Fenster geputzt, von der Leiter gestürzt, innerlich verblutet durch eine Milzruptur: Todesfälle wie dieser scheinen eindeutig. Warum ist es trotzdem notwendig, die Todesart als "nicht-natürlich" anzugeben und die Polizei zu alarmieren? "Die Kausalkette zum Tod ist ganz individuell", erläuterte die Rechtsmedizinerin Dr. Ricarda Arnold (Universitätsklinikum Jena) beim Alterstraumatologie-Kongress 2016 in Marburg. Denn gerade bei geriatrischen Patienten sind letale Stürze oft durch Faktoren wie Demenz, Mangelernährung, neurologische oder kardiale Erkrankungen bedingt. "Dann stehen Ärzte vor schwierigen Einzelfallentscheidungen, die im Kollegenkreis immer wieder heiß diskutiert werden."

Dabei ist die Rechtslage eigentlich klar. Nach den Bestattungsgesetzen der Bundesländer muss auf dem Totenschein neben der Todesursache – dem unmittelbar zum Tode führende Ereignis – auch die Todesart angeben werden: "natürlich" im Falle des Versterbens aus innerer, krankhafter Ursache wie zum Beispiel Lungenentzündung, Krebs oder Herzinfarkt. Oder "nicht-natürlich" durch äußere Faktoren wie Unfall oder Fremdverschulden. "Im Falle eines Sturzes mit Kausalität zum Todeseintritt ist die Sachlage klar: Hier muss von Gesetzes wegen praktisch immer eine nicht-natürliche Todesart angegeben werden", so die Oberärztin am Institut für Rechtsmedizin.

Trotzdem scheuen sich manche Ärzte, "nicht-natürlich" im Totenschein anzukreuzen. "Denn dann muss die Polizei alarmiert werden", sagt Ricarda Arnold. "Gerade für Kliniken mit vielen geriatrischen Patienten bedeutet dies unter Umständen einen enormen Aufwand." Im Totenschein statt des Sturzes einfach einen anderen Aspekt des Ablebens anzugeben, sei keine Lösung: "Hat der Verstorbene eine Unfallversicherung abgeschlossen, könnte den Erben die Leistung entgehen." Und auch für den Arzt kann es Folgen haben, wenn etwa bei der zweiten Leichenschau vor der Kremation des Leichnams Auffälligkeiten entdeckt werden.

Zumal ein Fremdverschulden, das erst durch Ermittlungen der Polizei aufgedeckt werden kann, nie ganz auszuschließen ist. "Einer Studie zufolge werden jedes Jahr circa 2.000 Tötungsdelikte aufgrund ungenauer Leichenschauen übersehen", weiß Arnold. "Aus meiner fast 20-jährigen Berufserfahrung gehe ich davon aus, dass die Zahl noch deutlich höher liegt. Genaues Hinsehen und Handeln ist daher unerlässlich."


Quelle:
Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG)

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (9) Seite 65