Wenn eine Schwachsichtigkeit (Amblyopie) bei Kindern früh erkannt wird, ist sie voll korrigierbar. Die Standardbehandlung besteht aus der Korrektur einer Fehlsichtigkeit mit einer Brille und der Abdeckung des besser sehenden Auges mit einem Pflaster. Bald könnte aber auch die digitale Technik die Therapie der Schwachsichtigkeit unterstützen und verändern.
Die Schwachsichtigkeit ist mit einer Prävalenz von mehr als 3 bis 8 % weltweit [1, 2] eine der häufigsten kindlichen Sehstörungen, in Deutschland liegt die Prävalenz bei 5 bis 6 %. Unter bestimmten Voraussetzungen kann jedes Kleinkind in Deutschland durch eine Schwachsichtigkeit (Amblyopie) betroffen sein.
Unbehandelt führt eine Amblyopie zu einer lebenslang stark reduzierten Sehschärfe auf einem oder sogar beiden Augen mit Konsequenzen für das ganze Leben. Im Extremfall ist Lesen ohne Vergrößerungshilfen, eine spätere Berufswahl wie Pilot, Busfahrer etc. oder auch Autofahren nicht möglich.
Die häufigste Ursache – etwa jede zweite Schwachsichtigkeit – sind Fehlsichtigkeiten des Auges wie eine Weit- oder Kurzsichtigkeit, sowie eine Hornhautverkrümmung. Weitere relevante Ursachen sind Schielen oder eine Kombination von Fehlsichtigkeit und Schielen. Auch organische Störungen können zu einer Schwachsichtigkeit führen. Hierzu zählen typischerweise eine kindliche Katarakt (Linsentrübung) oder eine Ptosis (hängendes Oberlid) [1, 3].
Dies führt jeweils zu einem unscharfen oder unterdrückten Bild, so dass sich bis zur Schulzeit kein volles Sehvermögen entwickeln kann.
Aktuelle Therapie
In den ersten sechs bis sieben Lebensjahren ist die Entwicklung des visuellen Systems noch beeinflussbar. Daher wird diese Zeit die sogenannte "sensitive Phase" des Sehens genannt und eine frühzeitige Therapie ist hier entscheidend. In dieser Phase der Sehentwicklung ist die Amblyopie vollständig oder zumindest teilweise reversibel. Im Erwachsenenalter ist nicht mehr mit einer Verbesserung der Sehschärfe zu rechnen [4].
Die aktuelle Standardtherapie der Schwachsichtigkeit besteht auch bei einem erst sechs bis zwölf Monate alten Kind zunächst in der optimalen Korrektur einer eventuellen Fehlsichtigkeit durch eine Brille oder in seltenen Fällen Kontaktlinsen. Im nächsten Schritt erfolgt die Abdeckung (Okklusion) oder Vernebelung (Penalisation) des besseren Auges, um das schlechtere Auge zu fördern und eine kortikale Suppression des schwächeren Auges zu verhindern [5, 6]. Hierbei ist eine gute Aufklärung der Eltern und Kinderausschlaggebend, da hier eine gute Mitarbeit therapieentscheidend ist. Studien belegen immer wieder, dass die getragene Pflasterzeit oft deutlich unter der angeordneten liegt [7, 8]. Ziel ist es, für das kindliche Gehirn möglichst früh ein scharfes Bild auf beiden Augen zu erreichen.
Neue ergänzende Therapieoptionen
Im Kleinkindalter werden eine Brille oder eine Abdecktherapie sehr unterschiedlich akzeptiert. Bisher war es schwer möglich, dies zu kontrollieren oder zu überwachen. Man war auf die Aussagen der Eltern angewiesen. Inzwischen können über Mikrosensoren die Tragezeiten von Okklusionspflastern effektiv kontrolliert werden [8, 9, 10]. Mittels Temperatur- und Temperaturdifferenzmessungen auf kleinster Chipgröße (9 x 13 x 4 mm) im Pflaster (Abb. 1) können die Tragezeiten elektronisch erfasst werden. Dies ermöglicht eine bessere Therapiesteuerung und kann besonders in schwierigen Fällen eingesetzt werden.
Einsatz von digitalen Medien und Shutterbrillen
Momentan werden auch wieder Trainingsverfahren auf Basis von psychophysischen Übungen als Computerspiel in "App-Funktion" zur Ergänzung oder als Ersatz der Abdecktherapie getestet. Dadurch soll eine beidäugige Zusammenarbeit gefördert werden, indem die Augen z. B. unterschiedlichen Kontrasten ausgesetzt und die Bildinhalte unterschiedlich auf beide Augen verteilt werden. Das schwächere Auge soll durch dieses dichoptische Training gefördert werden [11, 12].
Eine weitere neue Option ist die Entwicklung einer elektronischen Shutterbrille (Amblyz®, Abb. 2). Hierbei wird ein Brillenglas im 30-Sekunden-Rhythmus abgedunkelt. In den USA ist diese Shutterbrille seit 2015 von der Gesundheitsbehörde FDA zugelassen. Eine Studie aus Indiana ergab gleichwertige Ergebnisse der Shutterbrille im Vergleich zu einer täglichen Abdecktherapie von zwei Stunden [13].
Die neuen Therapiemöglichkeiten werden in Deutschland nicht regulär eingesetzt, da die Ergebnisse der Studien aus den USA nur beschränkt auf das europäische Therapieschema übertragbar sind. Aufgrund zunehmender Nachfrage von Eltern und Patienten nach Nutzung der neuen digitalen Techniken und Medien werden diese Übungen zum Kontrastsehen und räumlichen Sehen momentan diskutiert, da diese als Grundlagen für visuelle Übungen mittels Apps und Computerspielen dienen, und europäische Studien sollen folgen.
Computerspiele oder 3D-Brillen könnten daher zukünftig gleichzeitig die Nachfrage nach visuellem Training sinnvoll befriedigen und die aktuelle Amblyopietherapie ergänzen.
Interesssenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert.
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (13) Seite 46-48