Schon jetzt droht die medizinische Versorgung in ländlichen Gebieten unter die 100-Prozent-Marke zu fallen. Wie kann die Politik die längst überfällige Wende schaffen und die Hausärzte bei ihren Bemühungen um den beruflichen Nachwuchs unterstützen? Hat die Politik ein offenes Ohr für den Ausbau der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) und den Erhalt der vertrauensvollen, wohnortnahen Betreuung von Patienten? Das waren einige der Fragen, die beim Politikforum im Rahmen des 33. Seminarkongresses Norddeutscher Hausärzte diskutiert wurden.

Auf Bundesebene und in Niedersachsen werben die Parteien derzeit um die Gunst der Wähler. Das Politikforum bot die Gelegenheit, Politiker direkt danach zu fragen, welche Ziele und Vorstellungen zur Gesundheitspolitik im Allgemeinen und zur Zukunft der ärztlichen Versorgung durch niedergelassene Hausärzte in ihren Köpfen kursieren.

Vonseiten der Parteien nahmen an dem Gespräch teil: Dr. Max Matthiesen (CDU), Mitglied des Landtages in Niedersachsen und stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Migration, Andrea Schröder-Ehlers (SPD), Mitglied des Landtages in Niedersachsen und rechtspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion. Hinzu kam Dr. Jürgen Peter, Vorstandsvorsitzender der AOK Niedersachsen, und die Hausärzte waren vertreten durch Dr. Eckart Lummert, stellvertretender Vorsitzender des Hausärzteverbandes Niedersachsen. Moderiert wurde die Diskussion, die von zahlreichen Hausärzten aufmerksam verfolgt wurde, von Dr. Matthias Berndt, dem Vorsitzenden des Hausärzteverbandes Niedersachsen.

Hausarztverträge sind erfolgreich

Zum Einstieg konnte Dr. Berndt gleich einen Erfolg verkünden. Denn kurz zuvor hatte sich der millionste Versicherte in die HzV in Niedersachsen eingeschrieben. Für Dr. Berndt geht davon ein klares politisches Signal aus, dass die Patienten im Hausarzt ihren primären Ansprechpartner im Gesundheitssystem sehen. Tatsächlich würden die gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen und der Hausärztlichen Vertragsgesellschaft (HÄVG) abgeschlossenen Hausarztverträge inzwischen 90 % der infrage kommenden Versicherten und Krankenkassen abdecken. Niedersachsen nehme damit bundesweit eine Spitzenposition ein.

Hausärzte weiter stärken

Angesichts dieser Zahlen und der bevorstehenden Wahlen (in Niedersachsen wird der Landtag im nächsten Jahr gewählt) sprachen sich sowohl die anwesenden Politiker von CDU und SPD als auch die AOK Niedersachsen klar für eine weitere Stärkung der hausärztlichen Versorgung in Niedersachsen aus. Dies stelle in diesem Bundesland eine besondere Herausforderung dar, da Niedersachsen ein Flächenland mit sehr unterschiedlichen Strukturen ist. Der Schwerpunkt der Anstrengungen müsse vor allem auf die ländlichen Regionen gesetzt werden. Für Frau Schröder-Ehlers von der SPD ist eine gute ärztliche Versorgung ein wichtiger Bestandteil der Lebensqualität der Bürger.

Masterplan zügig umsetzen

Dr. Berndt hatte dafür auch gleich einen Vorschlag parat: Er empfiehlt der Politik, eine Lösung gegen die Zweckentfremdung von Allgemeinarztsitzen zu finden, denn es gebe viele "falsche" Hausärzte, die eigentlich gar nicht hausärztlich arbeiten, sondern sich auf ein bestimmtes Gebiet wie z. B. die Akupunktur spezialisiert hätten. Berndt fordert darüber hinaus ein klares Bekenntnis zum Hausarzt als Primärversorger. "Dies könnte zum Beispiel ein gesetzlicher Wahltarif HzV mit monetären Vorteilen für den Versicherten sein", so sein Vorschlag. Hinzu kommen müsse eine rasche Umsetzung des gerade erst beschlossenen Masterplans Medizinstudium 2020, darin waren sich alle Diskutanten einig. Beide Politiker wiesen allerdings darauf hin, dass hier die Finanzierung immer noch nicht in trockenen Tüchern sei. Der Bund müsse sich hier beteiligen

Warnung vor "grundversorgenden" Spezialisten

Auch die anwesenden Hausärzte kamen zu Wort. So wiesen Stimmen aus dem Auditorium darauf hin, dass viele Hausarztsitze im Land fehlbesetzt seien. Dadurch komme es zu falschen Bemessungsgrundlagen für die Plausibilitätskontrollen. Sorgen bereiten den Hausärzten darüber hinaus auch die steigenden Laborkosten, die der sprechenden Medizin im Vorwegabzug entzogen werden.

Vor der derzeit vom Spitzenverband der Fachärzte ins Spiel gebrachten Idee, Spezialisten in die primärärztliche Grundversorgung einzubinden, warnte Dr. Lummert eindringlich. Dahinter stecke nur ein Versuch, an die hausärztlichen Honorartöpfe heranzukommen. Fachärztliche Betreuung sei im Spezialfall zweifelsohne wichtig, aber Spezialisten sollten nicht meinen, sie "könnten auch Hausarzt und sich ohne Weiteres in die Grundversorgung einreihen, so Lummert. Gegenüber den Politikern sprach er sich daher klar für ein Primärarztsystem aus, denn das würde die Situation entspannen. "Wir brauchen einen Primärversorger für den ganzen Menschen und nicht nur für einzelne Organe, so Lummert weiter. Die Politiker von SPD und CDU äußerten sich dazu nicht, denn solche Fragen müssten dann doch auf höherer Ebene diskutiert werden. Man wolle aber dabei helfen, nach Lösungen zu suchen.



Autor:
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (12) Seite 27-28