:Gemeinsamer Bundesausschuss: Umsetzung der STIKO-Empfehlung zur Impfung gegen Masern, Mumps, Röteln oder Varizellen aufgrund beruflicher Indikation Beschlussdatum: 05.03.2020
Arbeitsmedizinische Regel Nr. 6.5 Impfungen als Bestandteil der arbeitsmedizinischen Vorsorge bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen GMBl Nr. 76-77 vom 23. Dezember 2014, S. 1577 Zuletzt geändert und ergänzt: GMBl Nr. 23, 7. Juli 2017, S. 407
Heininger U, Baer G, Bonhoeffer J, Schaad UB: Reliability of varicella history in children and adolescents. Swiss Med Wkly 2005 Apr 30;135 (17 – 18):252 – 255


Autor

Dr. Andreas Leischker

Klinik für Innere Medizin
Alexianer Krefeld GmbH
47918 Krefeld

Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (2) Seite 44-45