Schmerzerkrankungen im Gesicht sind komplex und erfordern eine umfassende Diagnostik. Die Trigeminusneuralgie ist durch blitzartig einschießende, elektrisierende spontane oder evozierte Schmerzen charakterisiert. Der anhaltende idiopathische Gesichtsschmerz ("atypischer Gesichtsschmerz") wird häufig diffus in der Tiefe zum Teil mit wechselnder Lokalisation wahrgenommen. Die psychische Komorbidität muss bei der Behandlung von Beginn an mitberücksichtigt werden.

Zum typischen Gesichtsschmerz zählt die klassische Trigeminusneuralgie mit paroxysmal einschießenden, elektrisierenden Schmerzen. Diese Paroxysmen können spontan auftreten oder durch Kauen, Sprechen, Berührung oder kalten Luftzug ausgelöst werden. Davon abgegrenzt werden nicht-typische Schmerzen, die meist anhaltend im Gesicht bestehen und früher als atypische Gesichtsschmerzen bezeichnet wurden. Die aktuelle Nomenklatur (ICHD-3 beta) [1] der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft (IHS) bezeichnet diese Schmerzen als anhaltenden idiopathischen Gesichtsschmerz (Persistent Idiopathic Facial Pain; PIFP) [1]. Eine enorale Variante dieser Erkrankung wird im Kommentar der Internationalen Klassifikation der Kopfschmerzerkrankungen (ICHD-3-beta) als atypische Odontologie vorgeschlagen. In neueren Arbeiten wird für die enorale Variante auch der Begriff der persistierenden dento-alveolären Schmerzstörung (persistent dentoalveolar pain disorder) vorgeschlagen [2]. Die Diagnosekriterien der Erkrankungen sind im nebenstehenden Kasten aufgeführt.

Differenzialdiagnose aufgrund der Beschwerden

Die Beschwerden einer klassischen Trigeminusneuralgie sind in aller Regel auf einen oder zwei benachbarte trigeminale Äste beschränkt; die Schmerzen folgen der peripheren anatomischen Gliederung des Nervus trigeminus: N. supraorbitalis, N. infraorbitalis, N. mentalis. Die Patienten schildern einschießende, elektrisierende, spontane und evozierte Attacken. Häufig treten die Schmerzen in kurzen Serien auf, danach folgt eine Pause. Manchmal kommt es begleitend zum Zucken des betroffenen mimischen Muskelareals (Tic douloureux).

Die Schmerzen einer Trigeminusneuralgie lassen sich in aller Regel exakt lokalisieren und wechseln nicht ihr Ausbreitungsgebiet oder die betroffene Seite des Gesichtes. Die Beschwerden werden oberflächlich im Gesicht wahrgenommen und treten in Ruhe deutlich seltener auf. Bei der klassischen Trigeminusneuralgie besteht wie oben erwähnt zwischen den Paroxysmen Beschwerdefreiheit.

Patienten berichten aber auch über anhaltende Schmerzen zwischen den Attacken, das scheint vor allem bei längerem Erkrankungsverlauf aufzutreten, sodass die neue Klassifikation eine klassische Trigeminusneuralgie mit ausschließlich paroxysmalen Schmerzen von einer Form mit einem persistierenden Gesichtsschmerz zwischen den Attacken unterscheidet [1].

Das Beschwerdebild des anhaltenden idiopathischen Gesichtsschmerzes ist deutlich von der klassischen Trigeminusneuralgie zu unterscheiden, trotzdem werden die beiden Krankheitsbilder häufig verwechselt. Die Beschwerden beginnen häufig lokal begrenzt, typischerweise an der Wange, und werden meist in der Tiefe wahrgenommen, sie sind nicht neuralgisch einschießend, sondern dumpf. Die Beschwerdeschilderung der Patienten ist in der Regel sehr eindrücklich und häufig emotional gefärbt. Die Schmerzen werden als quälend und grausam beschrieben, gelegentlich werden auch Ähnlichkeiten zum neuropathischen Schmerz berichtet, auch wenn ein Brennschmerz nicht ganz typisch für den anhaltenden idiopathischen Gesichtsschmerz ist.

Die Schilderungen können teilweise auch bizarr anmuten, und die Patienten halten sehr an ihren subjektiven Krankheitstheorien fest. Bei den meisten Patienten wird in der Anamnese bereits der immens hohe Leidensdruck offensichtlich. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Beim anhaltenden idiopathischen Gesichtsschmerz handelt es sich um eine Ausschlussdiagnose. Er wird dadurch beschrieben, dass er bestimmte Charakteristika nicht erfüllt (Kasten): keine Neuralgie, keine Zeichen einer organischen Läsion, kein sensorisches Defizit und keine relevanten pathologischen Befunde in der Zusatzdiagnostik. Im Verlauf zeigt der Schmerz häufig Variationen in Lokalisation und Ausprägung, er folgt keiner anatomischen Struktur, gelegentlich scheint er sogar die Gegenseite zu betreffen. Typischerweise ist der Nachtschlaf durch den Schmerz kaum beeinträchtigt. Psychische Anspannung, Stress und emotionale Belastungen können zur Schmerzverstärkung führen, aber auch Wettereinflüsse werden gelegentlich als schmerzverstärkend berichtet.

Diagnostik

Bei allen Gesichtsschmerzen ist eine sorgfältige interdisziplinäre Diagnostik erforderlich. Der klinisch-neurologische Befund sollte vollständig erhoben werden, besondere Aufmerksamkeit liegt hierbei auf der trigeminalen Sensibilität. Bei Gesichtsschmerzen ist eine Schmerzzeichnung sinnvoll. Der Verlauf der Schmerzen lässt sich grafisch gut darstellen oder in einem Tagebuch dokumentieren. Die Anamnese sollte auch zurückliegende Eingriffe und bisher eingesetzte Medikamente umfassen. Insbesondere beim anhaltenden idiopathischen Gesichtsschmerz und bei der persistierenden dento-alveolären Schmerzstörung sollte die zahnärztliche Diagnostik eine dentale Pathologie sicher ausschließen. Bei der Trigeminusneuralgie ist eine Magnetresonanztomografie (MRT) des Schädels mit einer MR-Angiografie in hoher Auflösung im Bereich des Hirnstammes notwendig, um im weiteren Verlauf auch über die Indikation zur operativen Therapie (mikrovaskuläre Dekompression nach Jannetta) sprechen zu können.

Zahlreiche Differenzialdiagnosen sind zu bedenken, da im Gesicht viele unterschiedliche Strukturen Schmerzen verursachen können. Genannt seien Erkrankungen des Kiefers, der Nase und der Nasennebenhöhlen, der Augen und der Orbita, die Myoarthropathie des Kausystems (MAP) beziehungsweise die kraniomandibuläre Dysfunktion (CMD), neuropathische Gesichtsschmerzen (z. B. die postherpetische Neuralgie), (post-)traumatische Gesichtsschmerzen sowie primäre Kopfschmerzerkrankungen wie die Migräne.

Bei anhaltenden Schmerzsyndromen ist anamnestisch und/oder mithilfe geeigneter Fragebögen das Ausmaß der schmerzbezogenen Beeinträchtigung und der psychischen Komorbidität zu erheben [7]. Bei Gesichtsschmerzen werden häufig die Kriterien der ICD-Diagnose F45.41 "Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren" erfüllt. Sie erfasst die Multidimensionalität des chronischen Schmerzsyndroms, das weder monokausal-somatisch noch monokausal-psychisch erklärt werden kann [8]. Häufig wird bei den Beschwerden eines anhaltend idiopathischen Gesichtsschmerzes (aber auch einer klassischen Trigeminusneuralgie) vom Patienten eine odontogene Schmerzursache oder eine Pathologie der Nasen-Nebenhöhlen angenommen und ein Zahnarzt sowie ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt aufgesucht. Nicht selten erfolgen dann gerade auf Drängen der Patienten Zahnbehandlungen und Extraktionen sowie operative Eingriffe am Sinus. Das kann die Beschwerden im Verlauf dann sogar verschlimmern, denn jeder Eingriff geht mit dem Risiko einer weiteren Schädigung einher [3 – 5].

Behandlung

Die Trigeminusneuralgie wird primär medikamentös behandelt. Das Ansprechen auf Car-bamazepin oder Oxcarbazepin ist gut, problematisch ist – je nach Dosierung – die zum Teil schlechte Verträglichkeit bei den überwiegend alten Patienten. Ausweichsubstanzen sind dann Gabapentin, Pregabalin, Topiramat, aber auch Lamotrigin und weitere Substanzen [9]. Überbrückend kann eine Nervus-occipitalis-Blockade hilfreich sein – diese ist beim anhaltenden idiopathischen Gesichtsschmerz hingegen meist nicht wirksam [10]. Die erfolgreiche medikamentöse Behandlung der Trigeminusneuralgie kann im Verlauf immer schwieriger werden, da der Schädigungsprozess durch die neurovaskuläre Kompression fortschreiten kann. Die Indikation zur Operation (mikrovaskuläre Kompression nach Jannetta oder periphere Eingriffe am Ganglion trigeminale) muss in Absprache mit dem Neurochirurgen und unter Berücksichtigung des Alters und des Erkrankungsverlaufes gestellt werden [9].

Die Behandlung des "anhaltenden idiopathischen Gesichtsschmerzes" und der persistierenden dento-alveolären Schmerzstörung ist komplexer und die Studienlage ungleich schlechter als diejenige zur Behandlung der Trigeminusneuralgie. Die Behandlung beider Erkrankungen unterscheidet sich konzeptionell nicht. An erster Stelle steht das ärztliche Aufklärungsgespräch. Häufig wird hier die Grundlage für ein gutes Vertrauensverhältnis gelegt. Die Patienten sind oft erleichtert, endlich eine konkrete Diagnose zu erhalten. Der Autor empfiehlt aber, den Begriff des anhaltenden idiopathischen Gesichtsschmerzes zu verwenden und nicht den Begriff des "atypischen Gesichtsschmerzes". Die Patienten sollten keinesfalls den Eindruck erhalten, ihre Diagnose sei unklar, da sonst weitere Diagnostik eingefordert wird.

Analgetika wie die nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) sind in aller Regel nicht wirksam. Die Pharmakotherapie ist insgesamt schwierig und orientiert sich nicht an der Behandlung von akuten Schmerzen. Bevorzugt werden trizyklische Antidepressiva (Amitriptylin, Nortriptylin oder Amitriptylinoxid) eingesetzt. Um eine gute Akzeptanz beim Patienten zu erzielen, muss umfassend aufgeklärt und möglichst langsam ein- und gegebenenfalls aufdosiert werden. In einer Verlaufsuntersuchung zur niedrig dosierten Amitriptylintherapie über ein Jahr zeigten 75 % der Patienten eine signifikante Schmerzlinderung nach einem Monat und 93 % nach einem Jahr [11]. Es empfiehlt sich, den Patienten gerade in der Aufdosierungsphase engmaschig zu betreuen und zumindest telefonisch Rücksprache zu halten. Für dual auf Serotonin und Noradrenalin wirkende Antidepressiva (Venlafaxin, Duloxetin) steht der Wirksamkeitsnachweis aus Studien noch aus, sie können wie Mirtazapin im Einzelfall aber gerade unter Berücksichtigung der psychischen Komorbidität (Depressionen, Angststörungen [8]) sehr hilfreich sein.

Auch andere Substanzen zur Behandlung neuropathischer und chronischer Schmerzen können eingesetzt werden (z. B. Antikonvulsiva) [12]. Auch der Einsatz von Schienen mit Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen ist möglich [6]. Aufgrund der wenig trennscharfen Diagnosekriterien erfüllen Patienten mit anhaltenden idiopathischen Gesichtsschmerzen und dento-alveolärer Schmerzstörung häufig auch die Kriterien einer somatoformen Schmerzstörung beziehungsweise ist eine Abgrenzung gegenüber dieser Diagnose schwer. Das erfordert eine frühe psychologische, gegebenenfalls auch psychiatrische Mitbehandlung. Auch psychopathologisch unauffällige chronische Schmerzpatienten können von einer unterstützenden Psychotherapie zur Schmerzbewältigung und Krankheitsakzeptanz profitieren. Und eine solche Therapie sollte auch nicht erst nach einer endlos langen Reihe von Behandlungsversuchen beginnen, denn sonst kann beim Patienten der Eindruck entstehen, die psychologische Diagnostik und die psychotherapeutische Therapie seien eine Konsequenz ärztlicher Ratlosigkeit oder eine Folge vorausgegangenen Therapieversagens.

Kognitive Verhaltenstherapie kann bei orofazialen Schmerzen wirksam sein [13, 14]. Ein multimodaler Ansatz, der Edukation, kognitive Verhaltenstherapie, Pharmakotherapie, Entspannungsverfahren und spezialisierte Physiotherapie integriert, ist möglicherweise optimal.


Literatur:
1. Committee of the International Headache Society (IHS). The International Classification of Headache Disorders, 3rd edition (beta version). Cephalalgia 2013; 33: 629–808.
2. Nixdorf DR, Drangsholt MT, Ettlin DA, Gaul C, De Leeuw R, Svensson P, Zakrzewska JM, De Laat A, Ceusters W: International RDC-TMD Consortium. Classifying orofacial pains: a new proposal of taxonomy based on ontology. J Oral Rehabil 2012; 39: 161–9
3. Nixdorf DR, Moana-Filho EJ, Law AS, McGuire LA, Hodges JS, John MT: Frequency of persistent tooth pain after root canal therapy: a systematic review and meta-analysis. J Endod 2010; 36: 224–30.
4. Jones NS, Cooney TR: Facial pain and sinonasal surgery. Rhinology 2003; 41: 193–200.
5. Kehlet H, Jensen TS, Woolf CJ: Persistent postsurgical pain: risk factors and prevention. Lancet 2006; 367: 1618–25.
6. Gaul C, Ettlin D, Pfau DB: Anhaltender idiopathischer Gesichtsschmerz und atypische Odontalgie. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes 2013; 107: 309–13.
7. Macfarlane TV, Kincey J, Worthington HV: The association between psychological factors and oro-facial pain: a community-based study. Eur J Pain 2002; 6: 427–34.
8. Nilges P, Rief W: F45.41 Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Schmerz 2010; 24: 209–212.
9. Gaul C, Diener HC: Kopf- und Gesichtsneuralgien. In: Brandt T, Diener HC, Gerloff C (Hrsg). Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen,
6. Auflage, Kohlhammer, 2012: 45–57.
10. Jürgens TP, Müller P, Seedorf H, Regelsberger J, May A: Occipital nerve block is effective in craniofacial neuralgias but not in idiopathic persistent facial pain. J Headache Pain 2012; 13: 199–213.
11. Guler N, Durmus E, Tuncer S: Long-term follow-up of patients with atypical facial pain treated with amitriptyline. N Y State Dent J 2005; 71: 38–42.
12. Finnerup NB et al.: Pharmacotherapy for neuropathic pain in adults: a systematic review and meta-analysis. Lancet Neurol 2015; 14: 162– 73.
13. Stowell AW, Gatchel RJ, Wildenstein L: Cost-effectiveness of treatments for temporomandibular disorders: biopsychosocial intervention versus treatment as usual. J Am Dent Assoc 2007; 138: 202–8.
14. Aggarwal VR, Tickle M, Javidi H, Peters S: Reviewing the evidence: can cognitive behavioral therapy improve outcomes for patients with chronic orofacial pain? J Orofac Pain 2010; 24: 163–71.



Autor:

PD Dr. med. Charly Gaul

Migräne- und Kopfschmerzklinik Königstein
61462 Königstein im Taunus

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (3) Seite 20-24