Ich war einmal Hausarzt. Jetzt bin ich es nicht mehr. Ich war gerne Hausarzt, aber ich bereue es nicht, wieder in einer Klinik zu arbeiten. Vielleicht verdiene ich jetzt weniger Geld als meine niedergelassenen Kollegen, aber ich weiß genau, wie viel Ende des Monats auf mein Konto kommt. Ich habe keine schlaflosen Nächte, weil ich bei keiner Bank mit mehreren hunderttausend Euro für einen Praxis-Kredit in der Kreide stehe. Stattdessen habe ich Anspruch auf 30 Urlaubstage im Jahr und falls ich einmal krank werden sollte, darf ich zu Hause bleiben. Was der Himmel verhüten möge, aber dank Lohnfortzahlung führt eigene Krankheit nicht mehr zwangsläufig zum finanziellen Ruin.

Anstatt mich mit betriebswirtschaftlichen Dingen zu beschäftigen – was ich nie gelernt habe und was mich, ehrlich gesagt, auch gar nicht so richtig interessiert – verbringe ich die Zeit damit, mich um die Patienten zu kümmern. Ich bin Arzt und kein Geschäftsmann. Es fällt mir schwer, abzuschätzen, ob eine Praxis, für die ich mich hoch verschulden muss, wirklich so gut laufen wird, wie man es mir verspricht. Außerdem habe ich ein Problem damit, mich für den Rest meines Arbeitslebens unwiderruflich an einen Ort zu binden: Auch jenseits der Lehr- und Wanderjahre können sich Lebensumstände immer wieder ändern. Kinder werden geboren, Ehen werden geschlossen und geschieden. Neue Freundschaften entstehen. Angehörige werden pflegebedürftig. Und wer weiß, wann einem die eigene Gesundheit einen Streich spielt? Wenn Schulden drücken, fällt es schwer, kürzer zu treten oder sich in irgendeiner Weise neu zu orientieren.

Ein neu niedergelassener Kollege muss sich auf dem Markt positionieren und um Patienten kämpfen. Meist geht das nur mit Selbstausbeutung. Oft heißt das: voller Einsatz bis zum Herzinfarkt. Ich will mich aber nicht selbst ausbeuten. Wichtiger als Geld und Statussymbole ist mir Zeit für die schönen Dinge des Lebens. Deswegen schätze ich die (halbwegs) geregelten Arbeitszeiten in meiner Klinik.

Nein, ich bin nicht mein eigener Chef. Ich bin kein Einzelkämpfer, sondern Mitglied eines Teams. Entscheidungen müssen mit Kollegen und vor allem mit der Geschäftsführung abgesprochen werden. Manchmal muss man auch die eine oder andere Kröte schlucken. Aber hat ein Freiberufler denn wirklich so viel mehr Freiheiten?

Mittlerweile gibt es auch angestellt arbeitende Hausarzt-Kollegen. Allerdings haben solche Einrichtungen oft einen schlechten Ruf: Man unterstellt insbesondere den MVZ oft unmoralisch-profit-orientiertes Arbeiten. Das mag manchmal stimmen und ist genauso verwerflich wie die durchgestylte IGeL-Verkaufsbude eines freiberuflichen Einzelkämpfers.

Mein Arbeitgeber hat sich dank Qualitätsmanagement und Leitbild zum ethischen Handeln verpflichtet. Ich bin überzeugt, dass die kniffligen Entscheidungen zwischen Ökonomie und Patientenwohl hier genauso sorgfältig abgewogen werden wie im Umfeld meiner niedergelassenen Kollegen.



Autor:

Burkhard Sonntag

Facharzt für Allgemeinmedizin, Oberarzt in der Abteilung für Geriatrische Rehabilitation der Klinik Christophsbad in Göppingen
73035 Göppingen

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (15) Seite 3