Eine erhöhte Zahl an weißen Blutkörperchen ist häufig. Leukozytosen können viele Ursachen haben. Meist ist diese Blutbildveränderung reaktiv. Bei der malignen Form muss der Hausarzt rasch handeln und zum Facharzt überweisen. Eine Leukämie ist dann wahrscheinlich.

Die Leukozytose ist ein sehr häufiger Befund. Eine neue Arbeit aus Italien zeigt, dass von 565 Patienten, die über die Notaufnahme auf eine internistische Station kamen, 53 % eine Leukozytose hatten. Bei den meisten trat sie aber nur vorübergehend auf [1]. Generell sind Leukozytosen überwiegend reaktiv und nur selten maligne. Die maligne Form muss rasch erkannt und behandelt werden. Bei einer Leukozytose sind die Leukozytenwerte über den oberen Normalwert hinaus erhöht. Dieser ist altersabhängig und kann deutlich differieren. So weisen Kinder in der Regel höhere Leukozytenwerte als Erwachsene auf. Auch bei Frauen und Männern gibt es geringe Unterschiede (Tabelle 1) [2].

Allein anhand der Höhe der Leukozytenzahl kann man aber nicht sicher zwischen einer reaktiven oder malignen Ursache unterscheiden. Leukozytenwerte über 50.000/μl deuten eher auf eine maligne als auf eine reaktive Genese hin. Bei Werten über 100.000/μl (Hyperleukozytose) kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer malignen Leukozytose ausgehen [3]. Eine Hyperleukozytose ist ein Notfall. Hier droht die Leukostase, die oft tödlich endet [4]. Normale Leukozytenwerte schließen eine Leukämie aber nicht aus: Beim Patienten können erhöhte, normale oder sogar verminderte Werte vorliegen, denn das Ausmaß der Ausschwemmung der Leukämie aus dem Knochenmark ins Blut ist variabel.

Das Differenzialblutbild

Bei der Einordnung der Leukozytose geht es nicht ohne Leukozytendifferenzierung (Differenzialblutbild oder "großes Blutbild"). Im Labor erfolgt zunächst eine maschinelle Differenzierung. Man kann auch ein manuelles Differenzialblutbild anschließen, mit dem sich die Morphologie der Zellen beurteilen lässt. Das ist wichtig, wenn man unreife oder atypische Zellen findet. Im normalen Differenzialblutbild sind reife neutrophile, basophile und eosinophile Granulozyten, Monozyten und reife Lymphozyten sowie die unreiferen stabkernigen Granulozyten zu sehen. Von einer Linksverschiebung spricht man, wenn vermehrt unreifere Formen der Granulopoese vorliegen. Die Normwerte für die absolute und relative Verteilung der weißen Blutzellen zeigt Tabelle 2 [2]. Eine solche Unterscheidung ist wichtig: Die Verminderung von Granulozyten kann zur relativen (prozentualen) Vermehrung von Lymphozyten führen, ohne dass sich diese Zellform vermehrt hat, was aber entscheidend ist.

Reaktive und pathologische Linksverschiebung

Als Linksverschiebung bezeichnet man unreife Vorformen der Granulozyten. Art und Ausmaß dieser Verschiebung weisen auf die Erkrankung hin. Der Arzt sollte auch weitere Symptome wie Infektionen, Fieber, Abgeschlagenheit, Blutungsneigung, B-Symptomatik und vorangegangene Operationen erfragen. Die reaktive Linksverschiebung findet sich vor allem bei bakteriellen Infektionen, Inflammation und Stress. Sie kann auch medikamentös bedingt sein, z. B. unter Steroidtherapie. Das Ausmaß der Linksverschiebung ist relevant: So zeigen sich bei reaktiven Linksverschiebungen viele stabkernige Granulozyten, gegebenenfalls auch Metamyelozyten. Veränderungen hin zu noch unreiferen Vorformen sprechen eher für eine pathologische Linksverschiebung (Abb. 1). Wesentlich ist das Auftreten von Blasten, den unreifsten Zellen der Hämatopoese im peripheren Blut: Sie deuten stark auf eine maligne hämatologische Erkrankung hin. Bei einem sog. Hiatus leucaemicus besteht der dringende Verdacht auf eine akute Leukämie. Man versteht darunter das Auftreten von Blasten in Kombination mit reifen Granulozyten bei völligem Fehlen der Zwischenformen wie Promyelozyten, Myelozyten und stabkernigen Neutrophilen. Ursache ist das für die akute Leukämie typische Ausbleiben einer Zelldifferenzierung. Dabei entwickeln sich die leukämischen Blasten nicht mehr zu reifen Zellen, was das Fehlen der Zwischenformen im Blutbild erklärt.

Monomorphes und pleomorphes Zellbild

Maligne hämatologische Erkrankungen sind immer klonal. Das Merkmal der Klonalität fehlt hingegen bei reaktiven Veränderungen. Dies kann man sich in der Differenzialdiagnose der Leukozytose zunutze machen: Findet sich im Ausstrich ein monomorphes Bild identisch aussehender Blutzellen (Abb. 2a), z. B. Blasten oder Lymphozyten, besteht der dringende Verdacht auf eine bösartige Erkrankung. Ein pleomorphes Bild, d. h. das Auftreten vieler morphologisch unterschiedlicher Zellen, ist hingegen bei reaktiven als auch bei malignen Leukozytosen zu sehen. Eine reaktive Linksverschiebung bei Sepsis zeigt eine pleomorphe Leukozytose. In ähnlicher Form findet man sie auch bei der chronischen myeloischen Leukämie (Abb. 2b). Hier gelingt die Differenzierung oft nur anhand des klinischen Bildes, ggf. in Kombination mit weiteren Kontrollen, wie einer zytogenetischen Analyse, mit der man die Klonalität und damit die Malignität nachweisen kann.

Weitere Laborparameter

Bei einer Leukozytose sollte man immer auch den Hämoglobinwert und die Höhe der Thrombozyten mit beachten. So spricht die Kombination von Leukozytose und Bizytopenie (Anämie und Thrombozytopenie) für ein verdrängendes Wachstum maligner Zellen im Knochenmark, z. B. bei akuter Leukämie. Die Kombination aus Leukozytose, Polyglobulie und Thrombozytose findet sich bei myeloproliferativen Erkrankungen wie der Polycythaemia vera. Auch die Werte für Lactatdehydrogenase (LDH) und Harnsäure geben wichtige Hinweise. Akute-Phase-Marker (z. B. C-reaktives Protein, Procalcitonin) können ebenfalls zur Beurteilung beitragen.

Folgende Warnzeichen deuten auf die maligne Form hin:
  • Blasten im peripheren Blutbild
  • Leukozytenzahlen über 50*10³/µl
  • Hyperleukozytose (Leukozytenzahlen ≥ 100*10³/µl)
  • Leukozytose in Kombination mit Anämie und/oder Thrombozytopenie
  • Leukozytose in Kombination mit Polyglobulie und/oder Thrombozytose
  • Leukozytose in Kombination mit B-Symptomatik, Lymphknotenschwellungen oder rascher Verschlechterung des Allgemeinzustands
  • Leukozytose und hohe Lactatdehydrogenase (LDH)

Bei Hyperleukozytose (Leukozyten > 100*10³/µl), Blasten, schweren Allgemeinsymptomen und hoher LDH liegt vermutlich eine akute Leukämie vor, die sofort therapiert werden muss. Eine Studie zeigt, dass die verzögerte Therapieeinleitung bei Patienten mit akuter myeloischer Leukämie die Prognose entscheidend verschlechtert [5].

Fazit für die Praxis
Der Arzt muss zwischen reaktiver und maligner Leukozytose unterscheiden können – und das schnell, um potenziell bedrohliche Erkrankungen frühzeitig zu therapieren. Für die Differenzialdiagnose sind fünf Punkte entscheidend:
  • Leukozytosen sind häufig, aber überwiegend reaktiv.
  • Wichtigste Untersuchung ist das Differenzialblutbild.
  • Die Höhe der Leukozytose, Begleiterscheinungen und die Dynamik der Leukozytose helfen bei der Differenzierung.
  • Die Mitbeteiligung von Hämoglobinwert (Anämie oder Polyglobulie) und Thrombozyten (Thrombozytämie oder Thrombozytose) weist auf eine Knochenmarkerkrankung hin.
  • Bei monomorphem Zellbild oder Blasten ist eine maligne Erkrankung sehr wahrscheinlich.


Literatur:
1. Bertolino G, Quaglia F, et al. (2017) Transient leukocytosis in Emergency Room: an overlooked issue. Italian Journal of Medicine. 11(1):41–7.
2. Thomas L (Hrsg.). (2012) Labor und Diagnose. 8.. Aufl. TH-Books Verl. Ges.
3. Chabot-Richards DS, George TI (2014) Leukocytosis. International Journal of Laboratory Hematology. 36(3):279–88.
4. Giammarco S, Chiusolo P, et al. (2017) Hyperleukocytosis and leukostasis: management of a medical emergency. Expert Review of Hematology. 10(2):147–54.
5. Sekeres MA, Elson P, et al. (2009) Time from diagnosis to treatment initiation predicts survival in younger, but not older, acute myeloid leukemia patients. Blood. American Society of Hematology; 113(1):28–36.



Autorin:

© PD Dr. med. Julie Schanz
PD Dr. med. Julie Schanz

Klinik für Hämatologie und Medizinische Onkologie
Universitätsmedizin Göttingen
37075 Göttingen

Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (11) Seite 16-18