Jugendliche sind für sich selbst und oft auch für ihre Umgebung unerträglich. Sie sind nicht mehr Kind, aber auch noch nicht erwachsen. Sie sind selbst unsicher, verunsichern aber mit ihren Launen auch alle, die mit ihnen umgehen müssen – auch Ärzte und ihre Mitarbeiter. Doch mit etwas Know-how und Einfühlungsvermögen kann der Hausarzt die Weichen stellen, dass aus dem Teenie ein Erwachsener wird, der seinem Arzt vertraut, Verantwortung für seine Gesundheit übernimmt und am Therapieerfolg mitarbeitet.

Jugendliche sind in der Hausarztpraxis ein eher seltenes Klientel. Das liegt zum einen daran, dass sie sich meistens gesund fühlen, zum anderen, dass man nicht so richtig weiß, wer zuständig ist ‒ der Kinderarzt scheint es nicht mehr zu sein. Das ist vielleicht auch ein Grund, dass Vorsorgeuntersuchungen im Jugendalter bei weitem nicht so nachgefragt sind wie im Kleinkindalter.

Die Sache mit dem Siezen
Generell wird, wie in der Schule, ab 16 Jahren gesiezt. In der Arztpraxis kann auch gelten: Wer erwachsen aussieht, will offensichtlich mit Sie angesprochen werden. Auch bei Patienten, die man seit dem Kindergartenalter betreut, ist der Wechsel vom Du zum Sie meist erwünscht. Bewährt hat sich hier eine Ankündigung: "In deinem Alter sieze ich in der Regel die jugendlichen Patienten. Wenn es für dich in Ordnung ist, gehe ich jetzt auch bei dir zum Sie über." Jugendliche orientieren sich stark an Gleichaltrigen. Die Einleitung, künftig zu siezen, und der Verweis auf Gleichaltrige lässt die Jugendlichen meist positiv reagieren – sie fühlen sich ernst genommen.

Kommen aber Teenager in die Praxis, bietet sich dem Allgemeinarzt die Chance, das künftige Verhältnis zu Ärzten positiv mitzuprägen. Er kann ein langfristiges Vertrauensverhältnis aufbauen, Gesundheitsbewusstsein wecken, Eigenverantwortung bei der Therapie vermitteln ‒ kurz: ihn zum mündigen Patienten heranbilden, schreibt Christoph Rutishauser in der Zeitschrift "Praxis" [1].

Zugegeben, der Umgang mit Jugendlichen ist nicht immer angenehm. Wer selbst Kinder hat und deren Pubertät mit durchleidet, weiß, dass die Launen schnell wechseln. Sie schwanken zwischen Unsicherheit, Ängsten, einer "Null-Bock-auf-gar-nichts"-Haltung oder auch einem selbstüberschätzenden omnipotenten Verhalten. Entsprechend schwankt der Jugendliche auch in der Arztpraxis zwischen Verunsicherung gegenüber der ärztlichen Fach- und evtl. Autoritäts-Person, der Diagnostik und Therapie einerseits und dem Wunsch nach Mitsprache und Autonomie andererseits. Die Stimmungsschwankungen liegen unter anderem an den wechselnden Hormonschüben, aber auch an der Hirnentwicklung: Das limbische System mit den Impulsen für Erregung und Emotionen entwickelt sich schneller als der präfrontale Kortex, der unter anderem für die Impulskontrolle zuständig ist.

Jugendlichen direkt ansprechen

Jugendlicher ist nicht gleich Jugendlicher. Die Pubertät umfasst einen Zeitraum von acht Jahren und mehr. Nicht umsonst wird hier zwischen früher, mittlerer und später Adoleszenz unterschieden (vgl. Tabelle 1), die unterschiedlich schnell durchlaufen werden. Wobei in der frühen Adoleszenz die Frage "Bin ich normal?" im Vordergrund steht, in der mittleren mehr die Identifikationsfrage "Wer bin ich?" die Jugendlichen umtreibt, und in der späten Adoleszenz der Weg ins Leben gesucht wird ("Wohin gehe ich?"). Entsprechend schwierig gestaltet sich hier der altersgerechte Umgang. Zentraler Punkt für alle Altersgruppen bzw. Entwicklungsstadien ist es, den Heranwachsenden als eigene Person wahrzunehmen. Das heißt beispielsweise, den Teenie direkt anzusprechen und nicht mit der Begleitperson (in der Regel die Mutter) über ihn zu reden ‒ womöglich noch über seinen Kopf hinweg. Auch die Mitarbeiter beim Empfang sollten zuerst den Jugendlichen begrüßen und dann erst die Mutter. Er soll auch selbst die Fragen nach den administrativen Basics wie Namen, Geburtsdatum, früheren Besuchen etc. beantworten, und erst wenn er es nicht weiß, ist die Mutter gefragt.

Vier-Augen-Gespräch

Dieses Konzept des "Ernstnehmens" setzt sich im Sprechzimmer fort. Als vertrauensbildende Maßnahme empfiehlt es sich, dem Jugendlichen den Ablauf einer Konsultation mit Anamnese, Untersuchung und Gespräch über das weitere Vorgehen zu erläutern. Auch sollte ein Teil der Konsultation ohne die erwachsene Begleitperson stattfinden. Mit dem Hinweis, dass dies in diesem Alter üblich ist, lässt sich auch die Akzeptanz der Mutter steigern. Dem jungen Patienten sollte für diesen Part des Arztbesuchs die Schweigepflicht auch gegenüber den Eltern versichert werden – vorausgesetzt der Teenager erscheint urteilsfähig und es besteht kein Hinweis auf Selbst- oder Fremdgefährdung. Dieses Gespräch "off the records" bietet mehrere Vorteile: Der Arzt kann Vertrauen schaffen, der Patient kann Dinge erfragen, die ihm vielleicht in Anwesenheit der Mutter peinlich sind, beispielsweise nach normaler Penisgröße, nach Verordnung der "Pille" etc.

Zur Anamnese bei Jugendlichen gehören nicht nur die am medizinischen Anlass orientierten Fragen, sondern auch eine orientierende psychosoziale Anamnese, die zumindest teilweise im Vier-Augen-Gespräch erfolgen sollte. Als Einstieg eignen sich Fragen nach Interessen, Hobbys, Schule, Freunden (peer group), Familie etc. Erst wenn dadurch ein gewisses Vertrauensverhältnis gefestigt ist (eventuell auch erst zu einem späteren Zeitpunkt), können heiklere Fragen beispielsweise nach Sexualität gestellt werden. Hilfreich bei der psychosozialen Anamnese sind standardisierte Fragebögen wie der semistrukturierte HEEADSSS (Home environment, Education and employment, Eating, peer-related Activities, Drugs, Sexuality, Suicide/depression and Safety from injury and violence) (vgl. Tabelle 2). Bevor der Elternteil wieder dazustößt, macht man mit dem Patienten aus, welche Teile der Unterhaltung der Schweigepflicht unterliegen sollen.

Etappenweise untersuchen

Auf die Anamnese folgt üblicherweise die körperliche Untersuchung. Jugendliche haben oft ein stärkeres Schamgefühl als Erwachsene, da sie sich in ihrem sich verändernden Körper unsicher fühlen. Um darauf Rücksicht zu nehmen, sollte etappenweise vorgegangen werden: erst den Oberkörper entkleiden, untersuchen, wieder anziehen, dann der Unterkörper. Spätestens bei einer Untersuchung im Intimbereich ist die Anwesenheit einer Begleitperson empfehlenswert ‒ je nach Wunsch des Patienten kann dies eine Praxisangestellte oder ein begleitender Elternteil sein.

Chronisch krankes Kind wird groß ...
Einen chronisch kranken Jugendlichen, den man schon seit dem Kleinkindalter betreut, auf einmal als fast Erwachsenen zu betrachten, fällt schwer. Doch auch für diese Patienten gilt, sie als Person ernst zu nehmen und sie schrittweise zur Eigenverantwortung für ihre Gesundheit hinzuführen ‒ inklusive der immer wieder aktualisierten psychosozialen Anamnese. Doch gerade bei den chronisch Kranken, die bisher ihre Therapie gut eingehalten haben, muss man in der Pubertät mit Rückschlägen rechnen. Den großen Kindern wird bewusst, dass sie sich vermutlich lebenslang mit ihrer Krankheit auseinandersetzen müssen. Das führt oft zu einer ablehnenden Haltung gegenüber der Therapie. Des Weiteren neigen Pubertierende häufig dazu, zu experimentieren. Merkt der Arzt, dass ich mein Asthmaspray nicht genommen habe? Was passiert, wenn ich das Insulin nicht spritze? Fällt dem Arzt die Incompliance auf, ist es hilfreich, die Gründe dafür mit dem Jugendlichen zu analysieren ‒ vorzugsweise ohne die Eltern. Manchmal ist hier vorübergehend ein therapeutischer Kompromiss besser als die State-of-the-Art-Behandlung, die nicht eingehalten wird.

Bei der Besprechung über das weitere Vorgehen sollte der junge Patient unbedingt mit einbezogen werden. Jugendliche möchten, dass ihre Autonomiebestrebungen respektiert werden, und daher aktives Mitspracherecht bei der Festlegung der Therapiemodalitäten. Damit der Teenager allerdings eine Mitverantwortung zum Therapieerfolg tragen kann, müssen ihm die Fakten zur Erkrankung und die weiteren Behandlungsschritte verständlich erläutert und mögliche Hindernisse für die Compliance angesprochen werden. Doch selbst wenn er mit einem Therapieplan einverstanden ist, ist dies noch keine Garantie, dass die Therapie eingehalten wird. Jugendliche wollen sich eben ausprobieren und üben gelegentlich den Aufstand. Manche brauchen mehrere Anläufe, bis aus ihnen therapieadhärente Patienten werden. Ganz ohne die Eltern geht es trotz allem Verständnis und Entgegenkommen bei der Therapie von Jugendlichen nicht. Die Abgabe der Verantwortung für die Gesundheit ihrer Tochter bzw. ihres Sohnes ist ein schrittweiser Prozess, bei dem der Hausarzt sie unterstützen kann.


Literatur:
1) Rutishauser C: Adoleszentenmedizin: eine bereichernde Herausforderung in der Praxis, Praxis 2013, 102 (18): 1105 – 1109
2) Goldenring J M et al: Getting into adolescent heads: an essential update, Modern Medicine, Januar 2004


Autor:
Angelika Ramm-Fischer

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (19) Seite 62-65