Das berufspolitische Oktoberfest bei der practica in Bad Orb ist in jedem Jahr ein Seismograf für die Stimmung der Allgemeinärzt:innen im Land. Lange Zeit beklagten sie sich zu Recht immer wieder über ihr dürftiges Honorar. Dann kamen die Selektivverträge. Für die Hausärzt:innen, die diese nutzten, honorarmäßig ein wahrer Segen. Von den Honorarverbesserungen profitierten mit der Zeit aber alle Hausarztpraxen, weil auch viele Leistungen im GKV-Katalog aufgewertet wurden.

Kein Lob für hausärztliche Praxisteams

Alles eitel Sonnenschein also? Keineswegs. Denn es gibt neue Traumata für die Hausärzteschaft: die mangelnde Wertschätzung ihres Daseins. Zwar wird die Arbeit der Hausärzt:innen in der Bevölkerung überaus wertgeschätzt. "Ganz im Gegensatz zur Politik", monierte die junge Allgemeinärztin Dr. Eleonor Heinz vom Bundesvorstand des Hausärzteverbandes beim Oktoberfest. Beispiele gab es in Bad Orb zur Genüge. So haben die Hausärzt:innen in ihrer Praxis zwar maßgeblich zur Bewältigung der Corona-Pandemie beigetragen. Doch die Meriten haben andere eingefahren: die Impfzentren, die als die entscheidenden Säulen der Pandemiebekämpfung gepriesen wurden, die Wissenschaftler:innen, denen man alle Falschprognosen verzieh, und die Politiker:innen, die ihr widersprüchliches Handeln auch noch als Erfolg verkaufen. Doch wo blieb das Lob für die Hausärzt:innen, die mit ihren Praxisteams so viel auf sich geladen haben? Und wo bleibt eigentlich grundsätzlich die Anerkennung für die jungen Allgemeinmediziner:innen, die ja heute bestens qualifiziert sind. Seit Jahren beklagen sie, dass man ihnen sowohl vonseiten der Politik wie auch vieler fachärztlicher Kolleg:innen viel zu wenig medizinische Kompetenz zutraut. Echte Wertschätzung sieht echt anders aus.

Hausärzt:innen müssen das Heft in die Hand nehmen

Kein Wunder, dass in diesem Jahr diese eine Botschaft das Oktoberfest besonders geprägt hat: Es führt kein Weg daran vorbei, dass die Hausärzt:innen das Heft noch stärker in die Hand nehmen. So brachte es Eleonor Heinz auf den Punkt und erntete dabei viel Beifall – besonders von den vielen jungen Teilnehmenden. Und diese empfohlene Rezeptur funktioniert auch bereits zum Teil. Etwa bei der Delegation, bei der der Hausärzteverband mit der VERAH einen erfolgreichen eigenständigen Weg eingeschlagen hat. Oder bei der Hausarztzentrierten Versorgung, mit der sogar jahrzehntelang festgezurrte Strukturen aufgebrochen und neue Vertragsformen in Eigenregie etabliert werden konnten.

Zunehmend das Heft in die Hand nehmen will die Allgemeinmedizin nun auch die Dinge bei der Versorgungsforschung und Digitalisierung. Das zeigt: Auch auf die neue Bundesregierung setzen die Hausärzt:innen keine allzu großen Erwartungen, mit ihrer Arbeit wertgeschätzt zu werden. Aber vielleicht gibt es ja auch hier eine Kehrtwende. Auflösung dann beim nächsten Oktoberfest in einem Jahr...


...meint Ihr

Raimund Schmid


Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (12) Seite 30