Hormonelle Kontrazeptiva können das Thromboserisiko erhöhen. Allerdings gibt es Unterschiede, was die einzelnen Präparate sowie individuelle Risikofaktoren angeht. Was sollte man konkret bei der Verordnung und der Diagnostik beachten?
Anhand des oben geschilderten Falles ergeben sich einige Fragen:
1. Wie hoch ist das Risiko, dass Patientinnen im reproduktiven Alter eine Thrombose entwickeln?
Das Risiko, eine Thrombose zu entwickeln, ist abhängig vom Alter. Bei weiblichen Jugendlichen nimmt man ein Risiko von ca. 1:100.000/Jahr an, während ab dem 60. Lebensjahr ein Risiko von bis 1:100/Jahr besteht [7]. Frauen im reproduktiven Alter haben ein Basisrisiko von 4 – 5/10.000 Frauenjahre. Dabei steigt in der Schwangerschaft das Risiko deutlich an (29/10.000 Frauenjahre) [8]. Das höchste Risiko besteht im Wochenbett (300 – 400/10.000 Frauenjahre) [12]. Allein altersbedingt hat somit unsere Patientin ein Thromboserisiko von 4 – 5/10.000 Frauenjahre.
2. Was kann die Thrombosewahrscheinlichkeit der Patientin erhöhen?
Prädisponierende, unabhängige Risikofaktoren für die Entstehung einer Thrombose sind größere operative Eingriffe (OR 18,95), aktive Krebserkrankungen mit/ohne Chemotherapie (OR 14,64), neurologische Erkrankungenmit Beinlähmung (OR 6,1), Hospitalisierung (OR 5,07) sowie Trauma/Fraktur (OR 4,56) [7]. Auch Adipositas und Nikotinkonsum führen zu einer Risikoerhöhung [15]. Zu den angeborenen Risikofaktoren gehört der Nachweis von Thrombophilien (z. B. APC-Resistenz/Faktor-V-Leiden-Mutation, Prothrombin-Mutation, Protein-C/S-Mangel, Antithrombin-Mangel) [7]. In unserem Fall ist die Adipositas ein prädisponierender Risikofaktor einer Thrombose.
3. Wie stark ist der Beitrag der hormonellen Kontrazeptiva?
Bereits kurz nach Einführung des ersten kombinierten oralen Kontrazeptivums wurden erste Fallberichte publiziert, die eine Assoziation von venösen Thromboembolien und der Einnahme der hormonellen Kontrazeption vermuten ließen. Zunächst wurde die Östrogenkomponente (Ethinylestradiol) als entscheidender Risikofaktor identifiziert, unter der es zu einer Aktivierung von Gerinnungsfaktoren (Faktor I, II, VII, VIII, X) und zu einer Inhibierung von gerinnungshemmenden Faktoren (Plasminogenaktivator, Protein C) kommt [6]. Aus diesem Grund stand daher auch eine Reduktion der Ethinylestradioldosis im Vordergrund der Bemühungen.
Bereits Untersuchungen aus den 90er-Jahren konnten bestätigen, dass eine Dosisreduktion der kombinierten oralen Kontrazeptiva auf < 50 µg Ethinylestradiol zu einer Senkung des Thromboserisikos führt [5]. Dies wurde ebenfalls in der aktuellen Cochrane-Analyse bestätigt [1]. Ob auch die in den kombinierten hormonellen Kontrazeptiva enthaltenen Gestagenkomponenten zu einer zusätzlichen Steigerung des Thromboserisikos führen, ist Gegenstand der Diskussion der letzten Jahre. Mehrere Beobachtungs- und Registerstudien konnten eine Risikosteigerung durch neutrale Gestagene (Gestoden, Desoges-trel) und auch Drospirenon-haltige Präparate nachweisen [9, 14, 10, 13, 1]. Prospektive Kohortenstudien zur Analyse des Thrombose-/Embolierisikos unter Drospirenon-haltigen Präparaten im Vergleich zu anderen hormonellen Kontrazeptiva wiesen jedoch vergleichbare Risiken der unterschiedlichen Präparate nach [2, 3].
Höchstes Risiko nach Einnahmebeginn
Wichtig zu wissen ist, dass eine Einnahme hormoneller Kontrazeptiva etwa mit einer Verdoppelung des VTE-Risikos assoziiert ist (9– 10/10.000 Frauenjahre) [4]. Das höchste Risiko besteht in den ersten Monaten nach Beginn der Einnahme oder auch bei Präparatewechsel mit einer mehr als vierwöchigen Einnahmepause [3]. Untersuchungen, ob auch die Applikationsform einen Einfluss auf die Thrombosewahrscheinlichkeit haben könnte, ergaben, dass das Risiko auch bei transdermaler und vaginaler Applikationsform erhöht ist [11]. In unserem Fall hat die Patientin somit ein Risiko für eine Thrombose von 9 – 10/10.000 Frauenjahre, welches durch ihre Adipositas noch gesteigert wird (ca. 2- bis 3-fach) [15].
4. Welche Optionen zur Verhütung bleiben bei stattgehabter Thrombose/Embolie in der Vorgeschichte?
Bei akuter/stattgehabter Thrombose/Embolie in der Vorgeschichte sieht die World Health Organization (WHO) in ihren Medical eligibility criteria for contraceptive use, 5th edition, den Einsatz von kombinierten hormonellen Kon-trazeptiva (CHC) als kontraindiziert an (Kategorie 4, vgl. Tabelle 1 und 2 (http://www.who.int/reproductivehealth/publications/family_planning/mec-wheel-5th/en/), ebenso bei nachgewiesener Thrombophilie (Kategorie 4). Vor Verordnung von CHC sollte eine ausführliche Eigen- und Familienanamnese durchgeführt werden, um ein mögliches Risikokollektiv zu identifizieren.
Niedrigstes Risiko: IUP
Methode der Wahl bei Thrombose/Embolie in der Eigenanamnese oder Nachweis einer Thrombophilie wären Intrauterinpessare (Kategorie 1); auch der Einsatz reiner Gestagenpräparate ist grundsätzlich möglich (Kategorie 2).
In unserem Fall könnten der Patientin vom Gynäkologen somit reine Gestagenpräparate oder Intrauterinsysteme/-pessare verordnet werden. Wichtig ist daher eine Benachrichtigung des Gynäkologen über die stattgehabte Thrombose, so dass eine Umstellung der Kontrazeption erfolgen kann.
5. Hätte vor Verordnung des hormonellen Kontrazeptivums ein Thrombophiliescreening erfolgen müssen?
Aufgrund der relativen Seltenheit der thrombogenen Mutationen empfiehlt die WHO (Medical eligibility criteria for contraceptive use, 2015) kein routinemäßiges Screening vor Verordnung eines hormonellen Kontrazeptivums. Ein Screening sollte nur bei positiver Anamnese (Patientinnen mit spontanem thrombo-embolischen Ereignis vor dem 50. Lebensjahr oder durch Auslöser, rezidivierende Thrombosen in der Vorgeschichte, familiäre Thromboseneigung, Z. n. Totgeburt, habituelle Abortneigung) durchgeführt werden.
In unserem Fall wäre daher kein Thrombophiliescreening vor Erstverordnung der hormonellen Kontrazeption notwendig gewesen.
Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (14) Seite 22-24