Sie ist oft ein Zufallsbefund beim Hausarzt: die chronische Nierenerkrankung. Welche Kontrollen und Therapien kann der Allgemeinarzt bei chronisch nierenkranken Patienten übernehmen, die (noch) nicht dialysepflichtig sind? Und ab welchem Stadium sollte eine Mitbehandlung durch den Nephrologen erfolgen? Ist die glomeruläre Filtrationsrate verringert, muss generell an ein akutes Nierenversagen gedacht und sofort gehandelt werden.
Die Definition der chronischen Niereninsuffizienz (Tabelle 1) hat KDIGO (Kidney Disease: Improving Global Outcome) schon 2002 durch die der chronischen Nierenerkrankung (CKD; chronic kidney disease) ersetzt. Beide Ansätze beruhen auf der Serumkreatinin-Messung und der daraus geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR). KDIGO ergänzte aber die Albuminurie und strukturelle Nierenschäden in der CKD-Definition: Die Zuordnung zu frühen CKD-Stadien G1 und G2 erfolgt nur, wenn sich andere Schäden, wie morphologische Auffälligkeiten der Nieren oder eine Albuminurie, zeigen. Diese wird mit der Albumin-Kreatinin-Ratio im Urin (ACR) erfasst – die unpraktische Urinsammlung über 24 Stunden entfällt (Tabelle 2). Die Stadienangabe bei CKD erfolgt durch Nennung der G- und A-Stadien z. B. als "CKD G3aA1".
Durch die erweiterte Definition hat sich die Zahl der "Nierenkranken" erhöht. Bis zu 10 % der deutschen Bevölkerung haben demnach eine CKD (≥ G3), wobei der Anteil altersabhängig steigt [1]. Eine Abgrenzung von der altersbedingten Abnahme der eGFR von etwa 1 – 2 ml/min/Jahr ab dem 40. Lebensjahr ist nicht immer sicher möglich. Bei jährlich etwa 5.000 Menschen in Deutschland schreitet die CKD zur terminalen Niereninsuffizienz fort. Die wichtigsten Ursachen sind Diabetes und Hochdruck, seltener spezifische Nierenerkrankungen. Auch die terminale Niereninsuffizienz ist selten, dennoch gibt es derzeit circa 60.000 Dialysepatienten in Deutschland. Nierenspezifische Komplikationen muss man deshalb unbedingt verhindern. Dazu zählen akutes Nierenversagen, renale Anämie und CKD-Mineral and Bone Disorder (CKD-MBD, früher: renale Osteodystrophie) sowie ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Eine gute Arbeitsteilung und Schnittstellendefinition zwischen Hausarzt und Nephrologen sind hier nötig. Folgende Empfehlungen basieren auf internationalen Leitlinien und einer interdisziplinären Konsensuskonferenz im Rahmen einer Leitlinienentwicklung [2, 3].
Ein Screening auf CKD wird nicht empfohlen. Gründe für eine Untersuchung sind:- Neu aufgetretene Ödeme oder Luftnot
- Diabetes mellitus
- Neu diagnostizierter Bluthochdruck
- Einnahme nephrotoxischer Medikamente, Chemotherapie, Kontrastmittelgabe
- Autoimmunerkrankungen, rheumatische Erkrankung
- Urologische Erkrankungen
- Positive Familienanamnese für Nierenerkrankungen, z. B. Zystennieren
- Zufallsbefunde in Labor (z. B. Proteinurie) oder Sonographie
Was tun bei Erstdiagnose?
Sobald man das Kreatinin bestimmt, sollte die eGFR beurteilt werden, die das Labor meist automatisch auf Basis der MDRD-Formel oder der CKD-EPI-Formel angibt. Anhand des Alters oder der Komorbiditäten des Patienten ist in der Regel klar, ob er ein chronisches Problem hat. Bei verringerter eGFR sollte der Arzt aber immer daran denken, ob ein akutes Nierenversagen vorliegt, z. B. durch Medikamente oder Dehydratation. Für die Diagnose einer CKD ist eine zweite Messung nach drei Monaten notwendig, die eine erniedrigte eGFR zeigen muss.
Auch weitere Untersuchungen kann der Hausarzt vornehmen, wie die Blutdruckkontrolle. Ein Wert über 140/90 mmHg ist ein behandelbarer Risikofaktor der CKD und kann auf eine Glomerulonephritis (GN) hinweisen. Eine Hämaturie sollte man mit einem Streifentest ausschließen, ein positiver Befund aus einer neuen Urinprobe sollte kontrolliert werden (DEGAM-Leitlinie Hämaturie [4]).
Eine persistierende Hämaturie kann ein urologisches Problem oder eine GN sein. Für die Evaluation der Nierenfunktion ist Kreatinin allein nicht ausreichend, eine Proteinurie sollte immer untersucht werden. Der Streifentest ist hier nicht zuverlässig. Besser man bestimmt die weniger fehleranfällige Albumin-Kreatinin-Ratio (ACR) im Urin, die auch eine Quantifizierung erlaubt (Tabelle 2). Ein Diabetes sollte ausgeschlossen sein. Eine Sonographie der Nieren ist nicht obligat und sollte bei einer eGFR < 30 ml/min/1,73 m² oder bei einer möglichen obstruktiven Uropathie erfolgen. Medikamente, vor allem NSAR, sollte man bezüglich Nephrotoxizität und Dosierung prüfen und anpassen.
Welche Patienten wie behandeln?
Die meisten Patienten brauchen keine erweiterte Diagnostik. International wird eine Überweisung zum Nephrologen ab einer eGFR < 30 ml/min/1,73 m² empfohlen. Es gibt aber gute Gründe, davon abzuweichen. Bei jüngeren Patienten (< 50 Jahre) sollte auch bei einer höheren, aber nicht alterstypischen eGFR eher eine Überweisung erfolgen. Und bei Hochbetagten ist bei niedriger eGFR in Absprache mit den Betroffenen beziehungsweise den Angehörigen der Verzicht auf eine fachärztliche Abklärung vertretbar. In folgenden Situationen sollte man eine Überweisung anbieten:- Hinweise auf Glomerulonephritis oder andere spezifische Nierenerkrankung
- Persistierende nicht urologische Hämaturie
- Proteinurie
- Unkontrollierter Bluthochdruck trotz > 3 Blutdruckmedikamenten
- V. a. renale Anämie
- V. a. CKD-BMD
- Rasche Progression, definiert als 25 %ige Abnahme der eGFR mit Änderung des CKD-Stadiums innerhalb eines Jahres
- Anhaltende Abnahme der eGFR um 15 ml/min/1,73 m² pro Jahr
Bei persistierender Hämaturie ohne Proteinurie oder V. a. eine obstruktive Uropathie sollte eine Überweisung in die Urologie erfolgen. Bei V. a. erbliche Nierenerkrankungen kann eine Überweisung in die Humangenetik indiziert sein. Die meisten Risikofaktoren kann der Hausarzt behandeln. Die Patienten sollten über die CKD aber immer gut aufgeklärt werden. Für spezielle Schulungsprogramme ließen sich jedoch keine Effekte nachweisen [5].
Das Rauchen bringt stets ein höheres Progressionsrisiko mit sich und sollte bei der Beratung auch unabhängig von der CKD thematisiert werden. Der Nutzen einer Ernährungsintervention auf die CKD-Progression ist nicht gut belegt [6]. Die Eiweißzufuhr sollte im Bereich von circa 0,8 g/kg Körpergewicht liegen, wie für gesunde Menschen empfohlen. Die meisten Patienten mit CKD sind salzsensibel. Die durchschnittliche tägliche Kochsalzaufnahme in Deutschland liegt mit 8 – 10 g/Tag deutlich über der empfohlenen Menge von täglich 5 – 6 g Kochsalz. Eine Restriktion von Phosphat oder Kalium wird erst ab einem CKD-Stadium G4 sinnvoll. Eine Ernährungsberatung bei fortgeschrittenen CKD-Stadien ist eine freiwillige Leistung der Kassen und nicht überall verfügbar.
Bei Hochdruck sollte man den Wert unter 140/90 mmHg senken. Erstlinienmedikamente sind Angiotensin Converting Enzym-Hemmer (ACEI) oder Sartane. Ob ACEI bei Nicht-Diabetikern einen Vorteil gegenüber anderen Blutdruckmitteln haben, ist umstritten [7, 8]. Eine Behandlung von normotensiven Patienten durch die Nephrologie kann bei Proteinurie erwogen werden. Bei Diabetes sollte das HbA1c unter 7,5 % liegen, wenn dies ohne Unterzuckerungen zu erreichen ist. Bei Älteren sind auch höhere Werte akzeptabel. Mittel der ersten Wahl ist Metformin, das bis zu einer eGFR von 30 ml/min/1,73 m² zugelassen ist. Die CKD stellt auch einen unabhängigen kardiovaskulären Risikofaktor dar. Statine und Thrombozytenaggregationshemmer sollten am absoluten Risiko orientiert verordnet werden, wie bei Nicht-CKD-Patienten [9, 10]. Bei CKD steigt regelmäßig der Harnsäurespiegel an. Eine Progressionshemmung oder die Reduktion des kardiovaskulären Risikos durch die Behandlung der asymptomatischen Hyperurikämie sind nicht belegt [11]. Ein Eisenmangel ist die häufigste Ursache einer Anämie – auch bei CKD – und lässt sich durch den Hausarzt beheben. Die Behandlung der renalen Anämie mit Erythropoetinderivaten ist nur bei symptomatischer Anämie indiziert und Aufgabe des Nephrologen, wie auch die Immunsuppression, spezifische Therapien mit Phosphatbindern und die Behandlung der metabolischen Azidose mit Bikarbonat bei fortgeschrittener CKD.
Fazit
Eine Kontrolle der eGFR und des Hämoglobins reicht meist einmal pro Jahr aus. Auch ein Medikamentenreview sollte einmal jährlich stattfinden. Für die Dosisanpassung empfiehlt sich die Webseite http://www.dosing.de der Heidelberger Pharmakologie. Bei jedem Arztbesuch sollte man den Blutdruck oder besser die Selbstmessungen kontrollieren. Für die Untersuchungsfrequenz gibt es nur einen Expertenkonsens, eine individuelle Vereinbarung mit dem Patienten ist zu empfehlen. Bei einer eGFR > 30 ml/min/1,73 m² sind keine Kontrollen des Knochenstoffwechsels nötig. Die einmalige Bestimmung von Kalzium, Phosphat, Parathormon und 25-OH-Cholecalciferol kann sinnvoll sein. Bei nephrologisch mitbetreuten Patienten werden diese Parameter in der Regel bestimmt. Wiederholungsmessungen der ACR sind individuell zu entscheiden. Unter Diuretika kann eine Kaliumkontrolle hilfreich sein. Bei nephrologischer Mitbetreuung sollten Hausarzt und Nephrologe ihre Aufgaben absprechen, um Doppeluntersuchungen zu vermeiden.
Interessenkonflikte: JFC, SS haben Drittmittel von der DAMP-Stiftung und der KFH-Stiftung Präventiv Medizin erhalten.
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (6) Seite 16-18