„Seit einigen Monaten tränen meine Augen immer wieder stark. Das stört mich ziemlich. Besonders schlimm ist es an kalten, windigen Tagen“, klagt eine 58-Jährige ihrem Hausarzt. Was kann dieser ihr empfehlen?

Das Ungleichgewicht zwischen Tränenproduktion und -abfluss, das sich als Augentränen zeigt, geht meist auf das Konto mehrerer Einflussfaktoren, betonen Esmaeil M. Arbabi und Kollegen im British Medical Journal [1]. Der normale wässrige Tränenfilm, den die Tränendrüse produziert, ist für die Befeuchtung, Ernährung und den Schutz der Augenoberfläche verantwortlich. Das autonome Nervensystem kontrolliert die Funktion der Tränendrüse, zusätzlich wird sie durch neuronale Rückkopplung von der Augenoberfläche moduliert. Um den individuellen Störfaktoren dieses Systems rasch auf die Spur zu kommen, empfiehlt das Autorenteam, Patienten mit häufig tränenden Augen folgende Fragen zu stellen:

Anamnese: Sieben Kernfragen

  1. Wann setzen die Beschwerden ein, wie lange halten sie an und welche Seite(n) ist (sind) betroffen?
  2. Treten die Symptome vorwiegend in Räumen oder im Freien auf? Symptome in Räumen behindern normalerweise stärker, betonen die Autoren.
  3. Ist/war der Patient bestimmten Faktoren ausgesetzt, die eine Trockenheit und Reizung der Augenoberfläche und somit reflektorischen Tränenfluss begünstigen? Als Beispiele hierfür sind zu nennen: kaltes, windiges Wetter, staubige Arbeitsumgebung, Aktivitäten, die Konzentration über längere Zeit erfordern (z.B. Computer, TV), Kosmetika oder auch Hormonumstellung.
  4. Treten Begleitsymptome auf? Ein kratzendes Gefühl oder intermittierendes verschwommenes Sehen lassen auf ein trockenes Auge schließen, verklebte und empfindliche Augenlider dagegen auf eine Lidrandentzündung (Blepharitis). Letztere hat ebenfalls eine chronische Irritation zur Folge. Schmerz gehört nicht zur Symptomatik des tränenden Auges, betonen Arbabi et al. Allerdings können schmerzhafte Entzündungen oder Infektionen der Augenoberfläche und der okulären Adnexe mit Tränenfluss einhergehen.
  5. Ist ein Augenlid verletzt oder litt der Patient an Entzündungen, die den Tränenabtransport beeinträchtigen, wie eine Dakryozystitis oder Kanalikulitis? Dies kann unilateral auftretende Symptome erklären.
  6. Welche Medikamente nimmt der Patient ein? Einige Chemotherapeutika können einen Tränengangsverschluss verursachen; bei M. Parkinson, Depression, Schlafstörungen, Schilddrüsenleiden und Rheuma eingesetzte Mittel können auf den Tränenfluss wirken.
  7. Stören die Beschwerden im Alltag? Triefaugen können beispielsweise die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen.

Anatomische Besonderheiten beachten

Bei der klinischen Untersuchung empfehlen die Autoren, auf folgende Auffälligkeiten zu achten:

  • Rot umrandete Lidränder und Krustenbildung: Sie lassen eine Blepharitis vermuten. Gelegentlich könne auch eine milde Hyperämie der Bindehaut bestehen, so Arbabi und Kollegen.
  • Lidfehlstellungen: Mildes Herunterhängen des ipsilateralen Gesichtes kann auf eine Fazialisparese und damit auf eine Schädigung des zweiten Motoneurons hinweisen.
  • Ungewöhnlich kleiner Durchmesser des unteren Tränenpünktchens.
  • Schmerzloser Knoten im medialen Augenwinkel: Liegt die Haut normal darüber und treten bei leichtem Druck große Schleimmengen aus dem Tränenpünktchen aus, deutet dies auf eine Mukozele hin.
  • Harte Masse: Sie gilt als Warnzeichen für einen sehr seltenen Tränensacktumor.

Künstliche Tränen als Basismaßnahme

Vielfach lassen sich die Beschwerden konservativ mit künstlichen Tränen behandeln oder zumindest lindern, beispielsweise wenn sie auf eine häufig vorliegende Blepharitis zurückzuführen sind (s. Interview-Kasten). Je nach klinischem Befund kommen weitere unterschiedliche Vorgehensweisen in Betracht:

Schwarztee beruhigt gereizte Augen

Führt eine chronische Störung oder Reizung der Augenoberfläche zu einer übermäßigen Tränensekretion, gilt es zunächst, die Triggerfaktoren hierfür auszuschalten, etwa durch Tragen einer Schutzbrille oder durch Lidhygiene bei Blepharitis (s. Interview-Kasten). Zu Behandlungsbeginn kann eine großzügige Befeuchtung der Augenoberfläche sinnvoll sein, um die Beschwerden zu lindern. Eine Blepharitis lässt sich auch mit warmen Schwarzteekompressen gut behandeln, die zweimal täglich für zehn Minuten aufgelegt werden. Wichtig ist, dass der Patient versteht, warum ihm Augentropfen sowie die Wärme und desinfizierende Wirkung des Schwarztees Linderung verschaffen können, betonen die Autoren. Er muss auch wissen, dass er die Therapie beständig fortsetzen sollte und je nach Beschwerdemaß intensivieren kann, z. B. bei trockener Luft durch Klimatisierung oder während der Heizperiode im Winter.

Blockierte Tränenwege weiten

Sind dagegen die Tränenabflusswege gestört, ist in der Regel eine fachärztliche Überweisung und unter Umständen auch eine erste Aufklärung über chirurgische Interventionsmöglichkeiten angezeigt. Zwar sind manche Patienten zufrieden, wenn der Arzt ihnen versichert, dass ihre Symptome gutartig sind. Auch muss eine Tränenwegsobstruktion nicht zwingend operiert werden; zur Vergrößerung ungewöhnlich kleiner unterer Tränenpünktchen hat sich die Untersuchung mit einem Ophthalmoskop bewährt. Ein chirurgischer Eingriff ist jedoch beispielsweise indiziert, wenn ein chronisches Auswärtsstülpen (Ektropium) des Unterlids das Tränenpünktchen zu schädigen droht.

Bei Säuglingen: Tränengang massieren und Antibiotika sparsam einsetzen

Bei Kindern unter zwölf Monaten wird eine chirurgische Intervention jedoch kaum in Betracht gezogen. Denn eine kongenitale Obstruktion des Tränengangs eröffnet sich bei ihnen in den meisten Fällen spontan. Dies lässt sich mit einer Tränengangsmassage beschleunigen. Sie wird am inneren Lidwinkel des betroffenen Auges durch festen Druck nach unten durchgeführt. Rezidivierende Konjunktivitiden bei diesen Kindern sind meist selbstlimitierend, betonen die Autoren und mahnen deshalb: Eine übertriebene Antibiotikatherapie vermeiden!

Stefanie Lindl-Fischer


Literatur
1) BMJ 2011; 343:d4029

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2012; 34 (15) Seite 42-43