Reizdarmsyndrom und chronisch entzündliche Darmerkrankungen werden größtenteils mit Arzneimitteln behandelt. Diese pharmakologisch basierte Therapie kann um naturheilkundliche Selbsthilfestrategien, komplementäre Verfahren und Lebensstilmodifikation ergänzt werden. Für diese sogenannte integrative Gastroenterologie gibt es derzeit eine ansprechende Evidenz. Sie findet zudem in den medizinischen Leitlinien immer mehr Beachtung.

Mit etwa 7 bis 10 % betroffener Menschen ist das Reizdarmsyndrom eine der häufigsten Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts in Deutschland. Regelmäßige Arztbesuche sind häufig [9]. Typische Symptome der Ausschlussdiagnose "Reizdarmsyndrom" sind Bauchschmerzen, Blähungen und Verstopfung oder Durchfälle, die sich unter Stress verschlechtern können. Organische Ursachen sind beim Reizdarmsyndrom als Erkrankungsursache ausgeschlossen.

Auch chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) wie Colitis ulcerosa und Morbus Crohn sind in der Arztpraxis häufig. Für diese beiden Erkrankungen sind die Ursachen noch nicht abschließend geklärt [3, 10]. Im deutschsprachigen Raum gibt es etwa 500.000 Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. Hauptsymptome sind blutiger Durchfall und abdominelle Schmerzen. Bei CED ist die leitlinienkonforme Pharmakotherapie unerlässlich. Manche Betroffene sprechen darauf teilweise gar nicht an oder leiden unter starken Nebenwirkungen.

Psychische und soziale Faktoren, die sowohl beim Reizdarmsyndrom als auch bei CED eine relevante Rolle im Krankheitsgeschehen spielen, werden im Rahmen der Behandlung häufig nicht beachtet. Auf dem Gebiet der komplementären Medizin, zu der auch die Naturheilkunde gehört (Abb. 1), gibt es vielversprechende Ansätze. Sie können die pharmakologische Standardbehandlung sinnvoll ergänzen.

Starke Nachfrage bei Patienten nach Behandlungsalternativen

Unter Patienten mit CED und Reizdarmsyndrom gibt es eine starke Nachfrage nach komplementärer Medizin. Im internationalen Vergleich wird sie von 21 bis 60 % der Patienten mit CED und Reizdarmsyndrom genutzt. Als Gründe werden vor allem die "Suche nach der ‚optimalen’ Therapie", "Nebenwirkungen der konventionellen Therapie", "Wunsch nach persönlicher Aktivität und persönlicher Verantwortung in der Behandlung" und "ganzheitlicher Therapieansatz" genannt (Abb. 2) [6].

Ein Großteil der Betroffenen ohne Erfahrungen mit komplementärer Medizin ist zudem an einer Behandlung interessiert. Aus ärztlicher Sicht ist es nicht zuletzt aufgrund der starken Patientennachfrage notwendig, über die Verfügbarkeit sowie die potenzielle Wirksamkeit und Sicherheit komplementärmedizinischer Präparate informiert zu sein. So kann der Arzt auch vermeiden, dass sich Patienten auf der Suche nach weiteren Therapiemöglichkeiten an unseriöse Quellen wenden.

Integrative Gastroenterologie – Schulmedizin und mehr

Die Integrative Gastroenterologie nutzt komplementäre Ansätze und verbindet so die konventionelle Medizin, naturheilkundliche Selbsthilfestrategien, komplementäre Verfahren und Aspekte der Mind-Body-Medizin, wie die Lebensstilmodifikation. Im Folgenden werden exemplarisch einige Methoden vorgestellt, die in der Integrativen Gastroenterologie unterstützend zur Standardbehandlung angewandt werden.

Phytotherapeutika bei CED und Reizdarmsyndrom

Einen wichtigen Teil der naturheilkundlichen Ansätze der Gastroenterologie machen Phytotherapeutika aus. Für viele dieser komplementär verwendeten Substanzen gibt es bisher allerdings keine oder nur wenige Studien, die den Einsatz bei Patienten mit CED oder Reizdarmsyndrom untersuchen. Eine Ausnahme bildet
z. B. Pfefferminzöl, das bei Reizdarmsyndrom gegeben wird.

Eine aktuelle Metaanalyse, die neun randomisierte, kontrollierte Studien mit insgesamt 726 Patienten einschloss, kam zu dem Ergebnis: Pfefferminzöl in magensaftresistenten Kapseln kann kurzfristig zur Linderung der Reizdarmsyndromsymptomatik und vor allem der Bauchschmerzen effektiv eingesetzt werden, zur langzeitlichen Anwendung fehlen aber die Daten [5].

Pfefferminzöl, Curcuma & Co.

Durch unsachgemäße Anwendung der Kapseln besteht auch die Gefahr leichter und vorübergehender Nebenwirkungen wie Sodbrennen. Die evaluierten Pfefferminzölpräparate sind größtenteils in Deutschland zugelassen und verfügbar. Auch STW5 und Flohsamen werden zur Therapie des Reizdarmsyndroms empfohlen.

Bei CED ist Curcuma ein Phytotherapeutikum mit ersten vielversprechenden Studienergebnissen. In der Colitis-ulcerosa-Leitlinie gibt es die Empfehlung, dass man Curcuma – genau wie Flohsamen oder Myrrhe, Kamille und Kaffeekohle – komplementär in der remissionserhaltenden Behandlung einsetzen kann [8].

Das pflanzliche Kombinationspräparat aus Myrrhe, Kamille und Kaffeekohle stand in präklinischen und klinischen Studien hinsichtlich Wirksamkeit, Sicherheit und Wirkmechanismen besonders auf dem Prüfstand – mit einem großen Potenzial, das eine evidenzbasierte Anwendung rechtfertigt [7, 8, 12].

Ein weiteres aussichtsreiches, aber noch wenig erforschtes Phytotherapeutikum ist die Heidelbeere (Vaccinium myrtillus) beziehungsweise deren Extrakte. Die European Medicines Agency führt sie als traditionelle Heilpflanze unter "Traditional Use" gegen Diarrhoe. Eine erste klinische Pilotstudie bekräftigt die positiven Effekte der Heidelbeere bei Colitis ulcerosa [1].
Eine große multizentrische, multinationale, randomisiert kontrollierte Studie zur Wirksamkeit und Sicherheit von Anthocyanen – dem Hauptwirkstoff der Heidelbeeren – steht derzeit bei Colitis ulcerosa kurz vor dem Start.

Mind-Body-Medizin: vielversprechende Therapieergänzung

Auch bietet die Mind-Body-Medizin interessante Behandlungsoptionen bei CED und Reizdarmsyndrom. Sie ist die Grundlage für sogenannte Lebensstilmodifikationsprogramme mit kombinierten Elementen aus Ernährungsberatung, Bewegung, Stressmanagement, Achtsamkeit, Akupressur, Hydro- und Phytotherapie sowie Selbsthilfestrategien [4].

Als Einzelverfahren ist etwa Yoga empfehlenswert, das der rein körperlichen Bewegung auch Atemübungen und meditative Aspekte hinzufügt (vgl. Abb. 3). Eine aktuelle randomisiert kontrollierte Studie hat 77 Patienten mit Colitis ulcerosa in Remission und mit verminderter Lebensqualität in eine Interventions- und eine Kontrollgruppe eingeteilt [2].

Die Interventionsgruppe partizipierte über zwölf Wochen an wöchentlichen, 90-minütigen Hatha-Yogakursen. Die Patienten der Kontrollgruppe erhielten Informationsmaterial zur Colitis ulcerosa und sollten weder Yoga noch andere sportliche Tätigkeiten beginnen. Am Ende der Studie zeigte sich, dass die Krankheitsaktivität in der Yoga-Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant verringert und die Lebensqualität erhöht war. Die Zahl der unerwünschten Ereignisse unterschied sich nicht zwischen den Gruppen.

Auch für Patienten mit Reizdarmsyndrom wurden in einer randomisiert kontrollierten Studie die Effekte von Yoga getestet [11]. Die Betroffenen wurden dafür zwei Gruppen zugeteilt: der Yoga-Gruppe – hier nahmen die Probanden zwölf Wochen lang zweimal wöchentlich an einem 75-minütigen Hatha-Yogakurs teil, oder der FODMAP-Gruppe – hier erhielten die Teilnehmer in vier Sitzungen und durch zusätzliche Informationsmaterialien eine Ernährungsberatung nach dem FODMAP-Prinzip. Dieses schließt bestimmte Kohlenhydrate und mehrwertige Alkohole in der Ernährung aus.

Nach Studienende und zum Follow-up nach 24 Wochen zeigte sich eine signifikante Verbesserung der Symptome des Reizdarmsyndroms für beide Gruppen. Bezogen auf Parameter wie Lebensqualität und Wohlbefinden waren tendenziell positivere Effekte für die Yoga-Gruppe zu beobachten.

Gefahren komplementärer Verfahren: Unwissen und finanzielle Belastung

Die Hauptgefahr komplementärer Verfahren ist deren unkritische Anwendung – insbesondere durch unqualifiziertes Personal, das die spezifische Symptomatik einer CED oder anderer Erkrankungen nicht ausreichend einschätzen und beurteilen kann. So kommt es etwa dazu, dass die konventionelle Pharmakotherapie vernachlässigt wird. Für die Patienten gibt es zudem die Problematik der finanziellen Belastung, da die Kostenträger bei einer Kostenübernahme meist nicht mitspielen. Nach der Gesetzesänderung von 2012 tragen manche Krankenkassen jedoch zumindest einen Teil der Ausgaben für naturheilkundliche und komplementäre Verfahren.

Naturheilkunde zunehmend in den medizinischen Leitlinien vertreten

Durch die kontinuierlich wachsende Forschungsaktivität auf diesem Gebiet werden Verfahren der Naturheilkunde auch in den medizinischen Leitlinien immer mehr beachtet. Die S3-Leitlinien "Reizdarmsyndrom: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie" [9], "Colitis ulcerosa: Diagnostik und Therapie" [3] und "Diagnostik und Therapie des M. Crohn" [10] verweisen an mehreren Stellen auf einen möglichen (komplementären) Einsatz naturheilkundlicher Verfahren.

So steht etwa in der Reizdarmsyndrom-Leitlinie: "Verkapseltes Pfefferminzöl kann als Spasmolytikum bei Kindern und Jugendlichen eingesetzt werden" (S. 272) und "mehrere Metaanalysen belegen einen Wirkungsnachweis für Spasmolytika (inklusive Pfefferminzöl-Präparate) in der Therapie des Reizdarmsyndroms" (S. 275).

Auch zu STW5, Flohsamen und Kümmelöl wurden Empfehlungen aufgenommen. Die Colitis-ulcerosa-Leitlinie vermerkt z. B.: "Akupunktur (…) kann im leichten bis moderaten Schub komplementär in der Therapie (...)" (S. 1325) und die "Mind-Body-Therapie (...) komplementär zur Verbesserung der Lebensqualität eingesetzt werden" (S. 1324).

Yoga wird als möglicher Behandlungsansatz ebenfalls thematisiert. Die Leitlinie zum Morbus Crohn adaptiert diese Hinweise. Als Phytotherapeutika werden bei Colitis ulcerosa Flohsamen, Curcumin und Myrrhe, Kamille und Kaffeekohle genannt. Auch Probiotika wie VSL3 und E. coli Nissle bei Colitis ulcerosa und verschiedene Lacto- und Bifidobakterien bei Reizdarmsyndrom sind erwähnt.

In der Colitis-ulcerosa-Leitlinie, die im Mai aktualisiert wurde, aber auch in der Reizdarmsyndrom-Leitlinie nimmt der Anteil naturheilkundlicher Verfahren ebenfalls weiter zu.

Zukunftsfähige Behandlungsstrategie: Integrative Gastroenterologie

Die konsequente Forschung an komplementären Verfahren und deren wachsende Beachtung in den medizinischen Leitlinien sowie die starke Nachfrage durch Patienten werden künftig dazu führen, dass sich immer mehr behandelnde Ärzte über die Möglichkeiten und Grenzen der komplementären Therapie informieren und Patienten so der Zugang zu den Verfahren erleichtert wird.


Literatur
1. Biedermann L, Mwinyi J, Scharl M, Frei P, Zeitz J, Kullak-Ublick GA, et al. Bilberry ingestion improves disease activity in mild to moderate ulcerative colitis - an open pilot study. Journal of Crohn‘s & colitis. 2013 May;7(4):271-9.
2. Cramer H, Schafer M, Schols M, Kocke J, Elsenbruch S, Lauche R, et al. Randomised clinical trial: yoga vs written self-care advice for ulcerative colitis. Aliment Pharmacol Ther. 2017 Apr 05.
3. Dignass A, Preiß JC, Aust DE, Autschbach F, Ballauff A, Barretton G, et al. Aktualisierte Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Colitis ulcerosa 2011 – Ergebnisse einer Evidenzbasierten Konsensuskonferenz. Z Gastroenterol. 2011;49(09):1276-341.
4. Elsenbruch S, Langhorst J, Popkirowa K, Muller T, Luedtke R, Franken U, et al. Effects of mind-body therapy on quality of life and neuroendocrine and cellular immune functions in patients with ulcerative colitis. Psychotherapy and psychosomatics. 2005;74(5):277-87.
5. Khanna R, MacDonald JK, Levesque BG. Peppermint oil for the treatment of irritable bowel syndrome: a systematic review and meta-analysis. Journal of clinical gastroenterology. 2014 Jul;48(6):505-12.
6. Langhorst J, Anthonisen IB, Steder-Neukamm U, Luedtke R, Spahn G, Michalsen A, et al. Patterns of complementary and alternative medicine (CAM) use in patients with inflammatory bowel disease: perceived stress is a potential indicator for CAM use. Complementary therapies in medicine. 2007 Mar;15(1):30-7.
7. Langhorst J, Frede A, Knott M, Pastille E, Buer J, Dobos GJ, et al. Distinct kinetics in the frequency of peripheral CD4+ T cells in patients with ulcerative colitis experiencing a flare during treatment with mesalazine or with a herbal preparation of myrrh, chamomile, and coffee charcoal. PloS one. 2014;9(8):e104257.
8. Langhorst J, Varnhagen I, Schneider SB, Albrecht U, Rueffer A, Stange R, et al. Randomised clinical trial: a herbal preparation of myrrh, chamomile and coffee charcoal compared with mesalazine in maintaining remission in ulcerative colitis--a double-blind, double-dummy study. Alimentary pharmacology & therapeutics. 2013 Sep;38(5):490-500.
9. Layer P, Andresen V, Pehl C, Allescher H, Bischoff SC, Claßen M, et al. S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie. Gemeinsame Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM)1 (AWMF-Registriernummer: 021/016). Z Gastroenterol. 2011;49(2):237-93.
10. Preiss JC, Bokemeyer B, Buhr HJ, Dignass A, Hauser W, Hartmann F, et al. [Updated German clinical practice guideline on "Diagnosis and treatment of Crohn‘s disease" 2014]. Z Gastroenterol. 2014 Dec;52(12):1431-84.
11. Schumann D, Langhorst J, Dobos G, Cramer H. Randomised clinical trial: yoga vs a low-FODMAP diet in patients with irritable bowel syndrome. Alimentary pharmacology & therapeutics. 2018 Jan;47(2):203-11.
12. Vissiennon C, Goos KH, Arnhold J, Nieber K. Mechanisms on spasmolytic and anti-inflammatory effects of a herbal medicinal product consisting of myrrh, chamomile flower, and coffee charcoal. Wiener medizinische Wochenschrift (1946). 2017 May;167(7-8):169-76.



Autoren:

Prof. Dr. med. Jost Langhorst (Foto), Dr. rer. nat. Anna Katharina Koch

Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin Kliniken Essen-Mitte
Knappschafts-Krankenhaus
45276 Essen

Interessenkonflikte: J.L.: Forschungsunterstützung von Steigerwald, Falk Foundation, TechLab, Dr. Willmar Schwabe; Repha GmbH biologische Arzneimittel; Vortragshonorar von Falk Foundation; MSD Sharp&Dohme GmbH, Repha, Ardeypharm, Celgene, Dr. Willmar Schwabe; Berater-/Gutachtertätigkeit für Medizinverlage Stuttgart, Steigerwald, Repha, Ferring Arzneimittel GmbH. A.K.K.: keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (16) Seite 43-48