Muss nach durchgemachter Erkrankung in der Kindheit (z. B. Windpocken, Masern, Mumps, Röteln etc.) bei bisher ungeimpften Erwachsenen trotzdem geimpft werden?

Impfungen: Fragen und Antworten
Kaum ein Fachgebiet der Medizin wirft so viele Fragen auf wie das Thema "Impfungen und Impfstoffe". Zuweilen bieten die STIKO-Empfehlungen durchaus Interpretationsspielraum. Außerdem sind die individuellen Konstellationen so vielfältig, dass Unsicherheiten geradezu vorprogrammiert sind – sei es, was fraglich stattgefundene Impfungen, Impfabstände, Impfreaktionen, Dosierungen oder Indikationen angeht, und, und, und. Diese neue Serie befasst sich mit konkreten Fragen rund um’s Thema Impfungen, die unser Experte, Dr. med. Andreas Leischker, fachkundig beantwortet.

Grundsätzlich gilt: Ja! Erwachsene können nämlich in der Regel nicht zuverlässig angeben, ob es sich bei der oft jahrzehntelang zurückliegenden Erkrankung wirklich um die konkrete Infektion gehandelt hat. Einzige Ausnahme sind die Varizellen, bei denen die Angaben einer Studie zufolge relativ zuverlässig zu sein scheinen.

Im Zweifelsfall sollte – auch bei möglicherweise durchgemachten Varizellen – immer geimpft werden, zumal eine Impfung auch bei in der Kindheit durchgemachter Erkrankung nicht zu vermehrten Komplikationen führt.

Diphtherie

Eine Diphterieinfektion hinterlässt leider keine bleibende Immunität. Auffrischimpfungen sollten deshalb alle zehn Jahre erfolgen.

Hepatitis A

Eine ausgeheilte Virushepatitis A führt zu einer lang anhaltenden Immunität. Auf anamnestische Angaben zu einer durchgemachten "Gelbsucht" sollte man sich allerdings nicht verlassen – oft können Laien sich nicht korrekt erinnern, ob es sich wirklich um eine Virushepatitis A oder um einen Ikterus anderer Genese gehandelt hat. Durch eine gute Lebensmittel- und Trinkwasserhygiene sind autochthon erworbene Hepatitis-A-Infektionen in Deutschland seit den 1960er-Jahren in Deutschland sehr selten geworden.

Falls ein Impfkandidat angibt, eine Hepatitis A gehabt zu haben, sollte dies durch eine Serologie (Bestimmung von Anti-HAV) bestätigt werden. Die STIKO hält die "Serologische Vortestung" durch Bestimmung von Anti-HAV-Antikörpern bei Personen für sinnvoll, die:
  • vor 1950 geboren wurden
  • längere Zeit in Endemiegebieten gelebt haben
  • in Familien aus Endemiegebieten aufgewachsen sind

Masern

Die Diagnose beruht hier auf den typischen klinischen Zeichen, insbesondere auf dem typischen Exanthem. Angaben von erwachsenen Impfkandidaten zu einer als Kind durchgemachten Maserninfektion sind nicht immer zuverlässig. Eine serologische Testung wird nicht standardmäßig empfohlen. Deshalb sollten alle nach 1970 geborenen Erwachsenen, bei denen nicht mindestens zwei dokumentierte Masernimpfungen vorliegen, einmalig mit einem MMR-Impfstoff geimpft werden.

Wie wichtig die Masernimpfung auch für Erwachsene ist, wird durch einen aktuellen tragischen Todesfall einer jungen Frau aus Essen dokumentiert: Im Mai dieses Jahres ist in Essen eine 37-jährige Mutter trotz intensivmedizinischer Behandlung an Masern verstorben. Die Essenerin hinterlässt drei Kinder. Sie war als Kind einmal gegen Masern geimpft worden, was der damaligen STIKO-Empfehlung entsprach. Ihr Tod hätte verhindert werden können, wenn bei ihr die nach der aktuellen Richtlinie empfohlene zweite Masernimpfung nachgeholt worden wäre.

MMR-Impfung
bei Erwachsenen ohne Impfschutz oder mit unklarem Impfstatus:
  • Grundsätzlich: Eine MMR-Impfung
Frauen im gebärfähigen Alter:
  • Zwei MMR-Impfungen

Mumps

Ähnlich wie bei den Masern gilt hier, dass nach 1970 Geborene mit unklarem Impfstatus, ohne Impfung oder mit nur einer Impfung geimpft werden sollen. Genau genommen gilt die Empfehlung zur Mumpsimpfung nur für Erwachsene, "die in Gesundheitsdienstberufen in der unmittelbaren Patientenversorgung, in Gemeinschaftseinrichtungen oder Ausbildungseinrichtungen für junge Erwachsene tätig sind". Da für die Impfung der MMR-Impfstoff verwendet wird, erhalten alle Erwachsenen, bei denen eine Masernimpfung indiziert ist (siehe oben), auch einen Schutz gegen Mumps – was meines Erachtens auch sinnvoll ist.

Röteln

Hier sollen laut STIKO "Frauen im gebärfähigen Alter" zweimal mit dem MMR-Impfstoff geimpft werden, wenn der Impfstatus unklar ist. Sofern sie als Kind eine Rötelnimpfung erhalten haben und hierüber eine Dokumentation vorliegt, reicht eine einmalige MMR-Impfung im Erwachsenenalter aus.

Varizellen

Windpocken sind die einzige Erkrankung, bei der die Angabe einer früher durchgemachten Erkrankung mit typischem klinischen Bild eine hohe Aussagekraft besitzt. Nach anamnestisch durchgemachten Windpocken ist die Varizellen-Impfung laut STIKO deshalb nicht erforderlich. Im gleichen Atemzug relativiert die STIKO allerdings diese Aussage: "In Zweifelsfällen sollte die Varizellen-Impfung jedoch durchgeführt werden, da insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen Komplikationen der Varizellen (z. B. Pneumonie, Enzephalitis, Risiko der Fetopathie bei Erkrankungen in der Schwangerschaft) zunehmen."



Autor:

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Dr. Andreas H. Leischker, M.A.

Facharzt für Innere Medizin – Reisemedizin (DTG), Flugmedizinischer Sachverständiger
Gelbfieberimpfstation Alexianer Krefeld GmbH
47918 Krefeld

Interessenkonflikte: Dr. Leischker hat Honorare/Reisekostenunterstützung von Pfizer, Novartis und Sanofi-Pasteur-MSD erhalten. Er ist Dozent und Mitglied der Akademie des Centrums für Reisemedizin (CRM) Düsseldorf

Weitere Artikel zur Serie: http://www.doctors.today/a/1804242


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (14) Seite 54-55