Insulin ist nach wie vor das wichtigste Antidiabetikum: Es allein wirkt lebensrettend beim Typ-1-Diabetes und gleichsam lebenserhaltend beim späten Typ-2-Diabetes. Sieben Wunder kennzeichnen die Geschichte der Insuline:

  1. Banting und Best brachten 1921 das Insulin in eine injizierbare Form, nachdem einige Jahre vorher der Deutsche Zülzer sowie rumänische Autoren schon nah am Ziel gewesen waren.
  2. Bereits fünf Monate später erhielt der erste Patient – ein kanadisches Kind – Insulin gespritzt und wurde vom ketoazidotischen, exsikkotischen Todeskandidaten zum blühenden Jungen.
  3. In den Dreißiger und Vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden die ersten Depotinsuline auf NPH- bzw. Surfen-Basis entwickelt.
  4. In den Fünfziger und Sechziger Jahren klärte zunächst Sanger (Nobelpreisträger!) die Struktur des Insulins auf, während später eine deutsche, chinesische und amerikanische Arbeitsgruppe unabhängig voneinander Rinder-Insulin im Labor synthetisierten.
  5. In den Siebziger Jahren wurde nach der Reinigung der bisherigen aus Schweine- und Rinderpankreata gewonnenen Insuline erstmals gentechnologisch durch apathogene Colibakterien bzw. Hefen das erste Humaninsulin entwickelt.
  6. Einige Jahre später kamen kurz- und langwirkende Insulin-Analoga auf den Markt, die "humaner als Humaninsulin" wirkten, indem sie die beiden Insulin-Peaks der körpereigenen Insulinsekretion besser als Humaninsulin nachahmten. Die kurzwirkenden Analoga benötigen keinen Spritz-Ess-Abstand mehr und können sogar nach dem Essen gespritzt werden. Und die langwirkenden Analoga haben wie das körpereigene Insulin ein flaches Wirkprofil im Gegensatz zu dem NPH-Humaninsulin, das ein Wirkungsmaximum besitzt und deshalb eher zu Hypoglykämien und zur Gewichtszunahme führt. Derzeit sind die kurzwirkenden Analoga Lispro, Aspart und Glulisin sowie die langwirkenden Präparate Detemir, Glargin U 100 und Glargin U 300 verfügbar. Die Glargin-Präparate brauchen im Gegensatz zu Detemir in der Regel nur einmal täglich injiziert zu werden, wobei das etwas länger wirkende U 300 wegen seiner noch geringeren Hypoglykämiegefahr (besonders nachts), geringerer Variabilität und größerer Flexibilität als Glargin U 100 zu bevorzugen ist. Außerdem gibt es für Glargin u 100 die Rosenstock-, ORIGIN- und die ORIGINALE-Studie, die die fehlende nachteilige Wirkung auf das Gefäßsystem und auf die Karzinogenese nachwiesen und die – ohne erneutes AMNOG-Verfahren – auf Glargin U 300 übertragen werden können.
  7. Das siebente Wunder schließlich ist die Tatsache, dass Insulin nach bald einem Jahrhundert nicht nur noch immer benutzt wird, sondern dass es an Bedeutung sogar gewonnen hat.

Sollte es alles in allem also nicht besser heißen: "Du darfst Insulin spritzen" und nicht "Du musst Insulin spritzen"?



Autor:

© copyright
Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert

Forschergruppe Diabetes e.V.
82152 Krailling

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (11) Seite 50