Auf dem platten Land tun sich immer größer werdende Lücken bei der hausärztlichen Versorgung auf. Fast alle Bundesländer bieten mittlerweile Anreizsysteme, um junge Ärzte anzulocken. Doch was spricht für ein Leben als Hausärztin oder Hausarzt auf dem Land? Und warum zieht es viele doch eher in die Stadt? Wir lassen 2 angehende Allgemeinärztinnen schildern, warum sie sich wofür entschieden haben. Dabei zeigt sich: Die Gründe sind meist ganz individuell.

Julia Friedel: Wahlheimat "Land" – auch als junge Allgemeinärztin kein Widerspruch

Ich arbeite gerne auf dem Land, weil ich die Ruhe und die weite Natur direkt vor der Haustüre schätze. Dies ist allerdings ein sehr individueller Beweggrund. Ein zusätzlicher Vorteil auf dem Land sind außerdem die niedrigeren Mieten, die ein großzügigeres Wohnen ermöglichen. Bei der Wahl des Wohnortes geht es eben nicht nur um das ärztliche Handeln, sondern auch um die eigenen Interessen.

Von der ärztlichen Sicht auf das Land gefällt mir die enge Bindung zu den Patienten und deren Familien. Mich persönlich freut es, im Supermarkt bekannte Gesichter zu grüßen und begrüßt zu werden. Es entsteht dadurch ein Gemeinschaftsgefühl. Das heißt aber nicht, dass die Patienten privat Rat suchen. Dies ist bei uns im Ort bei keinem der Kollegen üblich und somit kein Problem. Mein Privatleben darf auch auf dem Land mir gehören. Auch muss es keine 24-Stunden-Erreichbarkeit der Hausärzte mehr geben. Wir haben genauso den ärztlichen Bereitschaftsdienst, auf den wir am Abend oder am Wochenende verweisen.

Natürlich ist die "Landärztin" sehr geschätzt, da sie eben nicht mehr selbstverständlich ist. So haben mich viele Patienten im vergangenen Jahr angesprochen, wie sehr sie sich freuen, dass wieder eine junge Ärztin in der Praxis arbeitet. Die allgemein hohe Akzeptanz für einen jungen Arzt hat mir den Berufsstart sehr leicht gemacht. Sehr berührt hat mich auch, dass ich für einige Patienten nach kurzer Zeit in der Praxis schon "ihre Hausärztin" war und sie es sehr schade fanden, dass ich in die Klinik wechseln musste.

Julia Friedel
lebt seit Anfang 2016 in Kirchberg im Wald, einem kleinen Ort im Bayerischen Wald mit ca. 4.000 Einwohnern. Sie ist seit gut einem Jahr Ärztin in Weiterbildung und hat das erste Jahr in einer der beiden Allgemeinarztpraxen in Kirchberg gearbeitet. Derzeit ist sie für 18 Monate Assistenzärztin in der Inneren Medizin der Arberlandklinik Viechtach, einem regionalen Krankenhaus mit 157 Betten und 4 Stationen. Danach möchte sie 6 Monate in der Allgemeinchirurgie arbeiten. Julia Friedel ist nicht auf dem Land aufgewachsen, hat sich aber aktiv aus der Stadt weg für das Leben auf dem Land entschieden. Sie ist aktives Mitglied der JADE im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

Das Vorurteil, dass auf dem Land nur alte Patienten oder grippale Infekte behandelt werden, kann ich nicht bestätigen. Die Patienten kommen mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Erkrankungen. Von banalen Anlässen wie einer Lumbago über den akuten Herzinfarkt bis hin zum palliativen Patienten ist alles dabei. Auch viele Kinder werden in der Praxis behandelt, da kein Kinderarzt direkt vor Ort ist. Ich würde sogar sagen, auf dem Land trifft man auf eine breitere Palette von Beratungsanlässen als in der Stadt, da die Spezialisten weiter entfernt sind und die Patienten eine wohnortnahe Versorgung schätzen.

Die Qualität der Versorgung habe ich allerdings durch die enge Kooperation mit den Fachkollegen im Umkreis als sehr gut erlebt. Da die Patienten nicht immer direkt die Möglichkeit haben, den Spezialisten selbst aufzusuchen, ist es die Aufgabe des Hausarztes und seines Teams, eine gute Versorgung zu gewährleisten. Dies setzt auch eine breite Kenntnis des Allgemeinarztes in den verschiedenen Fachbereichen voraus. Dieser ganzheitliche Anspruch macht die Arbeit für mich so interessant. Damit ich diesen Anspruch halten kann, nehme ich an einem Qualitätszirkel in der Region teil. Außerdem hat die Praxis, in der ich im ersten Jahr der Weiterbildung gearbeitet habe, verschiedene Fortbildungskonzepte für die Ärzte erstellt, an denen ich auch während meiner Klinikzeit teilnehmen kann. So wird einmal die Woche per Skype ein praktisches Thema, wie z. B. Umgang mit Schulterschmerzen, besprochen und einmal im Monat treffen wir uns zu einem sog. "Journal-Club", bei dem wir die aktuellen Studien aus den einschlägigen, pharmafreien medizinischen Quellen besprechen. Das neueste Projekt ist die Ausweitung des Journal-Clubs auf die Ärzte des Landkreises (Allgemein- und andere Fachärzte sowie im Krankenhaus tätige Ärzte), damit alle auf dem neuesten Stand sind und eine einheitliche regionale Versorgung der Patienten stattfinden kann.

Aus den bereits geschilderten Gründen möchte ich auch nach der Facharztprüfung auf dem Land tätig sein. Dafür spricht zudem die im Allgemeinen auf dem Land leichtere Etablierung der eigenen Praxis, da eine hohe Akzeptanz für neue Ärzte besteht und viele Sitze frei werden. Ein zusätzlicher Bonus ist auch die momentane finanzielle Unterstützung bei der Übernahme einer Praxis in Gebieten der Mangelversorgung.

Für mich persönlich steht jetzt schon fest, dass ich mich sehr wohl in meiner Wahlheimat fühle. Gerade das Miteinander möchte ich nicht mehr missen. Darüber hinaus sehe ich in der Weiterentwicklung der Fortbildungsstrukturen in unserer Region ein sehr großes Potenzial für eine starke Gesundheitsregion, bei der alle Fachrichtungen zusammenarbeiten und auch die ambulante und stationäre Behandlung fließender ineinander übergeht.

Für mich sind nicht nur die ärztlichen Strukturen oder die ärztlichen Inhalte der springende Punkt für meine Entscheidung. Es ist das Lebensgefühl auf dem Land. Ich denke, man kann aus Stadtmenschen keine Landmenschen und umgekehrt machen. Ich glaube aber, dass es genug Ärzte gibt, die sich das Arbeiten auf dem Land vorstellen könnten. Wir müssten nur darauf aufmerksam machen, dass das Land Spaß macht, dass es keine Horrorszenarien von 24-Stunden-Erreichbarkeit an 7 Tagen die Woche geben muss und dass eine adäquate, qualitativ hochwertige Arbeit auch auf dem Land möglich ist.

Mein Appell daher an junge Kolleginnen und Kollegen: Traut euch, aufs Land zu gehen! Wir haben keine Langeweile, nicht nur alte Patienten, sondern viele unterschiedliche Beratungsanlässe. Darüber hinaus kann es gute Fortbildungsmöglichkeiten und eine tolle Vernetzung mit den Ärzten vor Ort geben.

Auf dem Land muss es keine Horrorszenarien von 24-Stunden-Erreichbarkeit an 7 Tagen die Woche geben.Julia Friedellebt seit Anfang 2016 in Kirchberg im Wald, einem kleinen Ort im Bayerischen Wald mit ca. 4.000 Einwohnern. Sie ist seit gut einem Jahr Ärztin in Weiterbildung und hat das erste Jahr in einer der beiden Allgemeinarztpraxen in Kirchberg gearbeitet. Derzeit ist sie für 18 Monate Assistenzärztin in der Inneren Medizin der Arberlandklinik Viechtach, einem regionalen Krankenhaus mit 157 Betten und 4 Stationen. Danach möchte sie 6 Monate in der Allgemeinchirurgie arbeiten. Julia Friedel ist nicht auf dem Land aufgewachsen, hat sich aber aktiv aus der Stadt weg für das Leben auf dem Land entschieden. Sie ist aktives Mitglied der JADE im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.Einen Beitrag mit ähnlichem Thema finden Sie hier:


Catharina Escales : Als junge Allgemeinärztin in der Stadt

Ich arbeite gerne in der Stadt, weil sie eine große Vielfalt an Möglichkeiten bietet: buntes Patientenklientel aus allen Berufen, allen Schichten und aus aller Welt. Interdisziplinäre Vernetzung mit Kollegen aus sämtlichen medizinischen Fachbereichen. Die Fortbildungsmöglichkeiten sind immens, unter anderem auch durch die engagierten Verbände und die Nähe zu einem aktiven Uniklinik-Institut. Die hiesige Junge Allgemeinmedizin ist ausgezeichnet vernetzt und bietet prima Fortbildungen und gegenseitige Unterstützung. Die "kurzen Dienstwege" in der Stadt kann ich für meine Patienten nutzen und auch solche mit speziellen Bedürfnissen und Fragestellungen optimal koordiniert vermitteln und begleiten. Besonders spannend ist dabei auch die Aufgabe des Gatekeepings und des Schutzes vor Überversorgung. Denn gerade in der Stadt liegen die vielen Fachdisziplinen nahe und es fehlt an sich vernetzenden und koordinierenden Hausärzten. Ich schätze in der Großstadt besonders die Fülle an Weiterbildungsoptionen, aus denen ich auswählen kann: Ambulante Chirurgie und Pädiatrie, universitäre Forschung und Lehre, Notfallmedizin und Reha-Zusatzqualifikationen u. v. m.

Aus den genannten Gründen möchte ich auch nach der Facharztprüfung in der Stadt tätig sein. Als Fachärztin für Allgemeinmedizin kann ich klinisch arbeiten und ambulant, selbstständig oder angestellt, mit diversen Anstellungsmöglichkeiten und Arbeitszeitmodellen. So könnte ich mich z. B. neben der praktischen Tätigkeit universitär in Forschung und Lehre einbringen oder Projekte für Menschen mit Handicap voranbringen. Alles "liegt nahe". Gleichzeitig sind Kitas, Schulen, Supermärkte, Freizeitmöglichkeiten und vielfältige Berufsperspektiven quasi nebenan.

Catharina Escales
lebt seit ihrem 15. Lebensjahr in der Hansestadt Hamburg. Sie hat dort nicht nur studiert, sondern auch die Weiterbildung zur Fachärztin für Allgemeinmedizin vor 3 Jahren begonnen. Zunächst war sie für 9 Monate in der ambulanten Pädiatrie tätig, danach folgte eine Kombination aus Forschung und Innerer Medizin an der Uniklinik Hamburg- Eppendorf. Derzeit arbeitet sie für ein halbes Jahr in einer Praxis für Chirurgie, die ein breites Spektrum mit Allgemeiner und Unfallchirurgie, Orthopädie, Sportmedizin und vielem mehr anbietet. Demnächst will sie langfristig in eine Klinik wechseln, die auf die Akut- wie Langzeitbetreuung von Schwerverunfallten spezialisiert ist. Dort arbeiten Kollegen aus verschiedenen Disziplinen Hand in Hand, unter anderem viele Fachärzte für Allgemeinmedizin. Catharina Escales ist seit 4 Jahren in der JADE aktiv und unterstützt dort die AGs Öffentlichkeitsarbeit sowie Internationaler Austausch.JADEDie Junge Allgemeinmedizin Deutschland (JADE) ist ein Netzwerk für ÄrztInnen in Weiterbildung Allgemeinmedizin und FachärztInnen bis 5 Jahre nach der Prüfung. Der Austausch in der JADE erfolgt über ein Online-Forum, Regionalgruppen und jährliche überregionale Treffen. Interessierte sind herzlich eingeladen, die JADE kennenzulernen unter http://www.jungeallgemeinmedizin.de .

Gegen einen Wechsel aufs Land spricht für mich vor allem die schlechtere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auf dem Land kommen die Kinder oft nicht ohne erwachsenen Chauffeur zu Schule, Freizeitaktivitäten und Freunden. Spezielle Bedürfnisse lassen sich meist schlechter oder nur mit großem Fahraufwand der Eltern erfüllen. Hinzu käme der Fahraufwand für den Partner, der auf dem Land deutlich schlechtere Arbeitsmöglichkeiten hätte und pendeln müsste. In der Stadt können wir diversen Interessen in Kunst, Kultur, Sport und vielem mehr nachgehen, ohne lange Wege zurücklegen zu müssen. Ich schätze und nutze dieses Angebot häufig.

Außerdem lege ich Wert auf meine Privatsphäre. Ich schätze einen klaren Feierabend ohne Patienten, die mich im Supermarkt auf ihre Krankheiten ansprechen, abends an der Haustür klingeln und darüber tratschen, wenn sie mich mit meinem Cousin beim Kaffeetrinken sehen oder ich eine Weinhandlung betrete. In der Stadt muss ich nur in einem anderen Viertel leben als jenem, in dem ich arbeite, und kann dann den Abstand zu den Patienten und gleichzeitig die Integration in mein Viertel und meine Hausgemeinschaft genießen. Tatsächlich kann ich mir einige Zeit als Landärztin sehr gut vorstellen. Nicht zuletzt, weil meine Zweitheimat und meine Familie aufs Land locken. Nur kommt dies voraussichtlich erst im letzten Berufsjahrzehnt für mich infrage, wenn die Kinder aus dem Haus sind und sich die Wünsche an Weiterbildung, beruflicher Entfaltung und Freizeitaktivitäten für uns als Paar vielleicht zugunsten des Lebens auf dem Land verschieben.

Abschließend kann ich sagen, dass ich die Vielfalt und Entfaltungsmöglichkeiten in der Stadt beruflich wie privat, für mich, als Paar und langfristig mit Kind und Kegel sehr genieße. Vom Leben auf dem Land, in den Bergen oder am Meer könnte ich vor der Rente vielleicht träumen. Bis dahin bin ich glücklich in der Perle des Nordens.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (7) Seite 40-44