Es hätte nicht erst einer Viruspandemie und des damit einhergehenden "Klopapierverarmungssyndroms" bedurft, um öffentlich zu machen, was ein Hausarzt oft erleben darf: Wir haben den Hamster in uns.

Evolutionsbiologisch macht das Sinn, denn neben überlebenswichtigen Verdrängungsmechanismen spielt Angst eine entscheidende Rolle beim Arterhalt. Wer früher ohne Sorge vor schlechten Zeiten war, keine Vorräte einholte und stattdessen in kontemplativer Laissez-faire-Haltung dahindümpelte, konnte sich ganz schnell in einer misslichen, unkontrollierbaren, ja tödlichen Situation wiederfinden.

Der ängstliche Kümmerer hingegen überlebte. So gelangte die Neigung in unsere DNA, über eine "zum Ausgleich schwankender Verfügbarkeit nötige Speicherung hinausgehend" (Wikipedia) zu hamstern. In Ferien- oder Urlaubszeiten, bei vermuteten Lieferengpässen von Medikamenten oder wegen verkehrstechnischer Probleme mutieren sonst völlig unscheinbare Patienten zu kreativen und emsigen Arznei- oder Verbandmittelsammlern. Mitunter ist es aber auch die blanke Todesangst.

Ich erinnere mich gerne an eine distinguierte, sehr gepflegte und vornehm auftretende achtzigjährige Patientin, die mehr als sechs Jahrzehnte heftig rauchte. Infolgedessen entwickelte sie eine COPD, die sich in ihren letzten Jahren rasant verschlechtern sollte. In der Folge kam es bei unverändertem Nikotingenuss zu Atemnotattacken, die mit wahrhaft schwindelerregenden Dosen eines handelsüblichen, in jedem Zimmer mehrfach deponierten Sprays von ihr selbst behandelt wurden.

Alle Warnungen wurden in den Wind geschlagen und so vereinten sich Atemnot, Panik und Medikamentennebenwirkungen zu einer unheilvollen Mésalliance à trois, die schließlich mit dem Tod der Patientin endete.

Als ich wenig später einen Trauerbesuch beim Witwer abstattete, fragte mich der sehr gefasst, was er eigentlich mit den hinterlassenen Medikamenten seiner Frau anfangen solle. Mir fielen die Augen fast aus dem Kopf, als er zwei große Schubladen im Wohnzimmerschrank aufzog. Beide waren randvoll mit noch originalverpackten Asthmaspraydosen gefüllt, welche die Kranke in ihrer Not wohl über Monate gebunkert haben musste. Geschickt hatte sie dabei die Kontrollmechanismen unserer Praxis ausgetrickst. Gegen den Regress der betroffenen Krankenkasse war ich chancenlos, weil die menschlich nachvollziehbare Angst vor dem Erstickungstod dieses Patientenverhalten nicht ausreichend begründen konnte. Unter dem Blickwinkel solcher Schicksale sind Rangeleien um das Toilettenpapier während der Coronapandemie nur schwer zu verstehen. Psychologen interpretieren dieses Verhalten jedoch als den Griff nach einem symbolischen Rettungsanker in stürmischen Zeiten: das Hamstern eines nicht überlebensnotwendigen Hygieneartikels als Bewältigungsstrategie gegen Hilflosigkeit, Ohnmacht und Angst. Und schon wieder grüßt die Evolution.


Dies meint Ihr Fritz Meyer, Allgemeinarzt


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (8) Seite 73