Schon seit über einem halben Jahrhundert weiß man, dass ein feuchtes Wundbett die Wundheilung beschleunigt. Wie dieser Effekt zustande kommt, haben jedoch erst neuere wissenschaftliche Untersuchungen zeigen können. Aufgrund der Erkenntnis, dass Menge und Zusammensetzung des Wundsekrets eine entscheidende Rolle spielen, wurden zahlreiche Verbandmaterialien entwickelt, die ein besseres Wundmanagement ermöglichen.

Bereits 1948 wurde in einer kontrollierten Studie von Gilje postuliert, dass eine Wunde unter feuchtem Milieu besser zu heilen vermag als in trockener Umgebung. Mehr als zehn Jahre später veröffentlichte George D. Winter die berühmten und für die damalige Zeit bahnbrechenden Ergebnisse seiner Arbeit über die Epithelisation von Wunden an jungen Hausschweinen unter feuchten Bedingungen im Vergleich mit trockener Wundbehandlung. Aufgrund dieser Erkenntnisse wurden schon in den 60er Jahren Wundauflagen entwickelt, welche ein möglichst physiologisches und für die Heilung optimales Wundmilieu gewährleisten. Richtig durchgesetzt hat sich die feuchte Wundbehandlung aber erst in den frühen 90er Jahren und noch heute hält sich bei vielen Patienten mit chronischen Wunden hartnäckig die überlieferte Theorie, dass an eine Wunde „Luft“ herankommen muss, damit diese heilen kann.

Die Wundheilung in Phasen

Wundheilung ist ein vielfältig regulierter, komplexer Vorgang. Das Ziel des Zusammenwirkens verschiedener Prozesse ist es, neues Gewebe zu bilden, um den ausgewiesenen Defekt zu reparieren und die Oberfläche mit Epithel wieder zu verschließen. Die Wundheilung verläuft grundsätzlich immer nach dem gleichen Muster in je nach Quelle drei bis vier Phasen ab (vgl. Tabelle 1). In der akuten Phase, auch als Exsudationsphase bezeichnet, spielen die Hämostase und akut entzündliche Reaktionen eine wesentliche Rolle. In dieser katabolen Phase werden durch Phagozytose und beginnende Exsudation Zelltrümmer, Bakterien und Fremdkörper entfernt. In einer zweiten Phase, der anabolen Wundheilungsphase, auch als Proliferationsphase bezeichnet, beginnt die Defektschließung durch Gewebeaufbau. Schließlich wird der Defekt in der dritten Wundheilungsphase epithelisiert (Epithelisationsphase).

Obschon zeitlich gestaffelt, überschneiden sich die einzelnen Phasen während des Heilungsprozesses und führen bei ungestörter Heilung in einem Zeitraum von ungefähr drei Wochen zu einer Abheilung der Wunde (primäre Wundheilung).

Die Wundheilung kann aber durch lokale und systemische Störfaktoren starke Verzögerungen erfahren (sekundäre Wundheilung). Die Heilung stagniert unter störenden Einflussfaktoren meistens in der ersten Heilungsphase, also der Exsudationsphase.

Exsudat als Parameter für die Heilung

Die Entzündung im Wundgebiet sorgt für die Bildung von Exsudat. Als Exsudat wird der vermehrte Austritt von Flüssigkeit und Zellen aus den Blut- und Lymphgefäßen bezeichnet. Das Wund­exsudat von akuten und chronischen Wunden unterscheidet sich in seiner Zusammensetzung wesentlich. So lassen sich im Exsudat chronischer Wunden deutlich mehr proinflammatorische Zytokine und Proteasen, namentlich Matrix-Metallo-Proteinasen, nachweisen. Überdies findet sich im Wundexsudat eine Leukozytenanreicherung, was der Reinigung der Wunde dient.

Das Wundexsudat vermengt sich mit Bakterien und Zelltrümmern zum Wundsekret, welches im Verband aufgefangen wird. Zu viel Wundsekret kann die Wundheilung behindern und ist ein guter Nährboden für Mikroorganismen. Zu wenig Wundsekret wiederum führt zu einer Austrocknung im Wundbett und behindert sodann ein Fortschreiten der reparativen Prozesse.

Qualität und Quantität des Wundsekrets

Anhand des Wundsekrets lässt sich einiges über den Heilungsverlauf aussagen. So sind Farbe, Konsistenz und Geruch des Wundexsudats ebenso wichtige Parameter wie dessen Menge. Ein „normales“ Exsudat ist von honigfarbenem Aussehen und liegt in einer wässrigen Form vor. Hohe Viskosität, grüne oder rote Verfärbungen und Übelgeruch deuten auf eine kritische Kolonisation oder Infektion hin und bedürfen einer lokalen antibakteriellen Therapiestrategie (Antiseptika, Silberverbände). Bei klinischen Infektzeichen und positivem Abstrichergebnis ist zusätzlich eine systemische Antibiose erforderlich.

Die Menge des Exsudats ist schwierig einzuschätzen. Eine Möglichkeit besteht darin, dessen Menge an der Häufigkeit der erforderlichen Verbandswechsel abzuschätzen (Tabelle 2). Weniger häufig erforderliche Verbandswechsel sind dabei ein Indiz dafür, dass die Wundheilung von der ersten in die zweite Phase übergeht. Bei häufiger erforderlichen Verbandswechseln ist an eine kritische bakterielle Kolonisation oder gar eine Infektion zu denken. Parallel dazu können häufig eine Wundvergrößerung, zunehmende Fragilität des Granulationsgewebes und vermehrte Schmerzhaftigkeit registriert werden.

Chronischen Wunden, welche keinerlei Wundexsudat fördern, fehlt indessen die Möglichkeit, das erwünschte Wundbett aufzubauen und die Wunde mit Epithel zu überwachsen. Derartig ausgetrocknete Wunden bedürfen einer Überführung in die exsudative Phase der Wundheilung (Abb. 1). Dies kann durch ein chirurgisches Débridement geschehen, indem die Wunde in eine „frische“ akute Wunde überführt wird. Eine andere Möglichkeit besteht darin, der Wunde Feuchtigkeit, beispielsweise in Form eines Hydrogels, zuzuführen und damit die Autolyse der Beläge und eventuellen Nekrosen in Gang zu setzen.

Selbstverständlich gehört neben der Einschätzung und Beeinflussung der Exsudat­menge immer auch eine ganzheitliche Einschätzung des Patienten mit seiner Wundsituation zu einer guten Wundbehandlung und darf nie außer Acht gelassen werden.

Exsudatmanagement im Praxisalltag

Ein adäquates Exsudatmanagement ist nicht nur für die Wundheilung unabdingbar, sondern schützt gleichzeitig die Wundumgebung vor Mazeration und dadurch bedingter Größenprogredienz. Heute sind zahlreiche Wundauflagen verfügbar, die den verschiedensten Anforderungen gerecht werden müssen (vgl. Tabelle 3). Vorrangig ist dabei immer, der Wunde ein bezüglich Feuchtigkeit, Temperatur, pH-Wert und bakterieller Last bestmögliches Milieu zu schaffen oder zu erhalten.

Einzelne Wundauflagen erfordern einen Sekundärverband, der entsprechend des Exsudats und der bakteriellen Last gewählt werden muss. Folien, Hydrokolloide und haftende Schaumstoffe sind wasserdampfdurchlässig (ausgedrückt in der MVTR = moisture vapour transmission rate) und gleichzeitig wasserabweisend. Diese Produkte können je nach Exsudatmenge als primäre Wundauflagen eingesetzt werden. Lässt sich das Exsudat damit nicht kontrollieren, ist oftmals eine sinnvolle Kombination mehrerer verschiedener primärer Wundauflagen angezeigt (Tabelle 3).

Durch das Zusammenspiel von Flüssigkeitsaufnahme in den Verband und dem Verdampfen von Flüssigkeit über die Verbandsoberfläche wird es möglich, den Ansprüchen der feuchten Wundbehandlung gerecht zu werden.

Wundrandschutz und Hautpflege

Oft wird durch das Wundexsudat auch die Wundumgebung stark in Mitleidenschaft gezogen. Große Exsudatmengen können nicht von den Wundauflagen kompensiert werden und die Hautbarrierefunktion wird zerstört. Um diesem Geschehen entgegenzuwirken, ist es wichtig, einen angepassten Wundrandschutz zu applizieren. Mazerationen der Wundumgebung müssen getrocknet werden, zum Beispiel mit einer Hydrofaser. Anschließend können Zinkcreme, Hautschutzfilm oder dünne Folienverbände auf die intakte Wundumgebung appliziert werden.

Entscheidend für die Wahl der Hautpflege ist der aktuelle Hautzustand. Davon hängt ab, ob die Haut einen erhöhten Fett- oder Lipidanteil nötig hat. Man wird also zwischen Öl-in-Wasser- oder Wasse-in-Öl-haltigen Pflegeprodukten wählen. Auf potenziell allergisierende Inhaltsstoffe in Hautpflegeprodukten ist möglichst zu verzichten.

Zusammenfassung

Das Wundexsudat ist unverzichtbarer Teil einer fortschreitenden Wundheilung. In chronischen Wunden bestehen Unterschiede in der Zusammensetzung und Quantität des Exsudats im Vergleich mit akuten Wunden. Die Beeinflussung der Exsudatmenge spielt eine wesentliche Rolle in der Behandlung chronischer Wunden. Die exogene Substitution einzelner Faktoren ist Gegenstand aktueller Forschung.

Die feuchte Wundbehandlung beeinflusst die Wundheilung günstig. Die neuere Forschung baut auf dieser Erkenntnis auf und versucht zu analysieren, welche Inhaltsstoffe des Exsudats dabei eine Rolle spielen. Neben dem Management der Exsudatmenge in der Wunde dürfte vermehrt auch die Beeinflussung der Zusammensetzung des Exsudats von Bedeutung sein.


Interessenkonflikte:
keine deklariert

Dr. med. Jürg Traber


Kontakt:
Dr. med. Jürg Traber
Venenklinik Bellevue
CH-8280 Kreuzlingen

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2010; 32 (4) Seite 36-40