Blaues Auge, rotes Auge – Bagatelle oder Notfall? Bei Augenverletzungen oder akuten Augenbeschwerden seiner Patienten steht der Hausarzt immer vor der Entscheidung, selbst eine Therapie einzuleiten oder sofort zum Facharzt zu überweisen. Oft ist die erste Einschätzung nicht ganz einfach. Denn beim augenärztlichen Notfall sind die Schmerzen alles andere als ein zuverlässiger Gradmesser für die Schwere des Schadens.

Der Fall
Eine Mutter kommt kurz vor 18 Uhr mit ihrem siebenjährigen Jungen in die Praxis. Beim Fußballspielen hat sein rechtes Auge einen Schlag abbekommen. Am Anfang tat es weh, nach dem ersten Schreck kann der Junge das Auge wieder öffnen. Die Mutter will wissen, ob eine Inspektion beim Allgemein- bzw. Kinderarzt ausreicht oder der Notfalldienst in der Klinik (nach einzukalkulierender Wartezeit) das Auge fachärztlich untersuchen soll. Wenn das Kind einen vollen Visus angibt, die Schmerzen abnehmen und keine äußerlichen Verletzungen erkennbar sind, reicht die Vorstellung beim Augenarzt am nächsten Tag. Sind jedoch Einblutungen (Bindehaut oder intraokular) sichtbar oder liegt ein Sehverlust oder ein permanenter Bewegungsschmerz vor, ist eine zeitnahe Vorstellung beim augenärztlichen Notdienst zu empfehlen

Grundsätzlich gilt bei Augenproblemen: Lieber den Facharzt einmal mehr als einmal zu wenig konsultieren. Denn in der Augenheilkunde gibt es Erkrankungen, wie z. B. Netzhautablösungen (Ablatio retinae) oder Glaukomanfälle, bei denen die Zeit zwischen dem Auftreten der Augenveränderung und dem Eingreifen des Arztes über den Behandlungserfolg entscheidet. Selbst in der Augenarztpraxis oder in der Klinik müssen häufig zusätzliche Untersuchungen (wie Augeninnendruck- oder Gesichtsfeldmessung, Pupillenerweiterung und Gefäßdarstellung am Augenhintergrund) erfolgen, um eine genaue Diagnose stellen zu können [1, 2]. Nicht jeder Fall ist jedoch dramatisch: Manchmal reicht schon der Anruf bei einem ophthalmologischen Kollegen, um sich Rat zu holen. Entsprechende Telefonnummern schnell abrufbar zu haben, empfiehlt sich. Hilfe bieten auch die Leitlinien des Berufsverbandes der Augenärzte (BVA) [3].

Rund um das Auge gibt es unterschiedliche Notfälle: Unfälle mit und ohne sichtbare Verletzungen sowie Entzündungen und/oder Sehstörungen.

Unfälle mit sichtbaren Verletzungen

Sichtbare Verletzungen des Auges oder der Orbita, die nach unterschiedlichen Traumata entstehen können, werden in der Regel mit sterilen Tupfern abgedeckt. Der Hausarzt schickt den Patienten (und seine Begleitung) mit einer Krankenhauseinweisung in die nächstgelegene Augenklinik, ggf. auch mit Rettungswagen. Diese Situation ist jedoch eher selten, da Patienten mit entsprechenden Verletzungen fast immer direkt in die Klinik gehen [5].

Oberflächliche Schürfwunden an den Lidern oder deren Umgebung gehen normalerweise nicht mit Schmerzen oder Seheinschränkungen einher. Hier kann der Hausarzt den Patienten direkt behandeln. Bei kleineren Verletzungen sollte er die Wundheilung abwarten, bei größeren sind antibiotische Augensalben eine gute Therapieform. Bei Säure- oder Basenverletzungen in der Anamnese sollte unverzüglich mit BSS (Balanced Salt Solution) oder einer ähnlichen Lösung gespült werden [2] – durch die Verdünnung wird die ätzende Wirkung reduziert.

Da Schmerzen und die Behandlung des Auges für viele Menschen ein psychologisches Pro-blem sind und den Kreislauf beeinflussen können, ist für die Untersuchung bzw. Behandlung eine liegende Position zu empfehlen (Abb. 3). Die Spülung sollte mehrfach wiederholt werden. Danach muss der Patient in die nächstgelegene Augenklinik.

Unfälle ohne sichtbare Verletzungen

Bei Unfällen ohne sichtbare Verletzungen, wie bei kleinen Fremdkörpern oder nach einem Schlag auf das Auge (Contusio bulbi), die nicht immer mit einer Hornhautverletzung einhergehen müssen, sind Schmerzen bzw. Fremdkörpergefühle in unterschiedlicher Ausprägung möglich.

Wenn sich das Auge öffnen lässt, ist eine Spülung unter dem Oberlid (Abb. 3) und dem Unterlid empfehlenswert. Wegen der hohen Sensibilität kann eine oberflächliche Verletzung der Hornhaut aber auch zu derart starken Schmerzen führen, dass ein Öffnen der Augen nicht möglich ist (Lidkrampf bzw. Blepharospasmus, Abb. 1). Hier kann das Einbringen eines Lokalanästhetikums (Abb. 2) nach wenigen Minuten die Symptome deutlich bessern und eine anschließende Untersuchung ermöglichen. Diese dargestellte Methode kann der Arzt auch anwenden, wenn er Augentropfen bei Abwehr geben muss, z. B. wenn Kinder sich nicht tropfen lassen.
Der Patient sollte bei der Behandlung liegen. Seinen Kopf dreht man ein wenig zur entgegengesetzten Seite. Die Augentropfen werden in den nasalen Lidwinkel gebracht. Danach lassen sich Ober- und Unterlid vorsichtig auseinanderziehen und die Tropfen kommen ins Auge. Lokalanästhetika können eine wichtige Hilfe bei der Erstuntersuchung sein, sollten dem Patienten aber nicht zur Therapie mitgegeben werden [4]. In jedem dieser Fälle ist eine augenärztliche Kontrolle ratsam, spätestens am nächsten Tag. Sind anamnestisch jedoch Verletzungen nach handwerklicher Arbeit, wie nach Bohren oder Flexen, entstanden, muss der Patient sofort zum Augenarzt oder in die Klinik.

Entzündungen

Reizungen des Auges und seiner Anhangsgebilde können von einfachen Ursachen, wie einem trockenen Auge, bis zur Entzündung des gesamten Auges (Panuveitis) oder einer Sehnervenentzündung (Neuritis nervis optici) reichen. Handelt es sich um einen längeren Prozess (Anamnese) ohne relevante Visuseinschränkungen, kann die Gabe von Tränenersatzmitteln die Symptomatik verbessern. Da diese Erkrankung chronisch verläuft, sollte der Patient zum Augenarzt gehen. Werden neben Entzündungszeichen (Rötung und/oder Schwellung) des Auges auch (Bewegungs-)Schmerzen oder Visusverluste beschrieben, muss eine zeitnahe Konsultation beim Ophthalmologen erfolgen, um intraokulare Inflammationen auszuschließen bzw. eine entsprechende Therapie sofort einzuleiten.

Kommt es klassischerweise nach dem Schweißen oder einer starken Sonnenexposition einige Stunden später zu ausgeprägten Schmerzen und verschwommenem Sehen, handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um das "Verblitzen" oder um die "Schneeblindheit" (Keratoconjunctivitis photoelectrica). Die UV-Exposition führt zu einer ausgesprochen schmerzhaften Reaktion der Horn- und Bindehaut. Nach der Gabe von systemischen Schmerzmitteln und, wenn möglich, Tränenersatzmitteln, klingen die Symptome in einigen Stunden wieder ab. Sind die Schmerzen nach mehreren Stunden immer noch vorhanden, sollte der Hausarzt auch hier den Facharzt hinzuziehen.

Sehstörungen

Klagen Patienten in der Hausarztpraxis über einen Sehverlust, ist ebenfalls eine gute Anamnese wichtig. Der Patient kann häufig die erstmalige Wahrnehmung der Sehverschlechterung gut datieren ("Als ich mir das rechte Auge rieb, konnte ich plötzlich mit links nichts mehr sehen"). Dies sagt aber nichts über den eigentlichen Zeitpunkt aus, der durchaus früher liegen bzw. sich schleichend vollzogen haben kann. Um dies festzustellen, ist eine Sehtafel nicht unbedingt erforderlich. Man fragt den Patienten einfach, ob sich der Seheindruck verändert hat. Dieser lässt sich an beiden Augen einzeln durch temporäres Abdecken des jeweils anderen Auges feststellen oder indem man den Patienten etwas lesen lässt (Kirchturmuhr, Nummernschilder oder Praxiszeitung). Dabei sollte man immer an die notwendige Brille (Fern-, Nah- oder Gleitsichtbrille für den jeweiligen Prüfabstand) denken. Ähnlich verhält es sich bei Gesichtsfeldausfällen. Eine grobe Orientierung ist im Gegenüberversuch möglich: Der Patient wird aufgefordert, ein Auge abzudecken und mit dem anderen die untersuchende Person zu fixieren (Kontrolle der Fixation). Anschließend wird auf halber Distanz zwischen Arzt und Patient aus verschiedenen Richtungen ein Stift von außen nach innen geführt. Den Stift oder den Finger sollte der Patient etwa zum gleichen Zeitpunkt wie der Untersucher erkennen. Ursachen für Gesichtsfeldausfälle können akute Gefäßverschlüsse im Auge oder Gehirn (Apoplex) sein oder eine Netzhautablösung. Auch wenn die aktuellen Leitlinien des BVA für eine Lysetherapie bei Gefäßverschlüssen im Auge maximal viereinhalb Stunden als Karenzzeit angeben [3,6], sollte eine sofortige Einweisung in die nächste Klinik erfolgen, sonst geht wertvolle Zeit verloren.

Kopfschmerzen und andere neurologische Auffälligkeiten

Kopfschmerzen sind heute weit verbreitet. Auch augenärztliche Befunde sind als Ursache für die Cephalgien, die länger anhalten oder wechselnd auftreten, möglich. Eine zeitnahe augenärztliche Abklärung, besonders bei Kindern oder Jugendlichen – auch um Fehlsichtigkeiten (Hyperopien) auszuschließen – ist zu empfehlen. So kann ein längerer Diagnostik- und Leidensweg verhindert werden. Gibt der Patient Doppelbilder an oder sind beim Beleuchten der Pupillen lichtstarre oder ungleiche Pupillenreaktionen sichtbar, sollte man schnellstmöglich eine zerebrale Ursache abgleichen. Die Überweisung zum Facharzt (Ophthalmologe, Neurologe) ist hier dringend nötig, der die weiteren Schritte (z. B. CT, MRT, Gefäßdarstellung) veranlasst. Vorübergehende Sehausfälle (Amaurosis fugax, Transitorische Ischämische Attacke, kurz: TIA) sind ein wichtiger Hinweis für mögliche Durchblutungsstörungen und – im klassischen Sinn – nur augenärztliche Notfälle bei Wiederholungen und zunehmenden bzw. bestehenden Ausfällen. Dabei sind Blutdruck- und Gefäßkontrollen wichtig, da sie auf einen Schlaganfall hindeuten.

Kleines augenärztliches "Notfallbesteck" in der Praxis
  • Beleuchtung (kleine Taschenlampe)
  • Sterile Verbände
  • Wattetupfer
  • BSS-Lösung
  • Pipetten (2 oder 5 ml)
  • Lokalanästhetikum (EDO-Ampullen, da angebrochene Flaschen nur vier Wochen haltbar sind)

Fazit

Augenärztliche Notfälle stellen hohe Anforderungen an den Allgemeinarzt. Einfache Behandlungsmittel wie das Hinlegen des Patienten oder eine Lokalanästhesie können die unmittelbare Untersuchung erleichtern und die Behandlungsstrategie beeinflussen. Im Zweifelsfall ist eine zeitnahe Überweisung an den Ophthalmologen oder eine entsprechende Einweisung in die Klinik einer abwartenden Versorgung beim Hausarzt vorzuziehen.


Literatur
1. Schmidt, D., Tipps und Tricks für den Augenarzt, Springer Medizin Verlag, 2008
2. Burk, A., Burk R.O.W., Checkliste Augenheilkunde. 4. Aufl. Stuttgart. New York. Georg Thieme Verlag. 2010
3. www.augeninfo.de/ Leitlinien des BVA
4. Klaeger, A.J., Augennotfälle in der Hausarztpraxis, ARS MEDICI 13/ 2012, S.675-678
5. Bechrakis, N., Ophthalmo Update 2016 - Handbuch OPHTHALMOLOGIE 2016/2017
6. Feltgen, N., Gefäßverschlüsse, Ophthalmo Update 2016 - Handbuch OPHTHALMOLOGIE 2016/2017



Autor:

Dr. med. Thomas Katlun

Facharzt für Augenheilkunde
69121 Heidelberg

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.




Autor:

Dr. med. Thomas Katlun

Facharzt für Augenheilkunde
69121 Heidelberg

Interessenkonflikt:
Der Autor hat keine deklariert.

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (5) Seite 14-18