Die akute Mittelohrentzündung (Otitis media, kurz: AOM) und die Mandelentzündung (Tonsillitis) sind typische Infektionskrankheiten im Kindesalter. Bei der Therapiewahl steht der Hausarzt immer vor der Frage: Antibiose – ja oder nein? Die gute Nachricht: Bei beiden Erkrankungen zeigt sich oft auch ohne Antibiotika ein günstiger Verlauf.

Kasuistik
Ein sonst gesundes Mädchen mit 15 Monaten hat seit drei Tagen einen Infekt der oberen Atemwege mit Schnupfen, Husten und Fieber bis 38,7 °C. Am vierten Tag ist sie unruhig, fasst sich ans rechte Ohr und wacht nachts zweimal weinend auf.

Bei der Untersuchung am Folgetag ist das Mädchen fieberfrei. Am rechten Ohr zeigen sich ein Tragusdruckschmerz, eine Vorwölbung des Trommelfells und Flüssigkeit im Mittelohr. Am linken Ohr ist nur eine leichte Rötung des Trommelfells zu sehen.

Welche therapeutischen Maßnahmen halten Sie für angebracht? Und wie stehen Sie hier zur Gabe eines Antibiotikums?

Bei der AOM führen vor allem Ohrenschmerzen und der Trommelfellbefund zur Diagnose (Abb. 1). Die Schmerzbehandlung ist obligat, eine Antibiotikatherapie erfolgt risikoadaptiert. Die Verlaufskontrolle mit Hörtest ist hier wichtig. Bei der Tonsillitis sind Halsschmerzen, Pharyngitis und der Lokalbefund wesentlich (Abb. 2).

Otitis media

Die akute Otitis media ist eine der häufigsten Erkrankungen bei Säuglingen und Kleinkindern. Bis zum dritten Lebensjahr haben sie 70 – 80 % aller Kinder durchgemacht. Die Risiken sind orofaziale Fehlbildungen (z. B. Gaumenspalte), Grunderkrankungen (Trisomie 21, Störungen der Immunfunktion), Adenoide, der Gebrauch eines Schnullers und das Rauchen der Eltern. Auslöser sind Viren als auch Bakterien. Meist geht der AOM ein viraler Infekt der oberen Atemwege voraus. Bei etwa 70 % der Kinder lassen sich Bakterien isolieren. Häufig sind hier Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae und Moraxella catarrhalis [1, 3].

Komplikationen, Diagnose, Therapie

Als Komplikationen der AOM gelten die Persistenz des Mittelohrergusses (mit anhaltender Schallleitungs-Schwerhörigkeit) und die chronisch-rezidivierende Otitis media. Durch lokale Ausbreitung können sehr selten auch schwere Entzündungen auftreten, wie Mastoiditis (Rötung, Schwellung, Klopfschmerz über dem Mastoid), Meningitis oder gleichseitige Funktionsstörungen des N. facialis beziehungsweise des N. vestibulocochlearis. Das Warnzeichen für einen schweren Verlauf ist die Verschlechterung des Allgemeinzustands (z. B. mit Erbrechen oder unzureichender Flüssigkeitsaufnahme) [1, 3, 7].

Typisch für eine AOM sind plötzlich einsetzende, heftige Ohrenschmerzen bei einer Infektion der oberen Atemwege (manchmal mit Fieber). Oft fallen die Kinder durch unspezifische Unruhe oder Reizbarkeit auf (vgl. Kasuistik). Häufig sind zudem abendliche Schlafprobleme, auch mit Anfassen des betroffenen Ohrs. Bei der Kontrolle ist meist ein Druckschmerz des Tragus auf der betroffenen Seite feststellbar. In der Otoskopie sieht man ein entzündetes Trommelfell (TF) mit Hyperämie, Reflexverlust oder verwischten Konturen, einen Mittelohrerguss (oft TF-Vorwölbung, verminderte TF-Beweglichkeit bei Tympanometrie) und selten eine TF-Perforation (z. B. mit Ohrsekretion). Bei Säuglingen und Kleinkindern kann die notwendige otoskopische TF-Beurteilung schwer sein [1, 5].

Zur Behandlung der AOM gehört immer eine Evaluation des Schmerzes. Als Standard für die Schmerzmedikation gelten Ibuprofen Saft (bis 30 mg/kg KG/d in 3 – 4 ED), Paracetamol Supp. oder Suspension (10 – 15 mg/kg KG bis 4 x/d). Analgetische Ohrentropfen sind nicht zu empfehlen. Bei (häufig) begleitender Rhinitis sind zusätzlich abschwellende Nasentropfen sinnvoll (Xylometazolin in niedriger Konzentration oder NaCl 0,9 %) [3, 5, 6].

Gabe von Antibiotika?

Verlaufsbeobachtungen zeigen auch ohne antibiotische Therapie eine hohe Selbstheilungsrate. Eine spontane Besserung tritt in etwa 60 % der Fälle schon in den ersten 24 Stunden ein. Rund 90 % der Kinder geht es nach vier bis sieben Tagen wieder gut. Schwere Komplikationen sind bei Kindern über zwei Jahren und ohne besondere Risikofaktoren selten.

Watchful Waiting: Bei über zweijährigen Kindern kann neben der erforderlichen Analgesie mit der Gabe von Antibiotika (AB) gewartet werden, wenn die Symptomausprägung nicht sehr stark ist (Tabelle 1). Bei abwartender Haltung muss aber eine Wiedervorstellung in den nachfolgenden zwei bis drei Tagen sichergestellt sein [1, 5, 7]. Indikation für Analgesie und eine primäre Therapie mit Antibiotikum ist ein Alter von unter einem halben Jahr. Bei Kindern zwischen sieben Monaten und zwei Jahren sollten Antibiotika primär bei starken Symptomen, TF-Perforation und/oder bei beidseitiger AOM gegeben werden. Außerdem sind kraniofaziale Fehlbildungen (z. B. Gaumenspalte), Grunderkrankungen (z. B. Trisomie 21), Immundefizienz, Cochlea-Implantate und AOM-Rezidive Indikationen für die primäre AB-Gabe bei Kindern. Als Antibiotikum der ersten Wahl gilt Amoxicillin (Tagesdosis 50 – 60 mg/kg Körpergewicht in drei Gaben). Alternativpräparate (bei Therapieversagen oder bei Risikofaktoren) sind Cephalosporine der zweiten Generation oder Amoxicillin-Clavulansäure. Als Therapiedauer ist empfohlen: zehn Tage für Kinder unter zwei Jahren (und mit schweren Erkrankungen), sieben Tage für Kinder von zwei bis sechs Jahren und fünf bis sieben Tage für Kinder ab sechs Jahren [4, 5].

Nachuntersuchung: Nach einer AOM muss der Arzt die Besserung im Verlauf dokumentieren. Bei rezidivierender AOM muss auf das Gehör und die Sprache geachtet werden [1, 5, 7].

Tonsillitis

Die akute Tonsillitis wird bei 70 – 80 % der Kinder durch Virusinfektionen verursacht. 20 – 30 % werden durch Streptococcus pyogenes (GABHS) ausgelöst. Die Ansteckung erfolgt in der Regel über Tröpfcheninfektion.

Komplikationen, Diagnose, Therapie

Das Risiko für immunogene Folgekrankheiten wie akutes Rheumatisches Fieber oder akute Poststreptokokken-Glomerulonephritis ist in Deutschland extrem niedrig. Auch lokale Komplikationen wie ein Peritonsillar- oder ein Retropharyngealabszess sind sehr selten [2, 4].

Halsschmerzen und plötzlich eintretende Schluckbeschwerden führen mit der eigentlichen Tonsillitis (Schwellung und Exsudat) zur Diagnose. Oft sind die anterioren Hals-Lymphknoten vergrößert und es liegen systemische Entzündungszeichen wie Fieber vor. Zur Symptomlinderung sind Paracetamol oder Ibuprofen empfohlen. Lokalanästhetika und lokale Antiseptika wie Rachensprays, Lutschtabletten und Gurgellösungen haben keinen gesicherten Effekt [2, 4].

Gabe von Antibiotika?

Auch ohne Antibiotikum zeigt sich oft ein günstiger Verlauf. Nach drei Tagen haben 30 – 40 % der Patienten keine Halsschmerzen und etwa 85 % kein Fieber mehr. Nach einer Woche sind 80 – 90 % beschwerdefrei. Zur Differenzierung viraler und bakterieller Tonsillitis setzt man bei Patienten ab drei Jahren ein diagnostisches Punktesystem ein: den McIsaac-Score (Tabelle 2). Ein Rachenabstrich für Schnelltest oder Kultur, mit dem sich ß-hämolysierende Streptokokken nachweisen lassen, ist nur selten nötig.

Primär symptomatische Therapie und Verlaufskontrolle: Bei einem Scorewert von bis zu zwei Punkten ist eine virale Tonsillitis wahrscheinlich. Ist der Spontanverlauf günstig, reicht die symptomatische Behandlung aus. Bei fehlender Spontanremission, relevanter Krankheitsschwere oder einseitigem Befund ist die weitere mikrobiologische Diagnostik erforderlich.

Primär antibiotische Therapie: Bei drei bis fünf Punkten im Score ist wohl eher von einer bakteriellen Tonsillitis auszugehen. Neben der symptomatischen Therapie wird ein Antibiotikum verordnet. Als erste Wahl gilt hier orales Penicillin, z. B. Penicillin V in einer Dosis von 100.000 IE/kg KG/Tag in drei Einzelgaben (oder Phenoxymethylpenicillin-Benzathin mit 50.000 IE/kg KG/Tag in zwei Einzelgaben). Die Therapiedauer beträgt sieben Tage. Bei einer Penicillinallergie sind Makrolide (z. B. Erythromycin-Estolat 40 mg/kg KG/Tag in zwei Einzelgaben) oder Clindamycin (20 mg/kg KG/Tag in drei Einzelgaben) gute Alternativen [2, 4, 6].

Differenzialdiagnosen

Eine weitere klassische Infektionskrankheit bei Kindern ist Scharlach. Die Erkrankung zeigt sich infolge einer systemischen Immunantwort auf Streptokokken-Exotoxine, die deutlich über die bakterielle Lokalreaktion hinausgeht. Scharlach beginnt plötzlich – mit Schüttelfrost, hohem Fieber, oft auch Kopfschmerzen und kurzzeitigem Erbrechen. Das Gesicht des Patienten ist dabei häufig fieberhaft gerötet, während das blasse Mund-Nase-Dreieck ausgespart bleibt. Bei Tonsillitis (mit oder ohne Beläge) treten zudem Halsschmerzen, Schluckbeschwerden und zervikale Lymphknotenschwellungen auf. Der Patient hat außerdem Mundgeruch. Die Zunge ist zunächst grau-weißlich belegt ("weiße Himbeerzunge"), bis nach einigen Tagen unter dem Belag die erhabenen Zungenpapillen deutlich hervortreten ("rote Himbeerzunge"). Das kleinfleckige Scharlachexanthem breitet sich vom Stamm vor allem auf die Innenseiten der Extremitäten aus und fühlt sich rau wie Sandpapier an. Die antibiotische Therapie erfolgt mit einem oralen Penicillinpräparat [2].

Die Epstein-Barr-Virus-Tonsillitis ist ein systemisches Krankheitsbild, an dem weitere lymphatische Organe wie Leber und Milz (Pfeiffersches Drüsenfieber, Infektiöse Mononukleose) beteiligt sind. Voneinander abgrenzen muss man EBV- und Streptokokken-Tonsillitis. Neben einer Tonsillopharyngitis, Fieber und zervikalen Lymphknotenschwellungen treten häufig Spleno- und Hepatomegalie auf. Das Blutbild kann Hinweise geben (lymphozytär, monozytoide Zellen, manchmal zytopen). Die Therapie besteht aus körperlicher Schonung, Hy-drierung, Analgesie und Antipyrese. Die Gabe von Paracetamol (mögliche Hepatotoxizität) und Ampicillin (Risiko eines Arzneimittelexanthems bis circa 90 %) sollte man vermeiden [2].


Literatur
1. American Academy of Pediatrics:Lieberthal AS, et al. (2013). Clinical practice guideline: The Diagnosis and Management of Acute Otitis Media. Pediatr 131: e964–e999
2. Berner R, Steffen G, Toepfner N, Waldfahrer F, Windfuhr JP (2015) S2k-Leitlinie 017/024: Therapie entzündlicher Erkrankungen der Gaumenmandeln – Tonsillitis
aktueller Stand: 08/2015
3. Carlens J, Schütz K, Baumann U (2016) Akute Otitis media. Monatsschr Kinderheilkd 164:349-358
4. Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (2013). Handbuch. Thieme, Stuttgart
5. Mühlenfeld HM, Beyer M, Wagner H-O, et al. (2014) DEGAM Leitlinie Ohrenschmerzen. AWMF 053/009
6. Simon A, Tenenbaum T, Huppertz HI, Trapp S, Prelog M, et al. (2017) Diagnose und Therapie von Atemwegsinfektionen (ohne ambulant erworbene Pneumonie) bei ambulant behandelten Kindern ohne schwerwiegende Grunderkrankung. Monatsschr Kinderheilkd 165:711–724
7. Thomas JP, Berner R, Zahnert T, Dazert S (2014) Acute otitis media: a structured approach. Dtsch Arztebl Int 111(9): 151–60



Autor:

Privatdozent Dr. med. Hermann Kalhoff

Klinik für Kinder- und Jugendmedizin,
Westfälisches Kinderzentrum, Klinikum Dortmund gGmbH
44137 Dortmund

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (18) Seite 16-19