Was tun, wenn Nahrung und Flüssigkeit vehement abgelehnt werden? In der Onkologie, der Geriatrie und der Palliativmedizin kommt ein solches Verhalten häufig vor. Für das betreuende Team und auch die Angehörigen bedeutet dies eine große Herausforderung, insbesondere falls die Kommunikation eingeschränkt ist. Hier müssen alle Beteiligten differenziert vorgehen und ergründen, ob es sich um eine bewusst getroffene Entscheidung handelt oder behandelbare Gründe dahinterstecken.

Fallbeispie: Betagte Patientin mit Abwehrhaltung
Eine 91-jährige Patientin mit zunehmend kognitivem Abbau kommt trotz Pflegedienst und familiärer Unterstützung in ihrem Alltag nicht mehr zurecht. Nachdem sie zweimalig in der Nacht auf der Straße desorientiert aufgefunden wurde, zieht sie in eine Pflegeeinrichtung. Sie lebt sich dort gut ein, der kognitive Abbau schreitet zunehmend voran. Sie zeigt in ihrer Umgebung Freude am Leben.

Zwei Jahre später muss sie mehrfach im Krankenhaus behandelt werden. Als sie dann einen schweren Schlaganfall erleidet, geht der körperliche Abbau rasant voran. Durch die Hemiparese sind weder das Gehen noch die Armfunktion möglich, die Sprachfunktion ist beeinträchtigt. Trotz einer geriatrischen Frührehabilitation können nur marginale Erfolge in der Funktionsverbesserung erzielt werden. Auffällig ist zudem, dass sich die Patientin zunehmend emotional zurückzieht. Bereits im Krankenhaus lehnt sie des Öfteren das Essen ab. Die reduzierte Trinkmenge wird durch Infusionen kompensiert. Bei Rückkehr in die Pflegeeinrichtung lehnt sie nun fast immer vehement die Nahrung ab, beißt die Lippen zusammen, wendet den Kopf ab. Die Betreuer und die Familie machen sich Sorgen. In den Gesprächen mit dem Hausarzt wird die Gesamtsituation erörtert.

"Best Supportive Care": Man ist sich einig, dass die Abwehrhaltung der Patientin als Zeichen dafür gedeutet werden kann: Sie kann und will so nicht mehr leben. Man beschließt, ein palliatives Therapie-Procedere im Sinne einer "Best Supportive Care" einzuleiten. Unter guter Symptomkontrolle lebt die Patientin noch einige Tage bis zu ihrem Tode.

Besonders bei schwer kranken und älteren Menschen ist man im Praxisalltag häufig mit dem Problem der Nahrungsverweigerung konfrontiert. Meist schildern die Angehörigen und/oder die Pflegekräfte hierzu ihre Sorgen. Da "Essen und Trinken" bekanntlich viel mehr als nur Nahrungsaufnahme ist, kann sich eine mit Konflikten beladene Situation zwischen Patient:innen und den Betreuenden aufbauen.

Man unterscheidet folgende Patientengruppen:
  1. Kognitiv klar orientierte Patient:innen, die sich z. B. aufgrund weit fortgeschrittener (nicht-)onkologischer Erkrankungen bewusst für den "Freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit" (FVNF) entscheiden. Laut der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin ist der FVNF als eigene Handlungskategorie einzuordnen, weder als Suizid noch als Therapieverzicht zu werten [1].
  2. Patient:innen, die aus somatischen Gründen (Dysphagie, Schmerzen) sowie fehlendem Appetit Nahrung ablehnen (z.B. bei fortgeschrittenen onkologischen Erkrankungen).
  3. Patient:innen mit psychiatrischen Erkrankungen (z.B. Anorexie, Depression).
  4. Patient:innen mit deutlichen kognitiven Einschränkungen (z.B. fortgeschrittener Demenz), welche die Nahrungsaufnahme ablehnen.
  5. Patient:innen in der Finalphase.

Die Übergänge können fließend, die Patient:innen auch in mehreren Gruppen einzuordnen sein.

Wie sollte man als Ärzt:in vorgehen?

An erster Stelle sollte die Differenzierung zwischen FVNF und den anderen genannten Gründen erfolgen: Eine gut orientierte, einwilligungsfähige Patient:in, die sich aufgrund einer fortgeschrittenen, final endenden Erkrankung bewusst entscheidet, Essen und Trinken aufzugeben, um so den Tod herbeizuführen, wird dieses klar artikulieren.

Medizinische Abklärung

Wichtig ist abzuklären, ob organische, behandelbare Ursachen für die ablehnende Haltung vorliegen, z. B.:
  • Schleimhautschäden im Mund? Ulzera? Rhagaden?
  • Schlecht/falsch sitzende Zahnprothese? Druckstellen durch die Prothese?
  • Ösophagusschäden? Gastritis? Ulcus ventriculi (ÖGD)?
  • Dysphagie (FEES-Untersuchung)?

Mit der erfolgreichen Behandlung der Erkrankungen ist wieder eine ungestörte Nahrungsaufnahme möglich.

Patient:innen mit fortgeschrittener onkologischer Erkrankung zeigen häufig fehlenden Appetit, erschwert werden kann dies durch die Nebenwirkungen der Chemotherapie und/oder Medikation. Generell sollte immer eine Medikamentenanamnese erfolgen, da auch viele Arzneimittel zur Appetitminderung führen (vgl. Infobox). Zudem sollte man nach psychiatrischen Grunderkrankungen fahnden: Depression, Anorexie, Demenz.

INFOBOX: Medikamente, die in besonderem Maße zu einer Appetitminderung führen können
  • Opioide (auch in Verbindung mit Übelkeit)
  • Chemotherapie
  • Antidepressiva (SSRI, trizyklische Antidepressiva)
  • Antibiotika
  • Theophyllin
  • Digitalispräparate
  • Neuroleptika
  • Antikonvulsiva etc.

Schwierig wird es bei Patient:innen mit deutlichen kognitiven Defiziten, bei denen die Kommunikation eingeschränkt ist. Hier ist man auf die Fremdanamnese und die gute Beobachtungsgabe der Betreuer:innen angewiesen.

Bei Patient:innen mit Demenz sollten deshalb folgende Fragen abgeklärt werden:
  • Liegen organische Gründe vor? Wie weit man die Diagnostik bei dieser sehr vulnerablen Gruppe führen will, muss kritisch geprüft werden, zumal die Patient:innen häufig nicht verstehen, was bei der Untersuchung geschieht.
  • Dysphagie-Abklärung: Da auch bei Patient:innen mit einer demenziellen Erkrankung sowie mit M. Parkinson ein erhöhtes Risiko für eine Dysphagie vorliegt und eine nicht erkannte Schluckstörung schwerwiegende Folgen haben kann (Aspirationen, Pneumonie etc.), empfiehlt sich, soweit möglich, eine logopädische Abklärung auch mit einer FEES-Untersuchung.
  • Verkennen die Patient:innen die Nahrungsmittel als solche?
  • Werden bestimmte Nahrungsmittel, Getränke abgelehnt? Hier ist die Biographiearbeit wichtig: Welche Speisen hat die Patient:in schon immer bevorzugt beziehungsweise abgelehnt?
  • Auch die Umgebungssituation spielt eine Rolle: Liegt eine ruhige Atmosphäre vor? Bekommt die Patient:in Hilfestellung und Unterstützung?

Zu beachten ist, dass auch Essapraxie, Nahrungsablehnung, Dysphagie, allgemeiner Rückzug, Anorexie und Abulie, Desinteresse an der Nahrung, Symptome der fortgeschrittenen Demenz sind [2].

Diagnostik auf Mangelernährung

Da eine unzureichende Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr, vor allem bei den beschriebenen Patientengruppen, schnell zur Mangelernährung führen kann, sollten hier Screenings erfolgen, für den ambulanten Bereich z. B. MUST, MNA-SF® oder MNA®.

Behandlungsoptionen

  • Behandlung der zugrunde liegenden somatischen Erkrankung nach diagnostischer Abklärung
  • Dysphagie: Konsistenzanpassung der Nahrung, logopädische Betreuung (Schlucktraining), aufrechte Körperhaltung bei der Nahrungsaufnahme
  • Psychiatrische Erkrankung: Behandlungspläne aufstellen (vgl. entsprechende Literatur)
  • Medikation optimieren
  • Flüssigkeitszufuhr bei drohender Exsikkose
  • Therapie der Mangelernährung
  • Eine Sondersituation ist die Finalphase. Die Symptomkontrolle (inklusive Mundpflege) und Begleitung auch der Angehörigen sollten Priorität haben. Eine Flüssigkeitszufuhr im Finalstadium ist bzgl. der Symptomlinderung umstritten.

Wie kann man Patient:innen mit demenzieller Erkrankung und Nahrungsverweigerung noch helfen?
  • Eine ruhige entspannte Atmosphäre bieten
  • Unterstützung beim Essen geben
  • Gemeinsame Mahlzeiten mit der Familie ermöglichen
  • Die Patient:in nicht zum Essen drängen
  • Lieblingsspeisen anbieten
  • Fingerfood ermöglichen
  • Verlorengegangene Tischmanieren akzeptieren
  • Bei Dysphagie: angepasste Kostform, Begleitung beim Essen, aufrechte Oberkörperhaltung

PEG-Anlage bei Demenz?

Die aktuellen Leitlinien der ernährungsmedizinischen Fachgesellschaften sprechen sich bei fortgeschrittenerer Demenz klar gegen die Anlage einer PEG zur Ernährung aus. Ein Überlebensvorteil ließ sich nicht belegen, die Komplikationsrate ist zudem erhöht. Inwieweit eine PEG-Ernährung hier zur Lebensqualität beiträgt, ist fraglich.

Wird ersichtlich, dass die Patient:in mit dem Leben abgeschlossen hat, nicht mehr essen und trinken will (vgl. Fallbeispiel) und ein Konsens im Betreuerteam besteht, sollte man ein palliatives Therapieprocedere einleiten. Dies schließt nicht aus, der Patient:in lieb gewordene Speisen oder Flüssigkeit anzubieten, jedoch ohne sie zu drängen. Hier kommt der "Genuss" ins Spiel (z. B. Schokolade), aber auch die Symptomlinderung (z. B. bei trockenem Mund). In unklaren Situationen oder bei unterschiedlicher Meinung von Betreuerteam und Angehörigen kann eine ethische Fallbesprechung sehr hilfreich sein.

ESSENTIALS: Wichtig für die Sprechstunde
  • Bei der Nahrungsverweigerung unterscheidet man verschiedene Gruppen. Die wichtigste Differenzierung: Patient:innen, deren Erkrankung weit fortgeschritten ist und die sich bewusst für den "Freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit" (FVNF) entscheiden.
  • Abzuklären ist immer, ob es sich um organische und behandelbare Ursachen handelt, wie Schleimhautschäden im Mund, eine Gastritis oder eine Dysphagie.
  • Screenings auf Mangelernährung sollten erfolgen.
  • Hat eine Patient:in offensichtlich mit dem Leben abgeschlossen, sollte man ein palliatives Vorgehen einleiten.


Literatur:
1. Radbruch L et al.: Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin zum freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken.
2. Frühwald T (2019): 29 Die PEG-Sonde bei Patienten mit fortgeschrittener Demenz - macht sie Sinn? In: Likar R et al. Ethische Herausforderungen des Alters. W. Kohlhammer Verlag 1. Auflage. S. 325.


Autorin

Dr. med. Mirja Katrin Modreker

Krankenhaus Land Hadeln
Abteilung für Geriatrie
21762 Otterndorf

Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert



Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (3) Seite 18-20