Die medizinische Kompressionstherapie mit Verbänden und Strumpfsystemen ist Basismaßnahme der phlebologischen und lymphologischen Therapie. Es besteht gute Evidenz für deren Anwendung bei fortgeschrittenen Venenerkrankungen, in der Therapie der Thrombose, des postthrombotischen Syndroms sowie des Lymphödems. Unzureichend ist die Datenlage bezüglich unkomplizierter Venenleiden, bei Thrombophlebitis und bei Lipödem, wenngleich sie auch hier von den Leitlinien empfohlen wird. Im folgenden Beitrag sollen mögliche Nebenwirkungen, Complianceprobleme und Schwierigkeiten in der Handhabung behandelt werden.
Die Kompressionstherapie kann mit unterschiedlichsten Maßnahmen durchgeführt werden. Hierzu gehören weitreichend bekannte Kurzzug- und Langzugbinden, Kompressionsstrümpfe, die oft noch weniger bekannten Mehrkomponentenverbände und Ulkuskompressionsstrümpfe (Tabelle 1 und 2) sowie die apparative intermittierende Kompressionstherapie [22, 23]. Auf letztgenannte geht dieser Artikel nicht weiter ein.
Indikationen zur Kompressionstherapie
Entsprechend der aktuellen Datenlage besteht Evidenz für den Einsatz der Kompressionstherapie bei folgenden Diagnosen und Beschwerden [28]:
- Zur symptomatischen Therapie der fortgeschrittenen Varikose
- Zur symptomatischen Therapie der Varikose in der Schwangerschaft
- Zur Therapie und Rezidivprophylaxe beim Ulcus cruris venosum
- Nach Sklerosierungstherapie der Varikose
- Nach endoluminaler Therapie der Varikose
- Nach operativer Therapie der Varikose
- Zur Prävention und Therapie der tiefen Beinvenenthrombose
- Zur Prävention und Therapie des postthrombotischen Syndroms
- Zur Therapie des Lymphödems
Darüber hinaus kann sie als unterstützende Maßnahme sinnvoll sein bei Unterschenkelödemen verschiedener Ursachen wie z. B. habituelle Ödeme, Dependency-Syndrom bei Adipositas permagna, Lipödemen und Herz-, Leber- und Niereninsuffizienzen (CAVE: Kontraindikationen).
Kontraindikationen
Als absolute Kontraindikationen der Kompressionstherapie gelten [42]:
- fortgeschrittene periphere arterielle Verschlusskrankheit
- dekompensierte Herzinsuffizienz
- septische Phlebitis
- Phlegmasia coerulea dolens
Darüber hinaus bestehen relative Kontraindikationen bei:
- ausgeprägten nässenden Dermatosen
- Unverträglichkeit auf Kompressions(strumpf)material
- schweren Sensibilitätsstörungen der Extremität
- fortgeschrittenen peripheren Neuropathien (z. B. Diabetes mellitus)
- primär chronischer Polyarthritis
Entsprechend aktuellen Empfehlungen sollte auch bei hospitalisierten, nicht-chirurgischen Patienten auf eine mechanische Thromboseprophylaxe mit Kompressionsstrümpfen verzichtet werden [31]. Ebenso kann entsprechend der aktuellen Datenlage keine Empfehlung für eine Therapie mit medizinischen Kompressionsstrümpfen bei neurologischen Patienten nach einem Schlaganfall ausgesprochen werden [7].
Wirksamkeit der Kompressionstherapie
Die Wirkung der Kompressionstherapie beruht darauf, dass der venöse Querschnitt sowohl in Ruhe als auch unter Muskelkontraktion effektiv vermindert und so der Rückstrom gesteigert wird. Außerdem kann die Funktionsfähigkeit von relativ insuffizienten Venenklappen bei dilatierten Venen wiederhergestellt werden [27, 42]. Das venöse Ödem wird reduziert, pathologische Makro- und Mikrozirkulationsveränderungen sowie die venöse Wiederauffüllzeit werden verbessert [9, 15, 25, 30, 39, 45].
Klinisch kommt es zu einer Schmerzlinderung und Volumenreduktion [17, 40]. Infolge des erhöhten Gewebedrucks wird die Rückresorption von Gewebeflüssigkeit im venösen Schenkel der Mikrozirkulation erhöht. Die Blutströmung in den erweiterten Kapillarschlingen wird durch die Kompression beschleunigt, die kapillare Filtration eingeschränkt und die Reabsorption gesteigert [1, 17]. Außerdem wird über sogenannte Tight Junction-Moleküle die parazelluläre Barriere verändert und dadurch die Ödembildung vermindert [12, 13, 16]. Aktuelle Arbeiten konnten zeigen, dass es zu einer Steigerung des zellulären Blutflusses, zu einer Reduktion der minimalen Epidermisdicke sowie zu einer Abnahme der Entzündungsaktivität kommt [3]. Außerdem ließ sich in der Haut eine Verbesserung der Flussgeschwindigkeit und der Gefäßmuskelaktivität feststellen [11]. In der Folge verlangsamt sich die Progression der CVI und die venösen Ulzerationen heilen schneller ab.
Zu unterscheiden sind bei Kompressionstherapie die Begriffe Anpressdruck, Ruhedruck und Arbeitsdruck [24]:
- Anpressdruck: dynamische Druckgröße in Abhängigkeit von Vorspannung, Materialeigenschaften und funktionellem Zustand (Kraft/Fläche)
- Ruhedruck: permanenter Druck bei körperlicher Inaktivität, der von außen kommt (Ruheanpressdruck)
- Arbeitsdruck: temporärer Druck, der von innen kommt und vom Muskel erzeugt wird, wenn er sich gegen den Widerstand der Bandage anspannt
Klassifikationsmerkmale der Kompression
Wesentliches und bekanntestes Klassifikationsmerkmal der Kompressionstherapie ist der Anpressdruck in der Knöchelregion. Entsprechend werden Kompressionsstrümpfe in Deutschland in vier Klassen eingeteilt (Tabelle 3). Eine international einheitliche Klassifikation der Kompressionsstrümpfe gibt es bisher nicht.
Auch für Kompressionsverbände gibt es theoretisch Zielanpressdrucke in der Knöchelregion und wünschenswerte Druckgradienten entlang dem Beinverlauf. Letztlich ergeben sich die realen Anpressdrucke jedoch immer wieder neu durch Art und Qualität des Anlegens. Zum Training der Anlegenden werden Druckkontrollen mit Hilfe spezieller Messinstrumente (z. B. Kikuhime, Picopress) empfohlen [29, 43]. Letztlich ergeben sich bei unerfahrenen wie erfahrenen Anlegern von Kompressionsverbänden oft zu hohe oder zu niedrige Anpressdrucke mit reduzierter klinischer Wirksamkeit oder Nebenwirkungen durch Einschnürungen, Schmerzen, Nervenschädigungen und Drucknekrosen.
Neben dem Kompressionsanpressdruck unterscheiden sich Kompressionsstrumpfmaterialien in der Art der Fertigung (Flach- oder Rundstrick), der Art der Anpassung (Maßkonfektion oder Maßanfertigung) sowie der Festigkeit des Materials (Stiffness, Slope-Wert) und der Strumpflänge (Strumpfhose, Oberschenkelstrumpf, Kniestrumpf, geteilte Versorgungen etc.). Für die korrekte Anwendung der Kompression als suffiziente Therapiemodalität ist die Kenntnis dieser Unterschiede essentiell und sollte bei der Auswahl des geeigneten Materials für den jeweiligen Patienten beachtet werden.
Eine feste Zuteilung der verschiedenen Kompressionsklassen oder -materialien zu einem bestimmten Beschwerdebild gibt es bisher nicht, wohl aber entsprechende Empfehlungen [24, 43]. Der am häufigsten verordnete Kompressionsstrumpf in Deutschland ist ein rundgestrickter Kompressionsstrumpf der Klasse II.
Kompression bei Venenleiden
Es besteht gute Evidenz für die Wirksamkeit der Kompressionstherapie mit unterschiedlichsten Hilfsmitteln bei chronischen und akuten Venenleiden. Beim Ulcus cruris venosum haben sich spezielle Ulkus-Kompressionsstrümpfe als vorteilhaft für die Wundheilung gegenüber konventionellen Kurzzugbindenverbänden erwiesen [4]. Sie führen zu einer rascheren Abheilung und halten höhere Druckwerte über einen längeren Zeitraum. Die Handhabbarkeit der gängigen Systeme unterscheidet sich graduell [44]. Dabei scheinen Systeme mit zwei Strümpfen übereinander eine bessere Ödemreduktion als solche mit nur einem Strumpf erreichen zu können [45].
Jedoch scheinen höhere Druckwerte > 35 mmHg, welche mit Strumpfsystemen (allein) oft nicht erreichbar sind, für eine raschere Abheilung von Ulzerationen zu sorgen [19]. Hier kann der kombinierte Einsatz von Kompressionsverbänden vorteilhaft sein. Zur Abschätzung des idealen Anpressdrucks im Knöchelbereich in mmHg kann die Formel
angewendet werden [19].
Mehrkomponentenverbände
Der Einsatz von Mehrkomponentenverbänden aus Kurzzugbinden ist insbesondere in der initialen Entstauungsphase (in der Regel zwei bis drei Wochen) sinnvoll und hilfreich. Dabei sollte man kohäsive Binden verwenden, die ein rasches Lockern und Verrutschen verhindern.
Zu beachten ist hier jedoch, dass der Anpressdruck der einzelnen Lagen nicht einfach addiert werden kann. Durch die konsekutive Umfangsänderung mit jeder weiteren Lage ändert sich entsprechend dem Laplace-Gesetz auch der Anpressdruck [2]. Problematisch ist leider der mit den Verbandssystemen oft voluminöse Beinumfang, der das Tragen normaler Schuhe im Alltag erschwert und zulasten der Beweglichkeit des Patienten geht [37]. Somit ist die Beliebtheit dieser Systeme v. a. bei ambulanten Patienten individuell sehr verschieden. Mit Erreichen einer stabilen Beinumfangsform sollte schnellstmöglich auf einen Kompressionsstrumpf gewechselt werden. Werden Mehrlagensysteme in der Entstauungsphase nicht toleriert, ist die Anwendung klassischer Kurzzugbinden natürlich weiterhin möglich.
Kompressionsstrümpfe
Medizinische Kompressionsstrümpfe sind die in der Praxis am häufigsten angewendete Form der Kompressionstherapie bei der chronischen venösen Insuffizienz. Sie werden dabei allein oder in Kombination mit anderen interventionellen oder operativen Verfahren genutzt. Die Erfordernisse der medizinischen Kompressionsstrümpfe werden entsprechend in standardisierten Labortests kontrolliert, nicht aber am menschlichen Bein. Zwar gab es einige Studien, bei denen Strumpfeigenschaften auch am menschlichen Bein untersucht wurden, doch wurden die Kompressionsstrümpfe dafür unter Idealbedingungen im Rahmen der Studie mit besonderer Sorgfalt angepasst. In der Praxis scheint dieser optimale Sitz nicht immer gegeben und wird der tatsächliche Anpressdruck selten kontrolliert [33]. Letztlich sollte neben der Kompressionsklasse aber auch die Materialstiffness berücksichtigt werden [14]. Denn bei entsprechend hoher Stiffness können auch niedrige Anpressdrucke klinisch wirksam sein [21]. Dies könnte besonders für Patienten mit einem Ulcus cruris mixtum relevant sein (z. B. Flachstrickkompression Klasse I).
Kompression bei Lymphödemen
Die Datenlage zur Kompression bei lymphologischen Erkrankungen ist bisher deutlich schlechter. Die Empfehlungen basieren wesentlich auf Expertenmeinungen. Zwar gibt es wenige randomisierte, kontrollierte Studien, die die Wirksamkeit der Kompression beim Lymphödem generell belegen, doch gibt es keine Studien zum Vergleich der verschiedenen Kompressionsmaßnahmen untereinander (Bandagen vs. Strümpfe, Rundstrick vs. Flachstrick) [18]. In den aktuellen Leitlinien zum Lymphödem werden initial Bandagen (Entstauungsphase), später flachgestrickte und maßgefertigte Kompressionsstrümpfe empfohlen (Erhaltungsphase) [5].
Kompressionstherapie und interventionelle oder operative Maßnahmen
Umstritten ist auch die Effizienz von Kompressionsstrümpfen in Kombination mit der Sklerosierungstherapie. In einer aktuellen Vergleichsstudie mit einer Schaumsklerosierungstherapie der V. saphena magna oder parva konnte kein Vorteil für die additive Kompressionstherapie mit niedrigem Anpressdruck über drei Wochen gesehen werden [10]. Die aktuelle Leitlinie des American Venous Forum empfiehlt die Kompression als additive Maßnahme zur venösen Ablation [8]. Wann immer möglich, sollte die Kompressionstherapie jedoch nicht allein durchgeführt werden, sondern von varizenausschaltenden Maßnahmen begleitet sein [8].
Fraglich ist auch der notwendige Kompressionsdruck nach einer Varizenoperation. Über eine sechswöchige postoperative Phase scheinen rundgestrickte MKS der Klasse I und Klasse II keinen wesentlichen Unterschied bezüglich Tragekomfort und Effektivität zu zeigen [41].
Schlecht ist die Datenlage besonders bezüglich der Varikose ohne Ulcus cruris. Bisher gibt es hier nur wenige randomisierte, kontrollierte Studien mit kleinen Kollektiven und uneinheitlichen Rahmenbedingungen und Zielparametern.
Nebenwirkungen der Kompressionstherapie
Als typische Nebenwirkungen gelten Hauttrockenheit, Juckreiz, Schuppungen und Temperaturmissempfindungen [35]. Hier scheint die Anleitung zum Umgang mit zu erwartenden Nebenwirkungen an der Haut ein sinnvoller Ansatz zur Optimierung. Zum einen gibt es neue Kompressionsmaterialien, die selbst weniger hautaustrocknende Eigenschaften haben. Zum anderen sollten die Patienten von Anfang an über die notwendige und korrekte Hautpflege unter der Kompressionstherapie aufgeklärt werden. Dies ist besonders für Patienten mit längerfristiger Indikation relevant. Als schwere Nebenwirkungen sind insbesondere bei unsachgemäßer Anwendung Hautnekrosen und Druckschäden peripherer Nerven möglich [42].
Compliance und Handhabung bezüglich der Kompression
Zunehmend rückt die oft suboptimale Compliance der Patienten bezüglich einer konsequenten Durchführung der Kompressionstherapie in den Fokus [26, 35, 36]. Dabei scheinen wesentliche Einflussfaktoren für die Compliance der Leidensdruck bezüglich der Indikation, aber auch die absehbare notwendige Dauer der Kompressionstherapie des Patienten zu sein.
Für einige Patientengruppen, v. a. ältere Personen, ist allein schon das Anziehen der Kompressionsstrümpfe nicht allein möglich [6, 34]. Hier können individuelle Versorgungen sinnvoll sein unter Berücksichtigung der Begleiterkrankungen und Fertigkeiten des Patienten (Strumpfhose oder Kniestrümpfe? Klasse I oder Klasse II?). Auch das Angebot von Hilfsmitteln zur Erleichterung des An- und Ausziehens der Kompression sollte nicht unberücksichtigt bleiben (Gleitsocke, Gestelle etc.).
Die Compliance von Mehrkomponentenverbänden wird vor allem durch die unter der Therapie reduzierte Beweglichkeit im Sprunggelenk sowie die deutlichen Schwierigkeiten beim Tragen normalen Schuhwerks beeinflusst [37].
Offene Fragen
Weiterhin Gegenstand der Diskussion sind Fragen zum idealen Anpressdruck bei der CVI in unterschiedlichen Stadien [21], der optimalen Länge der Kompressionstherapie (Oberschenkel, Unterschenkel?), möglichen Änderungen des Druckgradienten im Beinverlauf [20], zum idealen Material (Flachstrick oder Rundstrick, ideale Stiffness) bei verschiedenen Indikationen sowie zur idealen Tragedauer der Therapie nach Interventionen. Insbesondere mangelt es hier an aktuellen, gut konzipierten und randomisiert kontrollierten Studien [32], v. a. bezüglich der Monotherapie der CVI in den Stadien C2 C4 [38].
Fazit für die Praxis
Die Kompressionstherapie bleibt weiterhin unbestrittene Basismaßnahme der phlebologischen und lymphologischen Therapie, scheint aber differenzierter eingesetzt werden zu müssen, als es bisher häufig geschieht. Eine gute Kenntnis des ärztlichen Verordners, des anpassenden Sanitätshauses und des Pflegepersonals bezüglich der verschiedenen Kompressionsoptionen, Kompressionsmaterialien und ihrer korrekten Handhabung ist dabei essentiell. Außerdem scheinen derzeit einige Dogmen der Kompressionstherapie, die aufgrund von Expertenmeinung über Jahre Bestand hatten, durch aktuelle Studiendaten ins Wanken zu geraten. Zur weiteren Sicherung der Evidenzlage der Kompressionstherapie sind randomisierte Studien dringend notwendig.
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2012; 34 (8) Seite 18-22