In der westlichen Welt ist eine immer größer werdende Toleranz gegenüber Marihuana zu beobachten. Medizinisches Marihuana zur Behandlung des Glaukom, von neuropathischem Schmerz, von Multipler Sklerose und von Chemotherapie-induziertem Brechreiz scheint dabei die ersten Hauptargumente zur Freigabe zu liefern. Dass Cannabiskonsum bei chronischen Schmerzen für Linderung sorgen kann, hat auch in Deutschland der Gesetzgeber kürzlich akzeptiert und neue Regelungen geschaffen. Gleichzeitig verstärkt sich der Gedanke, illegaler Aktivität und verstecktem Drogenverhalten durch Freigabe der Freizeitdroge beizukommen. Die Autoren kommentieren dies kritisch.

In Australien forderte der renommierte Professor Robin Room von der Universität Melbourne von seiner Regierung, Hanf aufgrund gesundheitlicher und sozialer Aspekte als „Jugendschutzmaßnahme“ zu legalisieren. Die Befürworter der Freigabe von Cannabis berufen sich auch darauf, dass der Erwerb und Konsum von Alkohol nicht unter Strafe gestellt sei, und verbreiten die Behauptung, dass Cannabis gesundheitlich angeblich weniger gefährlich sei als Alkohol. Die Staaten der USA, die kürzlich Cannabis legalisierten, sahen sich einem sehr schweren Methamphetaminproblem gegenüber. Methamphetamine verursachen schon bei niedriger Dosis erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen. Dieses Problem lässt nach Abhilfe suchen. Die Lösung glauben manche im Cannabis gefunden zu haben.

Wie entsteht Sucht?

Das Suchtgeschehen findet hauptsächlich im Zentralnervensystem und dort im mesolimbischen dopaminergen System statt. Hier verursachen die verschiedenen Suchtsubstanzen den Rausch, indem sie an Rezeptoren der Nervenzellen des vorderen Tegmentums reagieren und über Aktionspotenziale zum Ausstoß von Dopamin im Nucleus accumbens führen. Alle Suchtsubstanzen vermögen im Übrigen erhebliche körperliche und psychische gesundheitliche Schäden auszulösen und nicht selten zum Tode zu führen.

Haschisch bzw. sein Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) kann unter Umständen erhebliche Depressionen und Angstattacken hervorrufen. Schizophrenie und Psychosen werden diskutiert. In Verbindung mit psychologischen und verhaltensbedingten Störungen wurde eine starke Verknüpfung zwischen Cannabis und Selbstmord gesehen. Auch kann die Einwirkung des THC auf die Spermiogenese der männlichen Keimdrüsen die Zeugungsfähigkeit des Mannes bei mehrjährigem Konsum verhindern. Zudem werden als Folge des Haschischkonsums unter akuter Einwirkung die kognitiv-intellektuellen Fähigkeiten beeinträchtigt, was nach Absetzen der Droge reversibel sein könnte. Eine Beeinträchtigung durch Intoxikation, reversibel oder irreversibel, würde jedenfalls ein Suchtgeschehen für einen gewissen Zeitraum darstellen.

Geringe Mengen THC führen nach einer Studie dazu, dass der Mensch im Straßenverkehr nicht mehr fahrfähig ist. Grund dafür sind Aufmerksamkeitsstörungen und Realitätsverkennungen sowie eine gestörte räumliche Wahrnehmung, Halluzinationen und Verlust der Kontrolle über das Fahrzeug infolge von Koordinationsstörungen in der Feinmotorik der Muskulatur. Entgegen dem Argument, dass nur schwerer oder häufiger Cannabisgebrauch die geistige Fähigkeit einschränkt, stellten die Autoren fest, dass vor allem unregelmäßiger Gebrauch fahrunfähig macht.

Cannabis und Alkohol: ein unzulässiger Vergleich

Im Vergleich zu Stimulanzien wie Amphetamin, die erhöhte Erregung und Wachheit auslösen, verlangsamt Cannabis eher das Zentralnervensystem. Daher wird es in Subkulturen gerne nach Amphetaminen oder Stimulanzien genommen. Umgekehrt versucht man durch Amphetamin die Angstzustände, die Cannabis verursachen kann, zu beseitigen. Es könnte also eine Korrelation zwischen Methamphetamin- und Cannabisgebrauch geben. So wurde beobachtet, dass viele Konsumenten von stimulierenden Drogen, wie den „Weckaminen“ Amphetamin und Methamphetamin, Cannabis und Benzodiazepine benutzen, um die störenden Effekte auszugleichen. In Subkulturen und anonymen Internetseiten wird Cannabis sogar als Therapiemittel propagiert, um sich von der Methamphetaminsucht leichter lösen zu können, im Sinne von „den Teufel mit dem Belzebub austreiben“.

Obwohl vom Alkohol die Gefahren weitgehend bekannt sind, wird seine Gefährlichkeit von Zeit zu Zeit revidiert. Sein Genuss ist im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr gesetzlich geregelt. Dass der Konsum alkoholischer Getränke in geringen Mengen gesundheitsschädigend ist, wurde in einer kürzlich veröffentlichten Studie entdeckt. Obwohl das Schadensrisiko durch Alkohol individuell verschieden ist, werden zum Teil hohe Zahlen hinsichtlich von Straftaten und Verkehrsdelikten im Zusammenhang mit Alkohol angeführt.

In den Begründungen zur Legalisierung von Cannabis wurden oftmals große Mengen Alkohol bis hin zum "Komasaufen" geringen Mengen Cannabis gegenüber gestellt. Dies kann zu keiner ordentlichen Beurteilung führen. Soziale Toleranz gegenüber der toxischen Wirkung einer Substanz mit der einer anderen zu rechtfertigen, ist zudem nicht vernünftig. Alkohol, trotz des Schadens, der unter seinem Einfluss möglich ist, ist kulturell etabliert. Das nächste suchterzeugende Mittel, Cannabis, soll etabliert werden, wobei hypothetisch angenommen werden kann, dass sich das Schadensausmaß unter Suchteinfluss vergrößert. Cannabis vermag nicht selten bereits beim ersten Mal oder in den folgenden Rauscherlebnissen psychische Störungen auszulösen. Das bedeutet, schon ein einmaliges Testen kann verheerend sein. Selbst wo guter Wille gezeigt wird und die medizinische Wirkung von Marihuana hervorgehoben werden soll, wie zum Beispiel bei der Schmerzbehandlung, traten die Nebenwirkungen wie Hypotonie, Herzrasen und psychische Beeinträchtigung wie auch Angstattacken hervor.

Der Ruf nach Legalisierung des suchterzeugenden Cannabisgebrauchs ist laut und die Lobby aktiv, stark und bereit, Argumente aus allen möglichen Richtungen aufzugreifen. Man versucht, Vorzüge des Cannabis im negativen Kontrast zu Methamphetamin und Alkohol hervorzuheben. Dabei wird oft der Wert von medizinischem Cannabis mit dem Recht auf Cannabis als Vergnügungsdroge vermengt, wodurch sich die Grenze zwischen beiden Anwendungen verwischt. Eine große Notwendigkeit für die Cannabis-Legalisierung wird anhand von wenigen möglichen therapeutischen Beispielen propagiert. Das Risiko einer kulturellen Etablierung von legalisiertem Marihuana, die ähnlich wie beim Alkohol in Zukunft nur wenig Korrektur zulassen wird, wird dabei nicht berücksichtigt. Mehr Forschung ist hinsichtlich des Zusammenspiels von einzelnen ohnehin schon problematischen Suchtsubstanzen notwendig.


Literatur:
1. Kauert G, Iwersen – Bergmann S: Drogen als Ursache für Verkehrsunfälle, Im Focus: Cannabis, Sucht, 2004, Seiten 327-333
2. Sabia S, Elbaz A, Britton A, Bell S, Dugravot A, Shipley M, Kivimaki M, Singh-Manoux A: Alcohol consumption and cognitive decline in early old age, Neurology, 2014, 82(4): Seiten 332-339
3. Schreiber LH: Vergleich über die Gefährdung der Gesundheit durch Alkohol oder Haschisch, Wehrmedizin und Wehrpharmazie, 2007; Seiten 58-64


Autor:
Jason R. Schreiber, Victorian Institute of Forensic Medicine (VIFM), Department für Forensische Medizin der Monash Universität Melbourne/Australien;

Dr. med. Dr. jur. Lothar H. Schreiber, Arzt für Suchtmedizin, St. Wendel/Deutschland

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (11) Seite 90-92