Bei der Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und Senioren-Pflegeheimen prallen häufig zwei Welten aufeinander, deren Erwartungen scheinbar nie erfüllt werden können. Dabei würde ein Hand-in-Hand-Arbeiten allen Beteiligten und erst recht den Patienten zugutekommen. Warum herrscht so oft Verstimmung zwischen diesen beiden Parteien? Jetzt wurde Tacheles gesprochen – im Interview mit Dr. med. Gerhard Bawidamann, Facharzt für Allgemeinmedizin in Nittendorf, Birgit Robin, Leiterin des Argula-von-Grumbach-Hauses in Nittendorf und Pflegedienstleiter Gottfried Meissner.

Was erwarten Sie als Heimleiterin von Hausärzten, die Heimpatienten betreuen, damit die Zusammenarbeit glattläuft?

Robin: Zunächst einmal erwarte ich, dass eine Betreuung überhaupt stattfindet, dass man also nicht mit Krankenkassenkarten zum Einlesen in die Praxen fährt, sondern dass der Arzt hierher kommt. Und zwar auch dann, wenn man im Haus ein Problem hat – dass man also dann nicht abgeschmettert wird mit "Jetzt passt mal auf, wir machen das jetzt so und so". Sondern, dass man tatsächlich sagen kann: Wir kümmern uns beide, von der pflegerischen wie der ärztlichen Seite darum, dass es dem Bewohner so gut wie möglich geht.

Welche Rolle spielt hier die Entfernung?

Meissner: Ärzte, die geographisch weiter weg praktizieren, haben natürlich ein Interesse, dass sie nicht vorbeikommen müssen, wenn es etwa nur darum geht, ein Rezept auszustellen. Wobei es dann im Nachgang Angehörige und Betreuer sehr ärgert, wenn sich herausstellt, dass monatelang Visiten abgerechnet wurden, ohne dass jemals eine Untersuchung stattgefunden hat. Natürlich ist es verständlich, dass ein Arzt nicht so gerne herkommt, wenn die Praxis 15 Kilometer entfernt ist – da sollte man dann überlegen, ob es nicht besser ist, die Betreuung an einen Arzt abzugeben, der näher dran ist.

Sind feste Besuchstage in Heimen sinnvoll?

Robin: Auf jeden Fall, weil sich das Heim, die Pflege und die Bewohner darauf einstellen können. Wir können dann unseren Bedarf vorher faxen, dann kann die Praxis schon Rezepte bereitstellen. Ich kann dann auch mitteilen, dass Frau X und Herr Y einen Hausbesuch brauchen, und weiß, dass der Arzt am nächsten Nachmittag auf jeden Fall da ist.

Dann wäre auch ein Ansprechpartner im Heim anwesend?

Robin: Ja, denn der Schulterschluss ist zwingend erforderlich, wenn man z. B. das weitere Therapievorgehen bespricht. Es ist von vornherein positiv, wenn wir wissen: An Tag X kommt der Arzt eines Bewohners, bei dem ich Personal zur Verfügung stellen muss, weil z. B. ein großer Verband zu wechseln ist, während bei einem anderen Bewohner vielleicht keine Assistenz nötig ist.

Bawidamann: Man darf sich das nicht wie eine Visite im Krankenhaus vorstellen, bei der alle Stationen abgegangen werden. Zum Blutdruckmessen brauche ich keine Assistenz, wenn aber mehrere Patienten eine Wundversorgung benötigen, dann ist das schon der Fall.

Wie verfahren Sie bei Notfällen?

Robin: Bei Notfällen ist es natürlich praktisch, wenn man beim Hausarzt anrufen kann und eine klare Auskunft bekommt, ob er in einem absehbaren Zeitraum kommen kann. Oder ob sein Wartezimmer gerade so brechend voll ist, dass keine andere Möglichkeit bleibt, als einen Notarzt zu rufen. Da kann die Kommunikation dann auch helfen, die richtige Entscheidung zu treffen – und eventuell hilft das auch, unnötige Kosten zu sparen. Es wäre natürlich wünschenswert, wenn es noch eine Wochenend- und Bereitschaftsdienstversorgung wie früher gäbe. Die Zeiten sind aber leider vorbei, und als Folge dessen hatten wir schon einige Krankenhauseinweisungen, zu denen es früher nicht gekommen wäre. Heute kommt oft ein Arzt von weiter weg, der die Patienten nicht kennt und dann vorsichtshalber einweist, wo der Hausarzt vor Ort vielleicht eine weniger aufwendige Lösung gewählt hätte.

Bawidamann: Im neuen System ist der Arzt in einem viel größeren Umkreis unterwegs. Wenn man einen Patienten nicht kennt, wird man eher defensiv vorgehen und ihn im Zweifelsfall auch eher einweisen. Im alten System der Vertretungen kannte man nach einiger Zeit die meisten chronisch kranken Patienten der Kollegen, jetzt ist das nicht mehr so. Für die Ärzte ist das neue System natürlich bequemer, denn jetzt dürfen sie abends um 18 Uhr auf Bereitschaftsdienst schalten. In unserer Gemeinschaftspraxis sind wir aber während der Woche auch nachts immer erreichbar.

Und was wünschen sich die Ärzte von den Heimen?

Bawidamann: Es gibt eigentlich kaum ein Problem, das sich nicht mit gutem Willen von beiden Seiten lösen ließe. Ein wichtiges Thema ist die Dokumentation. Ich will nicht ganze Romane in die Doku schreiben müssen, wie es früher gelegentlich von Schwestern gewünscht wurde. Da muss man sich absprechen, was wirklich nötig ist. Meine Anordnungen sollen nachvollziehbar sein, die Pflegerinnen sollen also wissen, was z. B. an Wundauflagen bei einem bestimmten Patienten angewendet werden soll. Und Änderungen in der Therapie müssen ebenfalls festgehalten werden.

Außerdem müssen die Anordnungen natürlich detailliert beschreiben, wie oft ein Patient gewogen und wie oft der Blutzucker gemessen werden soll. Ein weiterer Knackpunkt sind Bedarfsmedikamente, hier muss der Arzt festlegen, welches Medikament z. B. bei Fieber wie dosiert werden soll. Qualifiziertes Heimpersonal ist hier natürlich ein großer Vorteil und kann einiges auffangen. Der Arzt sollte auch Vorschläge des Heimpersonals ernst nehmen, denn von der Pflege versteht er weniger als die Beschäftigten des Heims.

Eine große Hilfe sind rechtzeitige Rezeptanforderungen per Fax – spätestens am Tag vor dem Besuch. Denn eines der größten Ärgernisse ist es, wenn man unter Zeitdruck steht und dann noch fünf Rezepte von Hand schreiben muss. Und es muss auch klar sein, dass der Arzt ein BTM-Rezept nicht einfach aus der Hosentasche ziehen kann; diese Anforderung sollte schon vorher feststehen.

Meissner: Wenn ein Bewohner aus dem Krankenhaus kommt, faxen wir auch den Arztbericht sofort an die Praxis und hoffen dann zeitnah einen Vorschlag oder eine Anordnung vom Hausarzt zu bekommen, der ja die Therapieverantwortung trägt.

Bawidamann: Den Arztbrief vorab zu bekommen, ist sehr wertvoll. Denn beim Besuch im Pflegeheim habe ich meine EDV nicht zur Verfügung und kann keine Details zur Krankengeschichte oder zu Medikamentenunverträglichkeiten nachprüfen. Die Vorabinformation ist generell wichtig bei neuen Bewohnern, denn es ist problematisch, einen neuen Patienten zu bekommen, der gleich eine große Anzahl Medikamente braucht, über den es aber kaum Unterlagen gibt.

Meissner: Das versuchen wir im Vorfeld auch schon umzusetzen – wenn jemand Neues angekündigt ist, fragen wir nach, welche Medikamente gebraucht werden, welche Diagnosen es gibt.

Verursacht nicht auch die Bedarfsmedikation einen erheblichen Koordinationsaufwand?

Robin: Sicher, denn das Heim darf ja ohne Absprache nicht mal eine Kopfschmerztablette geben, wenn es nicht angeordnet ist.

Bawidamann: Das verursacht Bürokratie – ich muss bei jedem Patienten aufschreiben, was bei Kopfweh, was bei Unruhe gegeben werden soll, wie viel davon, wie oft und wie lange.

Wie umfangreich sind die viel beklagten Dokumentationspflichten?

Robin: Zurzeit werden ja die extrem aufgeblähten Dokumentationspflichten wieder auf strukturierte Informationssammlung reduziert, sodass man nicht jede Kleinigkeit aufschreibt, sondern nur Veränderungen und nur Wichtiges. Natürlich muss man rechtssicher dokumentieren – Wundprotokolle, freiheitsentziehende Maßnahmen oder Medikamente müssen protokolliert werden, darauf legen ja auch die Ärzte Wert.

Was trägt noch zu einer guten Zusammenarbeit bei?

Bawidamann: Die telefonische Erreichbarkeit tagsüber ist wichtig. Denn mit qualifiziertem Personal kann man vieles auch telefonisch regeln. Dann kann der Arzt konkrete Therapieanweisungen geben und sich zwei Stunden später noch einmal telefonisch erkundigen. Das klappt hier hervorragend. Wichtig ist auch, sich gegenseitig zu vertrauen und ernst zu nehmen. Es passiert ja auch durchaus, dass eine Schwester einen Einwand hat und ich als Arzt dann erkenne, dass ich etwas nicht bedacht habe.

Meissner: Junge, unerfahrene Ärzte trauen sich oft nicht, Anordnungen zu geben oder Vorschlägen der Pflegedienste zu folgen. Zudem bestehen auch Ängste wegen des Budgets – zum Beispiel in Palliativsituation. Da habe ich schon zu hören bekommen, dass man das eigentlich notwendige Präparat nicht verordnen könne, weil es teurer ist.

Robin: Es muss dann auch darüber gesprochen werden, wie eine Palliativsituation gestaltet werden kann. Man will ja, dass es dem Bewohner gut geht, und da sollte es auch möglich sein, das etwas teurere Präparat zu verschreiben. Dem Arzt sollte auch klar sein, dass es sich herumspricht, wenn seine Patienten nicht so optimal versorgt sind. Wir bekommen z. B. Rückmeldungen von Hospizvereinen, mit denen wir zusammenarbeiten, und erfahren, ob die Schmerztherapie funktioniert hat oder suboptimal war.

Werden solche Fälle später noch einmal evaluiert?

Bawidamann: Derzeit eher informell. Aber es gäbe die Möglichkeit, dies im Rahmen unserer wöchentlichen Besprechung in der Praxis zu machen, in der wir problematische Fälle diskutieren.

Robin: Und zwar durchaus auch schon während der Palliativphase, die ja auch länger dauern kann. Es ist auf jeden Fall wichtig zu kommunizieren, egal in welchem Rahmen. Und wenn das geschieht, während der Patient noch lebt, hat er auch die Chance, davon zu profitieren.



Das Interview führte Werner Enzmann

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (3) Seite 73-76