Eine Disposition für schwere und unheilbare genetisch bedingte Erkrankungen mit unterschiedlicher Vererbungswahrscheinlichkeit bedeutet eine große Belastung für betroffene Elternpaare [1]. In dieser schwierigen Situation ist es bislang den Eltern überlassen, ob sie eine "Schwangerschaft auf Probe" mit einem möglicherweise schwer erkrankten Kind eingehen. Wird die betreffende Erkrankung ggf. durch eine Pränataldiagnostik (PND) in der Schwangerschaft festgestellt, kann sich das Paar für einen Schwangerschaftsabbruch aus medizinischer Indikation entscheiden.

Die lebenslange Versorgung eines schwerstbehinderten Kindes kann ein subjektiv und häufig auch objektiv nicht zu bewältigendes Problem für betroffene Paare darstellen, vor allem dann, wenn bereits ein schwerstkrankes Kind über die eigene Lebenserwartung hinaus betreut werden muss. Vor diesem Hintergrund bleibt den Elternpaaren oft nur die Option einer Adoption oder der schmerzliche Verzicht auf ein Kind.

Eine Alternative stellt die genetische Diagnostik am Embryo vor der Implantation dar, so dass vor dem Eintritt einer Schwangerschaft die betreffende genetisch bedingte Erkrankung der Eltern beim Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Die Präimplantationsdiagnostik (PID) ist ein Diagnoseverfahren, das Paaren mit der Anlage für schwere genetisch bedingte Erkrankungen bei Kinderwunsch die Geburt eines Kindes ermöglicht, das nicht von der genetisch bedingten Erkrankung betroffen ist. In solchen Situationen äußern 90 % der betroffenen Elternpaare den Wunsch nach einer Präimplantationsdiagnostik (PID) [2, 3].

Über den Wertungswiderspruch zwischen der bislang in Deutschland verbotenen Diagnostik an Embryonen, die mit dem „Verwerfen“ genetisch auffälliger Embryonen verbunden ist, sowie der „Schwangerschaft auf Probe“ mit ggf. einem Schwangerschaftsabbruch aus psychosozialer Indikation formulierte der amerikanische Humangenetiker Mark Hughes Folgendes:

„Wenn die Gesellschaft den Schwangerschaftsabbruch aus genetischen Gründen akzeptiert, so heißt das für mich als Genetiker, dass ich die Diagnose so schnell wie möglich stellen muss, das heißt, möglichst vor einer Schwangerschaft stellen muss und nicht eine Schwangerschaft auf Probe mit dem für die Eltern schweren Weg eines möglichen Schwangerschaftsabbruchs bei starkem Kinderwunsch gehen muss“ [4].

Rechtlicher Status quo

Während in den meisten europäischen Ländern die PID seit mehr als 20 Jahren praktiziert wird, war diese Methode – nach vorherrschender Rechtsauffassung – in Deutschland nach dem Embryonenschutzgesetz (ESchG) von 1990 nicht zulässig. Nach Abschluss eines umfangreichen Gesetzgebungsverfahrens ist die PID nun durch das am 21.11.2011 erlassene Gesetz zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik unter bestimmten Voraussetzungen straffrei durchführbar. Die Zulässigkeit der Durchführung der PID ist an das Vorliegen einer Rechtsverordnung, der Präimplantationsdiagnostikgesetzverordnung (PIDV), gebunden, welche zwar bereits am 25.02.2013 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden war, deren Umsetzung aber erst am 01.02.2014 vollzogen sein muss. Bis zu diesem Zeitpunkt wird es also voraussichtlich keine Zulassung für die Durchführung der PID geben.

Nach dem Präimplantationsdiagnostikgesetz (PräImpG) findet die PID Anwendung:

  1. bei genetischer Disposition für eine schwerwiegende Erbkrankheit der Frau oder des Mannes, von denen Ei- oder Samenzelle stammen, die mit einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos einhergeht, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen wird,
  2. nach medizinischer und genetischer Aufklärung sowie psychosozialer Beratung,
  3. nach Überprüfung der Voraussetzungen und Zustimmung durch eine interdisziplinäre Ethikkommission,
  4. durch einen qualifizierten Arzt an einem zugelassenen PID-Zentrum [5].

Die Ethikkommission wird aus Sachverständigen der Fachrichtungen Medizin, Ethik und Recht, einem Patientenvertreter sowie einem Mitglied einer Behinderten-Selbsthilfegruppe gebildet. Eine Entscheidung wird durch eine 2/3-Mehrheit herbeigeführt. Die Zahl der zugelassenen Zentren und Ethikkommissionen ist nicht begrenzt und liegt im Ermessen der zuständigen Behörden der Länder. Es wird keine Liste von PID-zulässigen Erkrankungen wie beispielsweise in Großbritannien geben, sondern jeder Fall muss gesondert von der Ethikkommission beurteilt werden.

Dass eine vorgeschriebene hochgradige Regulierung die Anzahl der PID-Untersuchungen begrenzen und somit die Befürchtung eines "Dammbruchs" entkräften kann, zeigt die Betrachtung der Situation im Ausland. Im Jahr 2008 betrug die PID-Rate in Belgien, einem Land mit niedriger Regulierungsdichte und hohem Medizintourismus aus Deutschland, 350 Fälle pro Jahr (33 pro 1 Mio. Einwohner), dagegen in Großbritannien mit hoher Regulierungsdichte 214 Fälle pro Jahr (3,6 pro 1 Mio. Einwohner) [6, 7].

PID an der Universität zu Lübeck

Noch vor Erlass des PID-Gesetzes wurde durch ein Urteil des BGH aus 2010 die Durchführung der Präimplantationsdiagnostik mittels Blastozystenbiopsie und anschließender Untersuchung der entnommenen pluripotenten Trophoblastzellen auf schwere genetisch bedingte Schäden hin als zulässig erkannt.

Seit Januar 2012, also kurz nach Erlass des PID-Gesetzes, wurden am zwischenzeitlich gegründeten PID-Zentrum in Lübeck alle eingehenden Anfragen systematisch erfasst. Rund zehn Anfragen zur PID pro Monat werden von Patienten aus dem gesamten Bundesgebiet gestellt. 20 % der Anfragen betreffen neuromuskuläre Erkrankungen (z. B. myotone Dystrophie, spinale Muskelatrophie, M. Duchenne) sowie Chromosomenstörungen (Translokationen). 10 % der Anfragen betreffen jeweils Stoffwechselstörungen bzw. genetisch bedingte Erkrankungen, die zu einer schweren Intelligenzminderung führen können (z. B. Fragiles X-Syndrom). Neurodegenerative Erkrankungen, wie Chorea Huntington, machen ebenfalls 10 % der eingegangenen Anfragen aus. In Deutschland wird eine Anzahl von 200 PID-Untersuchungen pro Jahr nach dem Inkrafttreten des PräImpG erwartet [3].

Durchführung der PID

Voraussetzung für die Durchführung einer PID ist zum einen eine IVF/ICSI- Behandlung mit hormoneller Stimulation, Eizellentnahme, extrakorporaler Befruchtung und Embryotransfer. Zum anderen muss die genetische Ursache der betreffenden Erkrankung bekannt sein. Bisher sind die genetischen Ursachen von circa 3 500 Krankheiten bekannt. Die Zellentnahme zur Diagnostik erfolgt am 3. Tag (Blastomerenuntersuchung) oder am 5./6. Tag (Trophoblastzellenuntersuchung) nach der Befruchtung. Aufgrund medizinischer Fortschritte sind Zellentnahmeverfahren ohne Erhöhung des Risikos einer Schädigung des Embryos und ohne zusätzliche Gefährdung der Einnistung möglich [8]. Nach Abschluss der molekulargenetischen Diagnostik werden die Embryonen, welche nicht von der genetischen Erkrankung betroffen sind, in den Uterus übertragen.

Nach den vorliegenden Daten stellt das diagnostische Verfahren im Rahmen einer PID mit einer Sicherheit von 99 % eine zuverlässige Methode dar [9]. Die PID-Behandlung ist gegenwärtig keine Krankenkassenleistung, so dass die anfallenden Kosten von den Elternpaaren selbst getragen werden müssen.

Fazit

Die PID schafft keine gesunden Kinder, sondern Kinder, die von einer bestimmten Erkrankung nicht betroffen sind, sofern die genetische Ursache dafür bekannt ist. Es soll keiner genetischen Wunschregulierung oder Geschlechtsbestimmung ohne genetischen Krankheitsbezug im Sinne eines "Designbabys" der Weg geebnet werden. Die PID ist gegenwärtig mit hohen Kosten und auch psychischen und physischen Belastungen für die betroffenen Paare verbunden, so dass eine adäquate, multidisziplinäre Beratung vor Durchführung der PID zwingend geboten ist.


Literatur
1. Ludwig M, Diedrich K (1996) Grundlagen und Anwendungsbereiche der Präimplantationsdiagnostik. Gynäkologe 29:495-506
2. Diedrich K, Ratzel R, Griesinger G et al (2010) Die Präimplantationsdiagnostik nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs. Frauenarzt 51:832-841
3. Diedrich K, Griesinger G, Al-Hasani S et al (2012) Präimplantationsdiagnostik, Indikationen und erste Erfahrungen. Gynäkologe 45:41-46
4. Büngen N, Griesinger G, Diedrich K (2011) Präimplantationsdiagnostik und Präimplantationsscreening, Update. Gynäkologe 4:100-107
5. Krüssel JS, Baston-Büst DM, Beyer I et al (2012) Der lange Weg zum Präimplantationsdiagnostikgesetz, wie es dazu kam und was es bedeutet. Gynäkologe 45:141-146
6. Devroey P. (Belgien): Öffentliche Anhörung des Deutschen Ethikrates, Berlin, 17.12.2010
7. Jackson E.,HFEA (UK): Öffentliche Anhörung es Deutschen Ethikrates, Berlin, 17.12.2010
8. Dokras A, Sargent IL, Ross C et al (1990) Trophectoderm biopsy in human blastozysts. Hum Reprod 5:821-825
9. Wilton L, Thornhill A, Traeger-Synodinos J et al (2009) The causes of missdiagnosis and adverse outcome in PGD. Hum Reprod 24:1221-1228


Autorin:

Kyra von Horn

PID Zentrum Lübeck
23538 Lübeck

Interessenkonflikte: keine deklariert


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; 35 (19) Seite 59-60