Wie peinlich, den Stuhl nicht halten zu können! Obwohl die Betroffenen erheblich leiden, wagen sie es nicht, das Thema anzusprechen. Und es sind nicht wenige, denen der Hausarzt hier helfen könnte ‒ durch einfühlsame Anamnese, körperliche Untersuchung und konservative Therapie. Erst bei den hartnäckigeren Fällen ist der Chirurg gefragt.

Während das Thema Harninkontinenz den Bereich des Tabuthemas in den letzten Jahren verlassen hat, wird über Stuhlinkontinenz weder von Arzt- noch von Patientenseite gern gesprochen. Dabei sind nach Schätzungen etwa 8 % der Erwachsenen davon betroffen. Obwohl das Problem also nicht selten ist, kommt es bei der Ausbildung der Allgemeinärzte meist zu kurz. Um hier mehr Know-how zu vermitteln, haben Helena Buhmann und ihre Kollegen vom Universitätsspital Zürich ein kleines Update zusammengestellt [1].

Es sind nicht nur die Alten, die den Stuhl nicht halten können – auch wenn unter den über 70-Jährigen etwa 15 % betroffen sind. Auch Menschen in der Lebensmitte haben etwa nach Hämorrhoiden-Operationen derartige Probleme und Frauen im gebärfähigen Alter entwickeln nach Geburten häufiger eine Stuhlinkontinenz, als man gemeinhin annimmt. So konnte bei 35 % der Frauen nach einer vaginalen Entbindung ein Einriss der Analsphinkter-Muskulatur nachgewiesen werden. 25 % der jungen Mütter haben drei bis sechs Monate nach der Geburt immer noch Schwierigkeiten, den Stuhl zu halten.

Vielfältige Ursachen

Außer den Verletzungen des analen Sphinkterapparates mit Einschränkung der Sensibilität können Diarrhoe und Verstopfung mit einer inadäquaten funktionellen Anpassung des Rektums zur Inkontinenz führen. In 80 % der Fälle kommen mehrere pathogene Faktoren zusammen. Daher werden bei der Stuhlinkontinenz vier Ursachenbereiche unterschieden:

1. Änderungen der Stuhlqualität und -quantität

Außer bei Diarrhoe kann es auch bei Obstipation mit Stuhlretention zum Abgang flüssigerer Stuhlanteile kommen, wenn durch Dehnung des Rektums der Sphinkter reflexartig erschlafft.

2. Strukturelle Störungen

z. B. Rektumprolaps, chirurgische oder Geburtstraumata, Tumoren.

3. Funktionelle Störungen

Meist durch gestörte anorektale Sinneswahrnehmung. Ursache dafür können Geburtstraumata oder auch Verletzungen des zentralen oder autonomen Nervensystems (z. B. Querschnittslähmung) sein sowie neuropathische Veränderungen z. B. durch Diabetes mellitus oder Multiple Sklerose.

4. Andere Ursachen

Alter, Demenz, Diarrhoe-auslösende Faktoren wie Nahrungsmittelintoleranzen oder Nebenwirkungen von Medikamenten (z. B. Anticholinergika, Muskelrelaxantien).

Allerdings lässt sich nicht immer die Inkontinenzursache identifizieren.

Aktiv nachfragen!

Stuhlinkontinenz tut zwar meist nicht weh, sie ist aber unendlich peinlich. Und das kann dazu führen, dass das Problem beim Arztbesuch gar nicht angesprochen wird. Also muss der Arzt die Initiative ergreifen, indem er bei den anamnestischen Grundfragen (Appetit, Schlaf etc.) in Sachen Stuhlgang etwas genauer nachfragt. Dies lohnt besonders bei Patienten, die einen Risikofaktor für eine Stuhlinkontinenz aufweisen, wie höheres Lebensalter, Diabetes mellitus oder Harninkontinenz. Auch nach vaginalen Geburten (auch wenn diese schon länger zurückliegen), Operationen im Analbereich und Laxantien-Gebrauch sollte gefragt werden.

Erleichtert wird diese spezifische Anamnese durch spezielle Fragebögen, wie den Vaizey-Wexner-Score (vgl. Tabelle 1). Diesen Fragebögen liegt die klinische Unterteilung in die drei Subtypen der Stuhlinkontinenz zugrunde:

1. Passive Inkontinenz
ungewollter Verlust von Stuhl oder Wind, ohne dass es vom Betroffenen wahrgenommen wird

2. Dranginkontinenz
Stuhlverlust trotz aktiven Bemühens, den Darminhalt zurückzuhalten

3. Stuhlschmieren
normale Stuhlevakuation mit anschließendem Stuhlschmieren

Bei der Inspektion des Analbereichs lassen sich möglicherweise schon Anhaltspunkte für die Inkontinenzursache finden, z. B. Narben von vorangegangenen Operationen, Fisteln oder ein Analprolaps. Beim Pressversuch könnten ein Rektumprolaps oder Hämorrhoiden zutage treten. Nächster Untersuchungsschritt ist die digital-rektale Untersuchung. Sie gibt Aufschluss über den Sphinktertonus (Ruhe- und Klemmdruck) und die Kontraktilität der Beckenbodenmuskulatur. Zudem lässt sich möglicherweise eine Stuhlimpaktion oder eine Tumormasse palpieren, die Einfluss auf die Kontinenz haben kann.

Weiterführende Diagnostik

Durch die körperliche Untersuchung in der Hausarztpraxis lässt sich die Inkontinenzursache zwar oft vermuten. Um eine eindeutige Diagnose stellen zu können, was für die Therapie wichtig ist, ist jedoch weiterführende Diagnostik erforderlich. Hier kommen vor allem der endoanale Ultraschall, die anale Manometrie und eine funktionelle Untersuchung (Defäkographie) des Beckenbodens infrage.

Da auch entzündliche Prozesse, benigne und maligne Tumoren die Kontinenz beeinträchtigen können, ist die endoskopische Untersuchung ebenfalls ein wichtiger Bestandteil der Inkontinenzabklärung. Die Rektosigmoidoskopie sollte insbesondere bei Diarrhoe durchgeführt werden, um chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder einen Tumor auszuschließen. Da der Analkanal mittels Rektosigmoidoskopie nur unzureichend beurteilbar ist, sollte dann zusätzlich eine Anoskopie erfolgen.

Funktionelle Untersuchungen

Bei der Defäkographie wird der Beckenboden in verschiedenen Positionen (Ruhe, Beckenboden-Kontraktion, Pressen) untersucht. Mittels der MR-Defäkographie lassen sich pathologische Veränderungen des Beckenbodens wie Zystozelen oder Rektozelen entdecken.

Die anale Manometrie ermöglicht eine objektive Druckmessung des Sphinkterapparats sowohl im Ruhezustand als auch bei Anspannung. Das Druckprofil des anorektalen Schließmuskelsystems wird unter standardisierten Bedingungen erfasst; inklusive der willkürlichen und unwillkürlichen Anteile des Spinkterapparates. Der funktionstüchtige, gesunde Sphinkter hat einen Ruhedruck von etwa 60 bis 80 mmHg. Durch Aktivierung des äußeren Schließmuskels kann dieser Verschlussdruck willkürlich auf etwa 120 bis 140 mmHg gesteigert werden, die normale Klemmdauer liegt bei über 10 sec.

Anatomie und Physiologie des Anorektums
Das Zusammenspiel von Rektum, Anus und Beckenbodenmuskulatur ist für die Aufrechterhaltung der normalen Stuhlkontinenz verantwortlich. Das Rektum dient hauptsächlich als Stuhlreservoir. Der anale Sphinkterapparat besteht aus dem Musculus sphincter ani internus, dem Musculus sphincter ani externus und der Beckenbodenmuskulatur (u. a. M. levator ani, M. puborectalis) (vgl. Abbildung). Der interne Sphinkter stellt eine Fortsetzung der zirkulären Muskelschicht des Rektums dar und ist für den Ruhetonus verantwortlich. Der externe Sphinkter kann willkürlich kontrahiert werden, wodurch sich der Verschlussdruck des Schließmuskelapparats auf das Zwei- bis Dreifache erhöhen kann. Der funktionell wichtigste Teil der Beckenbodenmuskulatur ist die sogenannte Puborektalisschlinge. Der M. puborectalis bildet zwischen den beiden Sphinkteren eine nach ventral offene Schlinge und führt durch tonische Kontraktion zur Aufrechterhaltung des analen Verschlussdrucks mit Wahrung des anorektalen Winkels bei ca. 60 – 105°. Bei intraabdominaler Druckerhöhung und willentlicher Anspannung kann der anorektale Winkel verkleinert und so ein Stuhlverlust verhindert werden. Eine wichtige Rolle für die motorische Innervation des Anorektums spielt der Nervus pudendus. Er innerviert u. a. die Beckenbodenmuskulatur und den Musculus sphincter ani externus. Durch seinen Verlauf durch den Beckenboden ist der Pudendusnerv sehr vulnerabel für Dehnungsverletzungen, die insbesondere im Rahmen der vaginalen Entbindung mit Tiefertreten des Beckenbodens auftreten können. (siehe Abb. 1)

Mit der Manometrie kann auch die Sensibilität im Bereich des Enddarmes gemessen werden. Ist diese vermindert oder fehlt sie völlig, kann dies zu unbewusstem Stuhlverlust führen, was als passive Inkontinenz bezeichnet wird. Durch Füllung eines intraluminal liegenden Rektumballons lässt sich der rektoanale Inhibitionsreflex untersuchen, der z. B. für die Diagnose eines Morbus Hirschsprung wichtig sein kann. Gesunde spüren den Ballon ab einem Volumen von über 50 ml, ein Stuhldrang tritt ab einem Volumen von 130 bis 150 ml auf und das maximal tolerable Volumen liegt bei 220 bis 250 ml.

Konservative Therapie

Wichtigste Maßnahme ist zunächst die Stuhlregulierung mit dem Ziel, die Konsistenz des Stuhls zu normalisieren und die Zeit der Stuhlpassage im Darm zu verlängern. Denn flüssiger Stuhl wird von einem geschädigten Kontinenzorgan viel schlechter zurückgehalten als geformter Stuhl. Ein Stuhltagebuch kann sinnvoll sein, um den Zusammenhang zwischen Nahrungsmitteln und dünnem Stuhl bzw. Stuhlverlust zu erkennen. Für eine normale Stuhlkonsistenz ist ein hoher Faseranteil in der Nahrung (Früchte, Gemüse, Hülsenfrüchte und Vollkornprodukte) unverzichtbar. Unterstützend können faserreiche Quellmittel wirken, z. B. Flohsamen. Wichtig zu wissen: Die Einnahme führt bei einigen Patienten zu einem ausgeprägten Meteorismus und beeinträchtigt möglicherweise damit die Compliance.

Besteht trotz dieser Maßnahmen weiterhin ein zu weicher Stuhl bzw. eine zu hohe Stuhlfrequenz, kann Loperamid hilfreich sein, da es das Stuhlgewicht, die Stuhlfrequenz sowie die Drangepisoden verringert. Des Weiteren nimmt dadurch der Ruhedruck im Sphinkterapparat zu und die Passagezeit im Intestinaltrakt verlängert sich. Ergänzend zur Stuhlregulierung können auch physiotherapeutische Maßnahmen vom Typ Biofeedback hilfreich sein. Dabei soll die selektive Aktivierung von Analsphinkter- und Beckenbodenmuskeln trainiert und so deren Funktion verbessert werden. Ziel ist, die Kontraktionskraft und -dauer des Sphinkterapparates sowie die Perzeption der Rektumdehnung zu stärken, um so die Koordination zwischen Wahrnehmung der Rektumfüllung und Kontraktion der Sphinkter-Strukturen zu verbessern. Die Erfolgsraten liegen zwischen 38 und 100 %. Die Biofeedback-Therapie ist laut den Empfehlungen der American Gastroenterological Assocation vor allem erfolgversprechend bei motivierten Patienten, die noch eine, wenn auch schwach vorhandene, Perzeption aufweisen, einen intakten Sphinkterapparat haben und unter einer Dranginkontinenz leiden.

Manche müssen unters Messer

Wenn die konservativen Maßnahmen nicht fruchten, sollte als nächster Schritt eine Operation erwogen werden. Die Wahl des für den Patienten erfolgversprechendsten Verfahrens hängt von der Ursache der Inkontinenz, deren Ausprägung und den Erwartungen des Patienten ab. Als Optionen stehen hauptsächlich der Sphinkterrepair, die sakrale Neuromodulation (SNM), der Neo-Sphinkter (artifiziell vs. Muskelplastik) und die Sphinkteraugmentation zur Verfügung.

Die Züricher Autoren des Inkontinenz-Updates halten die sakrale Neuromodulation für das heute erfolgreichste Verfahren. Abgeleitet ist die SNM von der in der Urologie bekannten Stimulationstherapie. Es fiel auf, dass Patienten mit kompletter Inkontinenz (Stuhl- und Harninkontinenz) durch diese Methode nicht nur den Urin, sondern auch den Stuhl besser halten konnten. Der genaue Wirkmechanismus ist bis heute nicht komplett verstanden.

Ein Vorteil dieser Therapiemethode ist: Man kann vor der eigentlichen Operation ausprobieren, ob die SNM beim jeweiligen Patienten funktioniert. In der Testphase wird zunächst in Lokalanästhesie ein Probedraht im Bereich der Nervenwurzeln S3 oder S4 des Sakrums eingeführt und mit einem externen Stimulator verbunden. Es folgt eine meist dreiwöchige Teststimulation, während derer der Patient ein Stuhltagebuch führt, um die Inkontinenzepisoden festzuhalten. Wird in dieser Testphase eine Verbesserung der Beschwerden um mindestens 50 % erreicht, ist die Indikation für eine definitive Stimulatorimplantation gegeben. Die primäre Erfolgsrate der SNM liegt bei 80 – 90 %. Dabei führt die SNM zu einer signifikanten Verringerung der Inkontinenzepisoden und zu einer Verbesserung der Fähigkeit zur kontrollierten Stuhlevakuation, der Lebensqualität sowie der Sphinkterfunktion. Die Langzeiterfolgsrate der SNM liegt bei 89 %.

Angelika Ramm-Fischer


Literatur
1) Buhmann H. et al.: Stuhlinkontinenz – ein Update; Praxis 2014; 103 (22): 1313 – 1321

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (4) Seite 40-44