Wenn Kleinkinder wählerisch sind, Nahrung verweigern oder sehr einseitig essen, so kann das Eltern sehr verunsichern. Oftmals machen sie sich Sorgen um die Gesundheit, wünschen sich wieder Mahlzeiten ohne Stress und fühlen sich hilflos. Eine kompetente Beratung seitens des Hausarztes kann ihnen helfen, mit der Situation umzugehen. So kann die Information, dass dies in der Regel eine vorübergehende Situation ist, für Entlastung sorgen. Wenn Eltern ihre Vorbildfunktion wahrnehmen und das Kind in seinem Autonomiebedürfnis und dem Erleben von Hunger und Sättigung unterstützen, bieten sie beste Voraussetzungen zur Verbesserung der Lage bei Tisch.

Fallbericht
Melanie K. ist verunsichert. Ihr Sohn Tim (2 ½ Jahre) ist beim Essen zunehmend wählerisch. Lebensmittel, die er bis vor kurzem noch aß, spuckt er nun aus oder lehnt sie von vorneherein ab. Zunächst hatte sie die Hoffnung, es sei nur eine Phase, aber es wird von Tag zu Tag schlimmer. Ihrem Hausarzt berichtet sie, dass Tim aktuell eigentlich nur Nudeln oder Brot ohne alles essen möchte. Auch Fleischwurst und Salami gingen noch, jedoch dann ohne Brot. Als Brot mit Belag werde ausschließlich Toast mit Schokoladenaufstrich akzeptiert. Wenn sie ihm parallel etwas zum Spielen anbiete, dann könnten es auch ein paar Stückchen Möhre sein, die er zu sich nehme. Lediglich Kekse gingen immer, aber dies sei ja keine Lösung. Sie fühle sich hilflos und die Mahlzeiten stressten sie. Zudem habe sie Angst, dass Tim nicht genug Vitamine bekomme und sich dadurch nicht gesund entwickeln könne, berichtet sie in dem Gespräch.

Zeitweise essen viele Kleinkinder nur einige wenige Lebensmittel. Unbekanntes möchten sie nicht einmal probieren. Für Eltern kann diese Phase zur Geduldsprobe werden. Schließlich soll das Kind an Familienmahlzeiten teilnehmen und die Vielfalt der Lebensmittel kennenlernen. Welche Empfehlungen können Hausärzte Eltern geben, wenn ihr Kind wählerisch ist oder zahlreiche Nahrungsmittel ablehnt?

Orientierung und Unterstützung bieten die Handlungsempfehlungen des Netzwerks "Gesund ins Leben" zur Ernährung und Bewegung von Kleinkindern [7]. Diese bundesweit einheitlichen, im Konsens entwickelten Handlungsempfehlungen werden von allen relevanten Fachgesellschaften und Berufsverbänden unterstützt (vgl. Kasten). Hier werden sieben Aspekte genannt, die für die Beratung wichtig sind.

Geduld und Gelassenheit sind gefragt

Die Ablehnung legt sich wieder. Während Kinder etwa zwischen sechs Monaten und zwei Jahren besonders offen für neue Geschmackserfahrungen sind, beginnt danach eine Phase, in der sie neue Speisen häufig ablehnen. Diese Abneigung, auch Neophobie genannt, erreicht im Alter zwischen zwei und sechs Jahren ihren Höhepunkt [4]. Mit Geduld geht die Ablehnungsphase meist von selbst vorüber. Die Verweigerung eines neuen Lebensmittels hat nicht immer etwas mit dem Geschmack oder der Textur zu tun. Auch die einsetzenden Trotzphasen, der Wunsch, alleine zu essen, das elterliche Verhalten und weitere Faktoren können großen Einfluss haben. Ein gelassener Umgang und die Beachtung der nachfolgenden Aspekte können zur Entlastung der Situation beitragen.

Ablehnung akzeptieren

Lehnt das Kind während der Mahlzeit ein Lebensmittel ab, so ist das in Ordnung. Das abgelehnte Lebensmittel wird aber nicht vom Speiseplan gestrichen, sondern kommt immer mal wieder auf den Tisch und das Kind wird zum Kosten ermuntert, jedoch nicht gezwungen. Beendet das Kind die Mahlzeit frühzeitig oder will es nichts essen, dann genügen ein bis zwei Versuche der Eltern, das Kind zum Essen zu ermutigen. Sie sollten keine Extraspeisen als Ersatz anbieten. Ein "Nein" des Kindes bleibt ein "Nein" – egal ob es ausgesprochen oder durch Mimik und Gestik wie Wegdrehen oder Mund-geschlossen-Halten signalisiert wird [1, 3].

Kinder wissen selbst, wann sie satt sind

Es ist wichtig, dass Eltern die Hunger- und Sättigungssignale des Kindes respektieren. Sie bieten zunächst eine kleine Portion an bzw. das Kind nimmt sich eine Portion, sobald es sich selbst bedienen kann. Das Kind kann nachfordern bzw. sich nachnehmen, bis es satt ist.

So wie Eltern für ein ausgewogenes und vielfältiges Nahrungsangebot zuständig sind, so entscheidet das Kind selbst, wie viel es davon isst. Eltern können diesen Prozess liebevoll begleiten und dürfen auf die Fähigkeiten ihres Kindes, die Verzehrsmenge auf die physiologischen Bedürfnisse abzustimmen, vertrauen. Ist das Kind gesund, aktiv und zufrieden, können Eltern davon ausgehen, dass es ausreichend isst. Für das Kind ist es aber auch ein wichtiger Lernprozess, bei Mahlzeiten sitzen zu bleiben und sich für das Essen und Sattwerden Zeit zu nehmen. Dabei kann die Dauer der Mahlzeiten sehr unterschiedlich sein. Länger als 30 Minuten sollte eine Hauptmahlzeit für Kleinkinder jedoch nicht dauern.

Mahlzeitengestaltung und Mahlzeitenrhythmus sind wichtig

Mahlzeiten in Gemeinschaft und mit genügend Zeit und Ruhe sind wünschenswert [2, 11, 12]. Eltern sollten ihrem Kind dabei ermöglichen, sich auf das Essen zu konzentrieren. Sie vermeiden Ablenkungen (z. B. durch laufende Fernseher, Handy) und animieren ihr Kind nicht mit Tricks ("… dann scheint morgen die Sonne!") und Überzeugungsstrategien ("Ein Löffelchen für Oma!"), Versprechen ("Wenn Du das isst, dann…") oder Bestrafung ("Dann bekommst Du kein…"). Auch sind Spielangebote zum Essen unerwünscht.

Eine freundliche Atmosphäre bei den Mahlzeiten sorgt für ein positives Ess-Erlebnis und kann die Ausprägung von Lebensmittelpräferenzen fördern. "Schwere" Themen sollten nicht bei Tisch besprochen werden. Ebenso sind kritische bis mäkelige Kommentare anderer Familienmitglieder zur Mahlzeit zu vermeiden.

Damit der Hunger "eine Chance hat", sollten in den Essenspausen zwischen den Mahlzeiten weder Snacks, zuckerhaltige Getränke noch Milch angeboten werden, da diese das Kind sättigen können. Wasser kann und sollte das Kind zu jeder Zeit zu sich nehmen können. Kleinkinder sollten ihre Mahlzeiten in einem regelmäßigen Rhythmus bekommen. Anzahl, Rhythmus und Art der täglichen Mahlzeiten sind kulturell geprägt [10]. Hierzulande bewährt haben sich drei Hauptmahlzeiten und zwei Zwischenmahlzeiten, die sich mit essensfreien Zeiten abwechseln. Feste Essenszeiten, das gemeinsame Decken des Tisches und ein Ritual zum Anfang sorgen für verlässliche Strukturen.

Netzwerk Gesund ins Leben
Die hier zusammengefassten Empfehlungen sind ein Auszug aus den Handlungsempfehlungen des Netzwerks Gesund ins Leben – Netzwerk Junge Familie "Ernährung und Bewegung im Kleinkindalter" (Autoren: B. Koletzko, M. Armbruster, C.-P. Bauer et al.) [7]. Die kompletten Handlungsempfehlungen mit vielen Hintergrundinformationen stehen online zur Verfügung unter www.gesund-ins-leben.de, Rubrik Für Fachkräfte. Die Druckversion ist unter www.ble-medienservice.de (Bestellnummer 3418) bestellbar. Das 16-seitige Heft "Was Kleinkinder brauchen" zur Weitergabe an ratsuchende Eltern kann bis 100 Exemplare kostenlos bestellt werden: www.ble-medienservice.de (Bestellnummer 0361).

Auf Gewöhnung setzen

Geschmacksakzeptanz bildet sich durch wiederholtes Probieren. Dazu bieten die Eltern neue Lebensmittel und Speisen mehrfach [2] und ohne Zwang [6, 8, 11] an. Lebensmittel verschieden zuzubereiten (z. B. Gemüse als Ganzes auf die Hand, roh fein gerieben, weich oder bissfest gekocht, gebraten, Stücke zum Dippen, püriert als Suppe, in Smoothies) kann die Akzeptanz von neuen Lebensmitteln erleichtern. Ideal ist die Kombination mit einem bekannten Geschmack oder einer Lieblingsspeise [2, 9].

Kinder sollten ermutigt werden, neue Lebensmittel/Speisen zu probieren und mit allen Sinnen zu entdecken: das Aussehen und der Geruch, wie sie sich anfühlen, welchen Geschmack und welche Konsistenz sie haben [5].

Eltern haben Vorbildfunktion

Kinder lernen auf vielfältige Weise, vor allem auch durch Beobachtung und Nachahmung von Eltern und anderen Bezugspersonen. Es ist schwierig, Kindern etwas nahezubringen, was in der Gemeinschaft nicht gelebt wird. Eltern unterstützen ihr Kind, indem sie selbst mit Freude Neues probieren, abwechslungsreich und mit Genuss essen sowie die Speisen appetitlich und kindgerecht anbieten. Eltern schaffen so eine "Lernumgebung" zum Wohlfühlen. Sie kann die Neugier des Kindes oftmals stärker wecken, als ein Auffordern zum Probieren.Wichtig – nicht nur in der Kleinkindzeit – ist zudem, dass Eltern vorleben, was sie für ihre Kinder möchten: Vollkornprodukte statt weiße Backwaren, Wasser oder Tee statt Limonade oder die Gemüse- und Obstkomponente als fester Bestandteil aller Mahlzeiten.

Kinder möchten alleine essen

Kinder im Kleinkindalter entwickeln häufig ein großes Autonomiebedürfnis. Schlägt ein Kind den Löffel weg, so lehnt es womöglich nicht die Speise ab, sondern möchte nicht mehr gefüttert werden. Eltern sollten ihrem Kind ermöglichen, selbstständig zu essen. Sie unterstützen es z. B. durch eine entsprechende Ausstattung (robuster, schwerer Teller, kleiner Löffel bzw. Kuchengabel, großes Lätzchen oder Tuch) oder die entsprechende Toleranz, wenn etwas neben Teller oder Stuhl fällt. Zu Beginn wird oftmals auch mit den Fingern gegessen und Kleckern gehört dazu.


Literatur:
1. Benjamin SE (2012) Making food healthy and safe for children: how to meet the caring for our children: national health and safety performance standards; guidelines for early care and educations programs. The National Training Institute for Child Care Health Consultants, Chapel Hill/NC
2. Birch LL, Anzman-Frasca S (2011) Promoting children’s healthy eating in obesogenic environments: lessons learned from the rat. Physiol Behav 104:641–645
3. Butte N, Cobb K, Dwyer J et al (2004) The start healthy feeding guidelines for infants and toddlers. J Am Diet Assoc 104:442–454
4. Dovey TM, Staples PA, Gibson EL, Halford JC (2008) Food neophobia and ‚picky/fussy‘ eating in children: a review. Appetite 50:181–193
5. Heindl I, Methfessel B, Schlegel-Matthies K (2011) Ernährungssozialisation und -bildung und die Entstehung einer "kulinarischen Vernunft". In: Ploeger A, Hirschfelder G, Schönberger G (Hrsg) Die Zukunft auf dem Tisch. Analysen, Trends und Perspektiven der Ernährung von morgen. VS Verlag für Sozialwissenschaften/Springer Fachmedien, Wiesbaden, 187–202
6. Institute of Medicine; Committee on Obesity Prevention Policies for Young Children (2011) Early childhood obesity prevention policies. National Academies Press, Washington DC. http://www.nap.edu. http://www.nap.edu/catalog.php?record_id=13124. Zugegriffen: 19. Juni 2013
7. Koletzko B, Armbruster M, Bauer CP et al. (2013) Handlungsempfehlungen Ernährung und Bewegung im Kleinkindalter. Monatsschrift Kinderheilkunde: Sonderdruck. http://www.gesund-ins-leben.de/fileadmin/SITE_MASTER/content/Dokumente/Downloads/Medien/3418_2013_he_kleinkinder.pdf. Zugegriffen 07.02.2017
8. Nicklas TA, Hayes D; American Dietetic Association (2008) Position of the American Dietetic Association: nutrition guidance for healthy children ages 2–11 years. J Am Diet Assoc 108:1038–1044, 1046–1047
9. Pliner P, Stallberg-White C (2000) "Pass the ketchup, please": familiar flavors increase children’s willingness to taste novel food. Appetite 34:95–103
10. Schlegel-Matthies K (2011) Mahlzeit im Wandel – die Entideologisierung einer Institution. In: Schönberger G, Methfessel B (Hrsg) Mahlzeiten: alte Last oder neue Lust? VS Verlag für Sozialwissenschaften/Springer Fachmedien, Wiesbaden
11. Schwartz C, Scholtens PA, Lalanne A et al (2011) Development of healthy eating habits early in life. Review of recent evidence and selected guidelines. Appetite 57:796–807
12. Shutts K, Kinzler KD, DeJesus JM (2013) Understanding infants‘ and children’s social learning about foods: previous research and new prospects. Dev Psychol 49:419–425



Autor:

Maria Flothkötter

Leitung Gesund ins Leben - Netzwerk Junge Familie im Bundeszentrum für Ernährung (BZfE)
53179 Bonn

Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (10) Seite 52-54