Patienten mit erhöhtem LDL-Cholesterinspiegel gehören zum Praxisalltag jedes Hausarztes. Meist liegen hier sekundäre Hyperlipoproteinämien vor, die auf Über- oder Fehlernährung zurückgehen. Wesentlich seltener, für den Betroffenen aber viel gefährlicher, sind die primären, genetisch bedingten Hypercholesterinämien aufgrund einer erblichen Störung des Cholesterinstoffwechsels. Wann sollte man daran denken und eine genetische Diagnostik veranlassen?
In Deutschland zählen Störungen des Lipoproteinstoffwechsels (E78 nach ICD10) zu den Krankheiten, die in Arztpraxen am häufigsten diagnostiziert werden. Bei einem Viertel aller Deutschen wurde im Jahre 2015 diese Störung festgestellt [1]. Meist handelt es sich um sekundäre Hyperlipoproteinämien. Gefährlicher sind die primären, genetisch bedingten Hypercholesterinämien, sie stellen die häufigste vererbbare Erkrankung dar [2].
Die Familiäre Hypercholesterinämie (FH) ist eine autosomal-dominant vererbte Fettstoffwechselstörung mit isolierter deutlicher Erhöhung des Low Density Lipoprotein (LDL)-Cholesterins, die in ca. 85 – 90 % durch eine Mutation im LDL-Rezeptor-Gen verursacht wird. Man unterscheidet dabei zwischen einer leichteren, heterozygoten Form (heFH), bei der die Mutation nur von einem Elternteil geerbt wurde, und einer gravierenden homozygoten Form (hoFH), bei der die genetische Veränderung von beiden Elternteilen übertragen wurde und beide homologen Chromosomen betrifft. Konservativen Schätzungen zufolge liegt die Prävalenz der heFH in Deutschland bei 1:500, aufgrund einer hohen Anzahl nicht diagnostizierter Fälle vermutlich noch wesentlich höher (1:200 – 1:300) [3]. Die FH verdeutlicht die Schlüsselrolle der LDL-Erhöhung bei der Entstehung der Atherosklerose. Typischerweise erleiden unbehandelte Patienten mit heFH (LDL-Werte zwischen 190 und 450 mg/dl) vor dem 55. – 60. Lebensjahr vaskuläre Komplikationen. Das Risiko für das Auftreten einer koronaren Herzerkrankung (KHK) bei unbehandelten heFH-Patienten ist um das etwa 13-Fache erhöht [4, 5].
Bei der wesentlich schwerer verlaufenden hoFH (LDL-Werte > 400 – 1.000 mg/dl) sind bereits bei Kindern und jungen Erwachsenen tödliche Herzinfarkte möglich. Tabelle 1 fasst Symptome und typisches Erkrankungsmuster bei heterozygoter und homozygoter FH zusammen. Eine frühzeitige Senkung des LDL-Cholesterins kann die Progression der Erkrankung verlangsamen und das Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen deutlich verringern (Abb. 1).
Wie kann man nun zwischen primären und sekundären Hypercholesterinämien unterscheiden, um Betroffene rechtzeitig zu identifizieren? Hierfür hat sich im klinischen Alltag zunächst die Anwendung der Dutch Lipid Clinic Network (DLCN)-Kriterien bewährt (vgl. Tabelle 2). Nach Ausschluss der häufigsten Ursachen für sekundäre Hypercholesterinämien (Adipositas, Fehlernährung, Diabetes mellitus, Alkoholismus, nephrotisches Syndrom, Lebererkrankungen, Cholestase, Pankreatitis, Hypothyreose) lässt sich oft schon die Diagnose einer FH anhand dieser klinischen Kriterien stellen. Dazu gehören die Familien- und Eigenanamnese hinsichtlich vorzeitiger kardiovaskulärer Ereignisse, die körperliche Untersuchung auf Xanthome und den Arcus corneae sowie die Bestimmung des LDL-Cholesterins. Ab einem LDL-Cholesterin von > 190 mg/dl sollte bei Erwachsenen an eine FH gedacht werden. Allerdings scheinen auch Personen mit LDL-Werten zwischen 140 und 150 mg/dl ein erhöhtes Risiko zu haben [6].
Genetische Diagnostik: wann und wie?
Eine weiterführende genetische Diagnostik wird bei einem DLCN-Punktestand von > 5 empfohlen. Sie macht vor allem immer dann Sinn, wenn es zusätzlich jüngere Familienangehörige gibt, die von einer frühzeitigen Diagnose profitieren.
Diese Untersuchung kann im Rahmen eines diagnostischen genetischen Tests auch vom Hausarzt als "verantwortliche ärztliche Person" beauftragt werden. Nach dem Gendiagnostikgesetz muss er allerdings bestimmte Regelungen beachten: Er ist z. B. verpflichtet, den Patienten vor der Untersuchung aufzuklären und ihm den Befund persönlich zu erläutern.
Vertragsärzte, die humangenetische Laborleistungen beauftragen, nutzen das Muster 10 – Überweisungsschein für Laboratoriumsuntersuchungen als Auftragsleistung. Bei gesetzlich versicherten Patienten wird der Hausarzt in der Regel gebeten, dem Patienten den Laborschein ausgefüllt mitzugeben. Seit der Neustrukturierung des Bereichs Humangenetik im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) zum 1. Juli 2016 entfällt hierauf die Angabe der Ausnahmekennziffer 32010. Die gestrichene Kennnummer ist für die Steuerung nicht erforderlich, da sie nur Leistungen des EBM-Kapitels 11 umfasst, die ohnehin nicht dem Laborbudget zugerechnet werden. Auch der Wirtschaftlichkeitsbonus für diese Behandlungsfälle wird somit weiter vergütet [7]. Bei privatversicherten Patienten ist in der Regel zunächst die Kostenübernahme durch die private Krankenversicherung zu klären.
Die Kosten für die molekulargenetischen Untersuchungen fallen nur beim Indexpatienten in voller Höhe an, da hier einmalig alle bekannten FH-Gene analysiert werden müssen. Bei sorgfältiger klinischer Vorauswahl anhand der DLCN-Kriterien lassen sich in ca. 60 – 90 % der Fälle kausale Mutationen nachweisen. In den übrigen Fällen kann es sich entweder um Personen mit einer polygenen LDL-Erhöhung ohne Beitrag der klassischen FH-Gene handeln oder es liegen Veränderungen in Genen vor, die bislang nicht mit der FH in Verbindung gebracht und daher nicht untersucht wurden [8].
Was ist mit Familienangehörigen?
Bei der Identifikation einer kausalen Mutation sollten alle Familienangehörigen ersten Grades (Eltern, Geschwister, Kinder) auf eben diese Mutation hin untersucht werden. Dieses sog. Kaskadenscreening hat sich in der Vergangenheit vor allem in den Niederlanden als (kosten-) effektiv bewährt. Dies ist dem autosomal-dominanten Erbgang der FH geschuldet, bei dem statistisch gesehen jedes zweite Familienmitglied betroffen ist. Solche prädiktiven genetischen Untersuchungen zu veranlassen, ist an weitere rechtliche Voraussetzungen gebunden, z. B. eine verpflichtende Beratung des Patienten vor der genetischen Untersuchung und eine Qualifikation zur fachgebundenen genetischen Beratung. Dies bleibt in der Regel qualifizierten Zentren vorbehalten.
Wie wird die FH behandelt?
Die Therapie der FH besteht in einer frühzeitigen und konsequenten LDL-Senkung. Dabei liegt der Ziel-LDL-Cholesterin-Wert bei Betroffenen < 100 mg/dl, bei FH-Patienten mit Atherosklerosemanifestationen bei < 70 mg/dl. Über die Lebensstilmodifikation und Optimierung aller weiteren kardiovaskulären Risikofaktoren hinaus basiert die Therapie auf der medikamentösen Behandlung. Eingesetzt werden schwerpunktmäßig Statine, Cholesterinabsorptionshemmer (Ezetimib) und seit kurzem auch PCSK9-Inhibitoren (Evolocumab, Alirocumab). Daneben besteht in Extremfällen die Option der LDL-Apherese.
Die Kriterien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) für eine Verordnungseinschränkung von PCSK9-Inhibitoren sind [9]:
- Patienten mit hoFH, bei denen medikamentöse und diätetische Optionen zur Lipidsenkung ausgeschöpft worden sind.
- Patienten mit heFH, bei denen grundsätzlich – trotz einer über einen Zeitraum von zwölf Monaten dokumentierten maximalen diätetischen und medikamentösen lipidsenkenden Therapie (Statine und/oder andere Lipidsenker bei Statin-Kontraindikation/-Intoleranz) – der LDL-Cholesterin-Wert nicht ausreichend gesenkt werden kann und man deshalb davon ausgeht, dass die Indikation zur Durchführung einer LDL-Apherese besteht.
Die Einleitung und Überwachung der Therapie mit einem PCSK9-Inhibitor zulasten der gesetzlichen Kassen muss, laut G-BA, durch Fachärzte für Innere Medizin und Kardiologie, Nephrologie, Angiologie oder Endokrinologie und Diabetologie sowie durch Ärzte erfolgen, die an Ambulanzen für Lipidstoffwechselstörungen tätig sind. Die Folgeverordnungen laufen dann in der Regel über den Hausarzt.
Interessenkonflikte: H.S: Beraterhornorare und Vortragstätigkeit von/für MSD, Sharp & Dohme, AstraZeneca, Sanofi-Aventis und Amgen.
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (12) Seite 52-56