Überall da, wo Menschen miteinander arbeiten, sind Konflikte vorprogrammiert. Das gilt auch für die herausfordernde Arbeit mit dem Team in der Arztpraxis.

Im Praxisalltag gibt es regelmäßig Situationen mit Konfliktpotenzial, beispielsweise wenn wir unterschiedliche Ziele verfolgen. Bei einem solchen Zielkonflikt möchte in einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) vielleicht eine der Praxispartner:innen so richtig Gas geben, während andere mehr Wert auf ihre Work-Life-Balance legen. Oder wir haben zwar die gleichen Ziele, sind uns aber über den Weg nicht einig (Bewertungskonflikt): So kann es sein, dass eine Praxispartner:in den Umsatz steigern möchte, indem sie mehr IGe-Leistungen in der Praxis erbringt. Die anderen Partner:innen setzen auf verlängerte Öffnungszeiten, IGe-Leistungen lehnen sie ab.

Vielleicht "kämpfen" wir auch um knappe Ressourcen. Ein klassisches Beispiel für einen solchen Verteilungskonflikt ist die Urlaubsplanung. Um den Praxisbetrieb auch an Brückentagen zu gewährleisten, können nicht alle gleichzeitig Urlaub nehmen.

Auch kann es sein, dass wir in der Praxis unterschiedliche Rollenerwartungen haben: Als Praxisinhaber:in haben Sie u. U. genaue Vorstellungen, wie das Materiallager verwaltet wird. Nicht immer ist das neuen Teammitgliedern klar, weil sie es bisher vielleicht anders kennen. Äußern Sie Ihre Vorstellungen nicht explizit, kann es zu Konflikten kommen (Rollenkonflikt).

Denkbar ist auch, dass wir eine Situation aufgrund unterschiedlicher Wahrnehmungen anders beurteilen (Wahrnehmungskonflikt). So hat ein Teammitglied eine Aufgabe nicht erledigt, was Sie verärgert. Die Aufgabe konnte jedoch nicht erledigt werden, weil das dafür erforderliche Material gefehlt hat, was Sie nicht wussten. Oder wir fühlen uns durch (vermeintliche) Missachtung gekränkt, weil eine Mitarbeiter:in morgens nicht gegrüßt hat. Dabei war sie nur gerade bei etwas anderem. Vielleicht gibt es auch gedanklich unterschiedliche Wertehierarchien. Ihnen ist z. B. Pünktlichkeit im Fall der Fälle wichtiger als Qualität. Ihrer Partner:in dagegen ist Qualität wichtiger als Pünktlichkeit.

Wir brauchen die Auseinandersetzung, um den für uns alle besten Weg zu finden. Immer dann, wenn wir auf unserer Position beharren, können Konflikte eskalieren. Es gilt, sachlich miteinander zu diskutieren, dabei jedoch auf der Beziehungsebene wertschätzend miteinander umzugehen.

Unterschiedliche Konfliktstrategien

  • Konfliktvermeidung: Wir hoffen, dass sich das Problem von selbst löst. Jeder bleibt mit seinem Anliegen auf der Strecke. Solche Konflikte verschärfen sich häufig auf Sicht. Beide Parteien verlieren.
  • Durchsetzen: Hier sind wir von unserer Sicht auf die Dinge zu 100 % überzeugt. Eine andere Sicht auf die Dinge interessiert uns nicht. Am Ende gibt es Gewinner:innen und Verlierer:innen.
  • Nachgeben: Wir stellen unsere Interessen zugunsten der anderen Partei komplett zurück. Wir nutzen diese Strategie, z. B. wenn wir eher konfliktscheu sind, den anderen für überlegen halten oder auch aus strategischen Gründen, weil wir uns dadurch Vorteile für weitere Verhandlungen versprechen.
  • Kompromiss: Jeder gibt etwas zugunsten des anderen auf. Damit ein Kompromiss langfristig trägt, müssen alle damit einverstanden sein.
  • Kooperative Lösung: Wenn wir verstehen, um was es den einzelnen Konfliktparteien geht, welche Interessen sich hinter dem vordergründigen Anliegen verbergen, sind wirklich kreative Lösungen möglich, die zu einer deutlich besseren Lösung führen. Um diese Informationen herauszufiltern, stellen wir uns gegenseitig Fragen wie z. B.: Aus welchem Grund möchtest du x? Weswegen möchtest du y nicht?

Die erfolgreiche Umsetzung beginnt schon beim Gesprächsrahmen: Wir benötigen Ruhe, um ein echtes Gespräch zu führen, und die mentalen Ressourcen, um offen für unser Gegenüber zu sein. Konfliktgespräche sollten immer zeitnah, aber mit ausreichend Raum für einen umfassenden Austausch ohne Störungen geplant werden. Auf das Gespräch selbst sollten wir uns sorgfältig vorbereiten und uns selbst erforschen: Welche Position vertreten wir? Welche Interessen liegen hinter unserer Position? Um was geht es uns? Je klarer wir selbst sind, desto klarer können wir kommunizieren. Sprechen Sie das Thema dann sachlich an. Gehen Sie in Vorleistung und fragen Sie nach der anderen Perspektive: "Was hast du wahrgenommen? Wie geht es dir damit? Was kann ich tun, damit auch deine Bedürfnisse erfüllt werden?"

Manchmal sind es mehrere Aspekte, die sich hinter einem Problem verbergen. Fragen Sie so lange nach, bis Ihr Gegenüber glaubt, Ihnen alles offenbart zu haben. Wiederholen Sie mit eigenen Worten, was Sie gehört haben, damit Sie alles korrekt verstanden haben. Durch diese offene Art des Interesses nehmen Sie einem schwelenden Konflikt bereits die Schärfe. Denn wenn Sie sich ausreichend Zeit für den anderen nehmen, entwickelt er selbst das Bedürfnis, auch Ihre Position kennenzulernen.

Nun sind Sie an der Reihe und können Ihre Perspektive darstellen: Was haben Sie wahrgenommen? Wie geht es Ihnen damit? Was kann der andere konkret tun, damit Ihr Bedürfnis erfüllt wird? Schieben Sie noch die Frage nach, ob Ihr Gegenüber dazu bereit ist. Wichtig ist dabei auch sicherzustellen, dass der andere Sie verstanden hat. Fragen Sie daher nach, was beim Gegenüber angekommen ist. Auf diese Art tasten Sie sich Schritt für Schritt an eine Lösung heran, die alle Bedürfnisse erfüllt. Wenn Sie sie gefunden haben, gilt es, eine verbindliche Absprache zu treffen. Das ist jetzt nur noch eine Formsache, da die Bedürfnisse aller erfüllt sind.

Win-win für alle Beteiligten

Nach jedem Gespräch sollten wir es noch einmal für uns selbst Revue passieren lassen. Was ist gut gelaufen? Was können wir beim nächsten Mal (noch) besser machen? So lernen wir von Mal zu Mal hinzu. Ist dann einige Zeit ins Land gegangen, sollten wir gemeinsam noch einmal auf die gefundene Lösung schauen: Ist sie weiterhin tragfähig? Sind wir alle noch damit zufrieden? Falls nicht, können wir nachjustieren.



Autorin:

© privat
Dr. rer. pol. Susanne Woitzik

B. Sc. Psychologie; BWL-Praxismanagement, Persönlichkeits- und Teamentwicklung

Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (6) Seite 56-57