Atemwegsinfekte sind ein Hauptanlass für Antibiotika-Verordnungen. Für den Arzt stellen sich oft die Fragen: Wann setze ich welches Antibiotikum ein? Welchen Nutzen und welche Probleme hat eine Antibiotika-Therapie. Und woher bekomme ich dazu vernünftige Informationen? In seinem practica-Seminar zeigte Dr. med. Uwe Popert anhand einiger Fallbeispiele auf, wie man unter Zuhilfenahme der entsprechenden DEGAM-Leitlinien vorgehen kann.

Eine Rhinosinusitis, Otitis, Pharyngitis, Tonsillitis, Bronchitis oder Pneumonie stellen potenzielle Indikationen für eine Antibiotikatherapie dar, weil teilweise Bakterien im Spiel sind. Das Problem ist, die etwa 60 - 70 % viralen und die 30 - 40 % bakteriellen Infekte zu unterscheiden. Die Hoffnung beim Einsatz eines Antibiotikums liegt in schnellerer Heilung und weniger Komplikationen. Und man möchte Patienten vielleicht auch gerne den Eindruck gewinnen lassen, dass irgendetwas passiert. Wobei man hier nicht unterschätzen sollte, dass auch schon der Arzt alleine eine große Wirkung ausüben kann. Und manchmal kann auch schon ein Grünes Rezept helfen, damit der Patient etwas in die Hand bekommt und zufrieden ist. Argumente gegen die Gabe von Antibiotika sind die nicht seltenen Nebenwirkungen (insbesondere Allergien, Magenschmerzen und Durchfälle), die Gefahr von Resistenzbildungen und nicht zuletzt die Kosten.

Antibiotika-Resistenzen

Selbst wenn in Deutschland die Resistenz-Situation im Vergleich zu anderen europäischen Ländern noch relativ entspannt ist, nimmt auch hierzulande die Zahl der Resistenzen gegen Antibiotika weiter zu. Dabei findet man eine direkte Korrelation zwischen der Häufigkeit des Einsatzes von Antibiotika und der Resistenzbildung. Anders als noch in vielen Lehrbüchern steht, gilt die einfache Logik: Je länger eine Therapie dauert, desto häufiger züchtet man Resistenzen. Außerdem treten bei höherer Dosierung und längerer Dauer der Antibiotika-Therapie auch mehr Nebenwirkungen auf. Der Merksatz hier lautet deswegen: So kurz wie möglich und so lang wie nötig. Als Faustregel bei Atemwegsinfektionen gilt: mindestens fünf Tage oder bis zwei bis drei Tage nach Entfieberung. Allerdings ist zu beachten, dass die in Deutschland empfohlenen Dosierungen oft deutlich über jenen in den grundlegenden Therapie-Studien liegen (deshalb treten die paraallergischen Exantheme nach Amoxicillin in Deutschland auch deutlich häufiger auf).

Fallbeispiel Rhinosinusitis

Ein Patient leidet nach rezidivierendem „Schnupfen“ zunehmend unter starken Schmerzen im Stirnbereich. Die Untersuchung ergibt Druckschmerz und Klopfschmerz insbesondere im Stirnbereich und im linken Oberkiefer. Ist hier die Gabe eines Antibiotikums angezeigt? Und wenn ja, welche sollte man einsetzen?

Die meisten Rhinosinusitiden werden durch Viren verursacht, nur in ca. 30 % der Fälle sind Bakterien nachweisbar. Bei Standard-Patienten sollte man Antibiotika vermeiden; ein gelb-grünes Sekret (oft fälschlich eitrig genannt) ist kein Beweis für eine bakterielle Beteiligung und daher auch kein hinreichender Grund für eine Antibiotika-Therapie.

Die DEGAM-Leitlinie empfiehlt bei einem klinischen Verdacht auf eine akute (< 8 Wochen Dauer) Rhinosinusitis daher zunächst pflanzliche Sekretolytika wie Cineol, Myrtol, Gentianaextrakte sowie Dampfinhalationen und Schmerzlinderung. Nur bei schwerem Krankheitsverlauf, drohenden Komplikationen oder starken Schmerzen plus erhöhten Entzündungsfaktoren (CRP, BSG) kann als erste Wahl Amoxicillin (3 x 500 - 750 mg/d) oder Azithromycin (1 x 250 mg/d) gegeben werden. Mittel der zweiten Wahl sind Cefuroxim (2 x 250 mg/d) und Co-Trimethoprim (2 x 160/800 mg/d) oder andere Antibiotika entsprechend den regionalen Resistenzen. Gyrasehemmer kommen bei unkomplizierten Atemwegsinfekten eher nicht in Betracht, da sie bei den häufigen grampositiven Bakterien (Pneumokokkern) wenig bewirken.

In Studien zeigte sich, dass sich die mittlere Krankheitsdauer von zwei Wochen durch die Gabe von Antibiotika um zwei bis drei Tage verkürzt. Ob sich dadurch auch die Komplikationen vermindern, konnte bislang nicht nachgewiesen werden.

Bei chronischer Sinusitis (> 8 Wochen Dauer oder mehr als 4 Episoden/Jahr) kann man einen Versuch über zwei bis drei Wochen mit Cefuroxim, Makroliden oder Amoxicillin plus Clavulansäure unternehmen. Liegt eine Allergie zugrunde oder gibt es Hinweise auf eine chronische rezidivierende Rhinosinusitis, empfiehlt sich zusätzlich die Gabe eines Kortison-Nasensprays (2 x täglich).

Fallbeispiel Ohrenschmerzen

Ein fünfjähriges Kind leidet seit gestern unter starken Ohrenschmerzen. Die Untersuchung zeigt eine erhöhte Temperatur bis 39 Grad, die Trommelfelle sind beidseits deutlich gerötet, es besteht keine Nackensteifigkeit und kein Druckschmerz am Mastoid.

Auch hier muss man nicht sofort mit Antibiotika behandeln. Laut DEGAM-Leitlinie Ohrenschmerzen ist es in leichteren Fällen sinnvoll, 24 bis 48 Stunden damit zu warten. Die Eltern sollten informiert werden, dass sie das Kind beobachten sollen. Eventuell kann man ihnen ein Antibiotika-Rezept aushändigen, das sie jedoch nur bei einer Verschlechterung, wie z. B. Schmerzen oder Fieber, nach 48 Stunden einlösen sollten. Zur Analgesie empfiehlt sich Ibuprofen bzw. Paracetamol. 85 % der Kinder mit einer akuten Otitis media sind ohnehin am nächsten Tag wieder schmerzfrei. Bei hohem Fieber und/oder Erbrechen sollte hingegen eine sofortige Antibiose erwogen werden. Dies gilt ebenso, wenn nach 48 Stunden keine Besserung der Krankheitssymptome eingetreten ist. Hier kann man dann - entsprechend der DEGAM-Leitlinie - Amoxicillin (40 - 50 mg/kg KG/d) für fünf Tage oder ein Makrolid wie z. B. Azithromycin (10 - 20 mg/kg KG/d) für drei Tage verordnen. In Studien zeigte sich, dass sich die mittlere Krankheitsdauer von fünf bis sieben Tagen durch die Gabe von Antibiotika um etwa einen Tag verkürzt. Ob sich dadurch auch die Komplikationen vermindern, konnte auch hier bislang nicht nachgewiesen werden.

Fallbeispiel Halsschmerzen

Ein ansonsten gesunder Patient leidet seit drei Tagen unter Halsschmerzen. Der Rachen und der Gaumen sind gerötet, die Lymphknoten sind nicht geschwollen, es sind keine Beläge auf den Tonsillen zu erkennen. Es besteht kein Husten, die Temperatur ist leicht erhöht.

Antibiotika sind bei den meisten Patienten mit Halsschmerzen nur von begrenztem Nutzen. Die meisten werden nach drei bis vier Tagen wieder gesund. Abhängig vom Schweregrad der Erkrankung sollte man gemeinsam mit dem Patienten eine Entscheidung über die Gabe eines Antibiotikums treffen. Bei genauerer Betrachtung wünschen sich die Patienten oft eigentlich nur eine Behandlung ihrer Schmerzen. Die DEGAM-Leitlinie Halsschmerzen empfiehlt deshalb, dass alle Patienten ohne Kontraindikationen Paracetamol oder Ibuprofen 3 x täglich für zwei bis drei Tage erhalten sollten.Die früher gefürchteten Komplikationen von Infektionen durch GAS (Gruppe-A-Streptokokken) wie Poststreptokokken-Glomerulonephritis und Rheumatisches Fieber sind heute sehr selten.

Zur Strukturierung der Entscheidung für oder gegen eine Antibiose eignen sich der Centor- oder der McIssac-Score (Tabelle 2). Sind weniger als zwei entsprechende Symptome vorhanden, ist der Effekt einer Antibiotika-Therapie gering bzw. unwahrscheinlich; bei fünf bis sechs Symptomen ist eine Therapie eher sinnvoll. In der Grauzone dazwischen können positive Ergebnisse von Rachen-Abstrichen oder ein CRP-Test Hinweise geben. Bei hoher Wahrscheinlichkeit für eine bakterielle Pharyngitis sollte man sofort oder bei einer Verschlechterung Penicillin über fünf bis zehn Tage geben (bei Patienten > 12 Jahre: 3 x 0,8-1 Million I.E./Tag). Liegt eine Penicillin-Unverträglichkeit vor, kann stattdessen ein Makrolid über sieben Tage eingesetzt werden. Wegen der Provokation paraallergischer, stark juckender Exantheme bei der schwer abgrenzbaren Mononukleose sollte bei Mandelentzündungen kein Amoxicillin verwendet werden.

In Studien zeigte sich, dass sich die mittlere Krankheitsdauer von etwa einer Woche durch die Gabe von Antibiotika um ein bis zwei Tage verkürzt. Ob sich dadurch auch die Komplikationen vermindern, konnte auch hier bislang nicht nachgewiesen werden, möglicherweise gibt es weniger Peritonsillarabszesse.

Fallbeispiel Husten

Eine 35-jährige Patientin leidet seit zwei bis drei Wochen unter Husten mit gelblichem Sputum. Es besteht keine Dyspnoe und kein Fieber. Relevante Vorerkrankungen sind nicht bekannt. Die Untersuchung ergibt keine Spastik und grob- bis mittelblasige Rasselgeräusche.

Eine antibiotische Therapie ist bei einfachem Husten in der Regel nicht erforderlich, sie kann aber bei alten, multimorbiden Patienten mit schwerwiegenden Grunderkrankungen doch erwogen werden. Die DEGAM-Leitlinie empfiehlt dann Aminopenicilline (z. B. Amoxicillin), Tetracycline (z. B. Doxycyclin) oder Makrolide (z. B. Roxithromycin).

Kommunikation ist wichtig

Bei Atemwegsinfekten ist eine Antibiose zu erwägen, wenn schwerwiegende Grunderkrankungen vorliegen, wenn es sich um ältere/multimorbide Patienten handelt sowie bei schweren und chronischen Verläufen. Bei jungen gesunden Erwachsenen und nach einer nur kurzen Krankheitsdauer ist ein Antibiotikum meist nicht notwendig.

Für den Fall, dass der Patient doch ein Antibiotikum verlangt, gibt es unterschiedliche Handlungsalternativen. Man kann ihm ein weniger problematisches Mittel wie z. B. Doxycyclin verordnen oder ihm eine kurzfristige Wiedervorstellung anbieten.

Man kann dem Patienten aber auch geradeheraus sagen, dass man kein Antibiotikum verschreibt. Nicht, weil man die Beschwerden nicht ernst nimmt, sondern weil man nichts tun wird, was dem Patienten möglicherweise schadet. Bei verständigen Patienten kann man auch die Strategie der „verzögerten Verordnung“ anwenden, ihm also ein Rezept ausstellen, das er allerdings nur einlösen sollte, wenn sich seine Beschwerden verschlechtern. Eine gute Kommunikation kann die Verschreibungsrate nachweislich senken.

Dr. med. Uwe Popert und Dr. Ingolf Dürr


Dr. med. Uwe Popert


Kontakt:
Dr. med. Uwe Popert
Arzt für Allgemeinmedizin
34119 Kassel

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2011; 33 (20) Seite 40-42