Bei akuten Infekten der oberen Atemwege verordnen Hausärzte nicht selten Antibiotika. Häufig stehen hier Amoxicillin, Azithromycin und Cefuroxim auf dem Rezept. Laut Leitlinien sind diese antibiotischen Substanzen bei Patienten mit Risikofaktoren durchaus angezeigt. Liegt keine klinische Indikation vor, kann die Abklärung der Erwartungen des Patienten dazu beitragen, unnötige Antibiotikaverordnungen zu vermeiden.

Die Antibiotikatherapie wird durch die Resistenzentwicklung zunehmend schwieriger und ist eine Herausforderung für die Gesundheitsversorgung. Sowohl der Aktionsplan zur Vermeidung von Antibiotikaresistenzen der Weltgesundheitsorganisation WHO als auch die Deutsche Antibiotika-Resistenz-Strategie der Bundesregierung betonen die Dringlichkeit dieser Thematik [1, 2]. Als eines der fünf relevantesten Handlungsfelder wurde die Arztpraxis identifiziert [3]. Auch der Allgemeinarzt kann Antibiotikaverordnungen bei akuten Infekten der oberen Atemwege [4], die zu den häufigsten Beratungsanlässen in der Hausarztpraxis gehören [5], reduzieren. Diese Infekte sind mehrheitlich (zu circa 80 %) viral und nicht bakteriell, eine antibiotische Therapie meist also nicht angezeigt.

Verordnungsdaten

Wie häufig verordnen Hausärzte Antibiotika bei akuten oberen Atemwegsinfekten und wenn ja, welche? Zur Analyse dieser Fragestellung haben wir die Abrechnungs- und Verordnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein herangezogen. Der Untersuchungszeitraum lag vom 1. Quartal 2013 bis zum 4. Quartal 2015. Alle Verordnungen bei erwachsenen Patienten (≥ 18 Jahre) wurden hinsichtlich der Diagnosen von akuter Sinusitis (J01), akuter Pharyngitis (J02) und akuter Bronchitis (J20) eingeschlossen (Ausschlusskriterien: vgl. Kasten).

Ergebnisse

470.868 gesicherte Diagnosen von 316.415 Patienten lagen vor. Die Probanden waren im Mittel 45,9 Jahre, 57,7 % von ihnen Frauen. Am häufigsten wurde die Diagnose akute Bronchitis (50,4 %) gestellt, gefolgt von akuter Pharyngitis (28,9 %) und akuter Sinusitis (20,7 %).

Ausschlusskriterien der Auswertung:
  • mehrmals gestellte Diagnose (sowohl innerhalb der Betriebsstätte als auch von einem anderen Arzt) oder mehrere Diagnosen aus den drei Gruppen: J01, J02, J20
  • vorliegende Diagnose aus Wochenbett/Schwangerschaft: ICD-10-Code O
  • weitere (bakterielle) Infektionen: A00 bis A37, A39 bis A79, J15, J17, J18
  • chronische Erkrankungen: I50, J44, J45, C00 bis C75

Die Analyse zeigt einen relevanten Anteil an Antibiotikaverordnungen bei akuten Infekten der oberen Atemwege (vgl. Tabelle 1). Hier weisen die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) darauf hin, dass bei akuten viralen Infekten der oberen Atemwege bei Patienten, die nicht zu einer Risikogruppe zählen, eine Antibiotikaverordnung nicht angezeigt ist.

Verordnungsverhalten

Amoxicillin, Azithromycin und Cefuroxim sind in unserer Analyse die am häufigsten verordneten antibiotischen Substanzen. Die Gabe von Antibiotika bei akuter Bronchitis ist bei alten Patienten sowie bei Personen mit einer schweren kardialen oder respiratorischen Krankheit oder einem angeborenen oder erworbenen Immundefekt zu erwägen [6]. Bei einer Pharyngitis gelten als Indikationen: die bzw. der V. a. GAS-Pharyngitis, Scharlach oder Peritonsillarabszess. Auch eine hohe Inzidenz von GAS-Infektionen, der Eindruck einer schweren Erkrankung oder der klinischen Verschlechterung zählen dazu. Hinzu kommen konsumierende Erkrankungen, Immunsuppression und akutes rheumatisches Fieber in der Eigen- oder Familienanamnese [7]. Bei einer akuten Sinusitis sollte der Arzt eine Antibiotikagabe auch bei Patienten mit besonderen Risikofaktoren erwägen, zudem bei Komplikationen wie starken Kopfschmerzen, Gesichtsschwellungen, Lethargie und akuter Exazerbation einer rezidivierenden Sinusitis. Gleiches gilt bei starken bzw. sehr starken Schmerzen plus erhöhten Entzündungswerten und/oder verstärkten Beschwerden im Laufe der Erkrankung und/oder bei Fieber > 38,5 °C [8]. Interessanterweise machen die Antibiotika, die laut Leitlinie erste Wahl sind, nur einen geringen Anteil der Verordnungen aus. Favorisiert werden hingegen Antibiotika, die selbst bei Patienten, die zu einer Risikogruppe gehören, nicht für eine kalkulierte antibiotische Therapie empfohlen werden.

Die verwendeten Routinedaten geben einen Einblick in die Anzahl der Verordnungen, die individuellen Beweggründe dafür bleiben aber unklar. In Vorarbeiten konnte gezeigt werden, dass gerade das Aufeinandertreffen von intrinsischen und extrinsischen Faktoren in der Arztpraxis, wie wahrgenommener Zeitmangel, unterstellte Erwartungen der Patienten oder ein gewisses Maß an Unsicherheit, zu unnötigen Verordnungen führt [9, 10].

Kommunikative Kompetenz

Liegt klinisch keine Indikation zur antibiotischen Therapie vor, kann die direkte Frage an den Patienten, ob er ein solches Rezept wünscht, rasch Klarheit über seine Erwartungen bringen. Eine auf Partizipation ausgerichtete Entscheidungsfindung zwischen Arzt und Patient fördert die Reduktion von Antibiotikaverordnungen [11]. Aufgrund dieses Zusammenhangs sollte man vermehrt in das Trainieren kommunikativer Kompetenz investieren. In den Niederlanden hat sich hier das MAAS-Global-Instrument bewährt, das die kommunikativen und medizinischen Fähigkeiten von Ärzten in Weiterbildung betrachtet [12]. Dieses Instrument wurde für den deutschsprachigen Raum übersetzt und angepasst [13]. Es lässt sich im Rahmen der Weiterbildung in den Kompetenzzentren "Weiterbildung Allgemeinmedizin" anwenden [14]. Damit wird auch die Forderung der Ärzte an die Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin umgesetzt, die sich vor allem mehr Unterstützung bei der Erlangung von Konsultationskompetenzen wünschen [15].

Fazit für die Praxis
Bei Infekten der oberen Atemwege, für die primär keine Antibiotika indiziert sind, wird in 46 – 51 % der Fälle ein Antibiotikum verordnet. Rund 30 % der Patienten, die ein Antibiotika einnahmen, erhielten Präparate, die von den DEGAM-Leitlinien empfohlen werden.

Neben dem Wissen um die Inhalte dieser Leitlinien kann eine Kommunikationsschulung zur Reduktion nichtindizierter Antibiotika führen. Für Ärzte in Weiterbildung gibt es mit dem MAAS-Global-D ein gutes Instrument, mit dem sich Kommunikationsschulungen durchführen lassen.



Autorin:

PD Dr. Katja Götz

Institut für Allgemeinmedizin,
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein,
Campus Lübeck,
23538 Lübeck

Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (11) Seite 34-35