Eine zweite ärztliche Leichenschau, wie sie beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern vor der Kremierung vorgeschrieben ist, bietet eine letzte Möglichkeit, unklare Befunde und möglicherweise nicht natürliche Todesursachen aufzudecken. Sie kann außerdem als Qualitätsindikator für die obligatorische erste Leichenschau dienen. Im Rahmen einer Studie offenbarten sich hierbei mehrere Problemfelder.

Die ärztliche Leichenschau gilt als der letzte Dienst des Arztes am Patienten. Ihr Ziel liegt in der Feststellung des Todes, des Todeszeitpunktes, der Todesursache und der Todesart. Zu Fehlern bei der Durchführung der Leichenschau kommt es häufig durch falsch verstandene Rücksichtnahme auf Angehörige. Das führt dazu, dass eine gewisse Anzahl nicht natürlicher Tode verkannt wird [3].

In Mecklenburg-Vorpommern besteht entsprechend § 12 des Gesetzes über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen eine gesetzliche Pflicht, dass jeder Verstorbene, der einer Feuerbestattung zugeführt werden soll, eine zweite ärztliche Leichenschau erhalten muss. Diese soll durch einen vom Gesundheitsamt ermächtigten Facharzt für Rechtsmedizin durchgeführt werden. Für die im Einzugsgebiet des Institutes für Rechtsmedizin Greifswald befindlichen Krematorien Greifswald und Neubrandenburg wird diese Aufgabe durch die Fachärzte des Institutes übernommen. Ziel ist die Feststellung bisher nicht entdeckter nicht natürlicher bzw. ungeklärter Todesfälle, sodass die Krematoriumsleichenschau die letzte Möglichkeit bietet, unklare Befunde am Leichnam und Unklarheiten der Todesbescheinigung aufzudecken. In diesem Sinne kann die Krematoriumsleichenschau auch als Indikator für die Qualität der obligatorischen ärztlichen Leichenschau angesehen werden [1, 2, 4].

Vorgehensweise

Im Rahmen der Krematoriumsleichenschau erfolgt regelmäßig die Überprüfung der Todesbescheinigungen sowie eine erneute, vollständige Untersuchung des entkleideten Leichnams. Die Datenerhebung umfasste neue Erkenntnisse, die sich aus der zweite Leichenschau ergaben und so nicht in der Todesbescheinigung dokumentiert waren. Dazu zählten Verletzungen nach stumpfer oder scharfer Gewalteinwirkung (Abb. 1), petechiale Einblutungen in die Lid- und Lidbindehäute (Abb. 2 und 3) sowie in die Gesichtshaut, abnorme Beweglichkeit von Gliedmaßen als Hinweis auf Frakturen, Folgen thermischer Einwirkung und Strangmarken. Ebenso wurden in der Auswertung Unklarheiten bei der Überprüfung der Todesbescheinigung sowie die Daten der entsprechenden Todesbescheinigungen registriert. Ferner wurde dokumentiert, ob eine Anzeige des Sterbefalls erfolgte und inwiefern bei den durch uns angezeigten Todesfällen eine Sektion angeordnet wurde.

Insgesamt wurden von 2011 bis Juli 2015 36.801 Sterbefälle untersucht. Bei 3,2 % der Verstorbenen (n=1.196) wurde die Einäscherung zunächst angehalten. Von diesen Verstorbenen wurden 58,3 % bei der Polizei angezeigt, 41,4 % konnten nach telefonischer Rücksprache mit dem Leichenschauarzt, dem zuletzt behandelnden Arzt oder dem Hausarzt durch die Rechtsmedizin geklärt werden. In 21,8 % der angezeigten Sterbefälle wurde eine gerichtliche Sektion angeordnet.

Befunde bei der zweiten Leichenschau

Der häufigste Grund für das Anhalten des Leichnams vor der Einäscherung waren Auffälligkeiten bei der zweiten Leichenschau selbst (38,04 %), dabei handelte es sich um nicht dokumentierte Verletzungen am Leichnam. In erster Linie wurden Verletzungen nach stumpfer Gewalteinwirkung, wie Unterblutungen des Gesichtes, in den Todesbescheinigungen nicht angegeben (n = 342). Petechien (n = 84), ein Zustand nach Operation (n = 22), Frakturen (n = 20), Verletzungen infolge scharfer Gewalteinwirkung (n = 13), aber auch eine unklare Identität (n = 16) zählten zu den am häufigsten festgestellten Auffälligkeiten. Als zweithäufigste Ursache, die zu einem Anhalten der Einäscherung führte, konnten mangelhaft erklärte Angaben der Todesbescheinigung identifiziert werden (n = 329, 27,5 %). Beispielhaft zu nennen sind hier nicht näher erläuterte Umstände einer in der Todesursachenkette der TB dokumentierten "Aspiration" oder "Aspirationspneumonie" oder unzureichend beschriebene Umstände eines Dekubitus. Weiterhin führte ein nicht korrekt bedachter innerer Zusammenhang zwischen Todesursache und Todesart (n = 265, 22,1 %), d. h. ein als natürlich deklarierter nicht natürlicher Tod zu einem Anhalten. Seltener war ein nicht natürlicher oder ungeklärter Todesfall nicht angezeigt worden (n = 64, 5,3%) oder ein stark fäulnisveränderter Leichnam sollte eingeäschert werden, dessen Identität anhand der äußeren Leichenschau offensichtlich nicht zu klären war (n = 151, 25 %).

Im Zuge der zweiten Leichenschau stellten sich somit bei 60,7 % der angehaltenen, zunächst als natürlich deklarierten Sterbefälle (n = 726) Anhaltspunkte für einen nicht natürlichen Tod dar, während bei 33,4 % der Anhaltungen (n = 400) auch nach der zweiten Leichenschau nachweislich ein natürlicher Tod vorlag. Die Leichenschauen in unserem Einzugsgebiet werden überwiegend von klinisch tätigen oder niedergelassenen Ärzten durchgeführt. Dabei wurden von niedergelassenen Ärzten vor allem petechiale Einblutungen der Lid- und Lidbindehäute und der Gesichtshaut nicht erkannt und/oder nicht dokumentiert. Verletzungen infolge stumpfer Gewalteinwirkung wurden dagegen etwa gleich häufig durch Klinikärzte oder niedergelassene Ärzte nicht dokumentiert.

Häufige Fehlerquellen

Unsere Untersuchungen ergaben in 3,2 % der Fälle Auffälligkeiten, die zunächst zu einem Anhalten des Prozesses der Einäscherung führten. Problematisch erschien insbesondere das Erkennen und/oder die Dokumentation von Verletzungen durch stumpfe Traumatisation. Telefonische Rückfragen unsererseits bei den betreffenden Leichenschauärzten ergaben vielfach, dass es sich hier um Bagatellverletzungen handelte, die klinisch abgeklärt wurden und nicht kausal für den Todeseintritt angenommen werden mussten. Das Nichterkennen von Petechien stellt ein weiteres Problemfeld bei der ärztlichen Leichenschau dar. Als Erklärung bietet sich an, dass das notwendige Ektropionieren der Augenlider durch einen Großteil der Leichenschauärzte nicht erfolgt und somit insbesondere punktförmige Einblutungen der Lidbindehäute übersehen werden. Ebenfalls bereitet das Erkennen des korrekten inneren Zusammenhanges zwischen Todesursache und Todesart den Ärzten in der ersten Leichenschau offensichtlich Schwierigkeiten, das zeigten auch unsere Rückfragen.▪


Literatur
1. Heinemann A., Lockemann U., Matschke J., Tsokos M. Püschel K. Dekubitus im Umfeld der Sterbephase: Epidemiologische, medizinrechtliche und ethische Aspekte. Dtsch. Med. Wschr. 2000; 125: 45 - 51
2. Heinemann A., Tsokos M. Püschel K. Medico-legal aspects of pressure sores. Legal Medicine 2003; 5; 263 – 266
3. Madea B. Ärztliche Leichenschau und Todesbescheinigung: Kompetente Durchführung trotz unterschiedlicher Gesetzgebung der Länder. Dtsch Ärztebl 2003; 100(48): A-3161/ B-2633/ C-2458
4. Tsokos M., Heinemann A., Püschel K. Pressure sores: epidemiology, medico-legal implications and forensic argumentation concerning causality. Int. J. Legal Med. 2000; 113(5):283-7



Autorin:

Diana Brackrock

Institut für Rechtsmedizin Greifswald
17489 Greifswald

Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (12) Seite 26-28