Seit rund 12 Jahren gibt es in Baden-Württemberg die Hausarztzentrierte Versorgung (HzV). Und mittlerweile haben sich Hausarztverträge auch in anderen KV-Bezirken etabliert. Die HzV soll die Hausarztrolle stärken, die Patientenversorgung verbessern und die Ressourcen möglichst effizient nutzen. Ob das auch tatsächlich so funktioniert, wurde im Ländle gerade wieder einmal überprüft.

Derzeit nehmen circa 5.100 Haus- und Kinderärzt:innen sowie 1,72 Millionen Versicherte an der Hausarztzentrierten Versorgung in Baden-Württemberg teil. Die kürzlich vorgelegte vierte Evaluation der HzV bestätigt erneut eine umfassend bessere Versorgungssteuerung für die aktuell 1,73 Millionen teilnehmenden AOK-Versicherten.

Impfquoten steigen

Wissenschaftler:innen der Universitäten Heidelberg und Frankfurt/Main belegen unter anderem bei 400.000 HzV-Versicherten über 65 Jahre eine deutliche Zunahme an Influenzaimpfungen. So lag deren Impfquote um fünf Prozentpunkte höher als in einer Vergleichsgruppe der Regelversorgung: Das entspricht einem Mehr an Impfungen von 20.800. Im Jahr 2018 sind in derselben Gruppe außerdem rund 7.500 riskante Arzneimittelverordnungen weniger zu verzeichnen.

Weniger unnötige Facharztkontakte

Speziell bei chronisch Kranken werden die Vorteile stetig größer, wie Analysen über acht Jahre hinweg zeigen (2011 bis 2018). So blieben den 119.000 Diabetiker:innen in der HzV 12.800 schwerwiegende Komplikation wie Amputationen oder Herzinfarkte erspart. Die Wissenschaftler führen die Vorteile auf die besser koordinierte und intensivere Versorgung durch die Hausärzt:in zurück. In der HzV liegen zum Beispiel die unkoordinierten Facharztkontakte ohne Überweisung jährlich um rund 1,4 Mio. niedriger. Und rund 2,4 Millionen hausärztliche Kontakte mehr pro Jahr belegen die erhöhte Betreuungsintensität der HzV-Patient:innen.

Weniger Krankenhausaufenthalte

"Im Rahmen der HzV-Evaluation zeigt sich bei der Längsschnittbetrachtung fast aller Indikatoren, dass die Qualitätsunterschiede zugunsten der HzV-Versicherten über die Jahre bestehen bleiben und in einigen Fällen sogar weiter ausgebaut werden", betonte Prof. Dr. Joachim Szecsenyi, Ärztlicher Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Heidelberg. In der aktuellen Evaluation habe zudem anhand eines international validierten Modells gezeigt werden können, dass sich die HzV positiv auf die Versorgungskontinuität auswirkt, was nicht zuletzt auch zu besseren Outcomes im stationären Sektor beigetragen habe.

Der AOK Baden-Württemberg sei es zudem gelungen, die ambulante Facharztebene einzubeziehen und mit der hausärztlichen Versorgung konsequent zu verzahnen, lobte Prof. Dr. Ferdinand Gerlach, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität Frankfurt/Main. Im Zusammenspiel mit mittlerweile zwölf Facharztverträgen verbessere sich die Versorgung weiter. Durch die optimierte Zusammenarbeit von Haus- und Fachärzt:innen in Baden-Württemberg scheinen bereits einige typische Fehlentwicklungen korrigiert worden zu sein. So zeigten die aktuellen Ergebnisse bei HzV-Patient:innen mit koronaren Herzerkrankungen und Herzinsuffizienz eine signifikante Reduktion der Krankenhausaufenthalte. Im Jahr 2018 seien das allein bei Patient:innen mit Herzinsuffizienz fast 3.000 weniger als in der Regelversorgung gewesen. Die HzV stehe somit insgesamt für eine umfassend bessere Versorgungssteuerung mit relevanten Patientenvorteilen, die mit zunehmendem Zeitverlauf und in Kombination mit den Facharztverträgen sogar noch verstärkt ausgeprägt seien, so Gerlach. Die bessere Versorgungssteuerung resultiere aus sich gegenseitig fördernden Steuerungsinstrumenten, die im HzV-Vertrag verbindlich angelegt sind – etwa im Bereich der Arzneimitteltherapie, in Bezug auf Arztkontakte oder Krankenhausaufenthalte.

Primärarztsystem zeigt seine Vorteile

"Der HzV-Vertrag der AOK Baden-Württemberg beweist seit dem Start 2008 eindrucksvoll die Vorteile eines freiwilligen Primärarztsystems gegenüber der Regelversorgung", zeigt sich Dr. Berthold Dietsche, Chef des Hausärzteverbandes Baden-Württemberg, höchst zufrieden. Das funktioniere nur mit vertraglichen Strukturen, die eine verbindliche hausärztliche Koordination als Basis für eine qualitätsbasierte ambulante Versorgung gewährleisten. Es gelte daher die HzV zukünftig nicht nur zu erhalten, sondern mit hoher Priorität weiter auszubauen und für Ärzt:innen und Patient:innen noch attraktiver zu gestalten. Ähnlich sieht dies auch Dr. Werner Baumgärtner, Vorstandsvorsitzender von MEDI Baden-Württemberg und MEDI GENO Deutschland:"Gerade der zunehmenden Zahl chronisch Kranker und multimorbider Patienten sichert die HzV einen qualifizierten Hausarzt vor Ort mit ausreichend Zeit für seine Patienten. Dazu bedarf es Verträge auf Vollversorgungsbasis mit adäquater Vergütung." Leider signalisiere die Politik mit dem Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetz (GPVG) wieder, dass sie kleinteilige Lösungen bevorzuge, die kaum Vorteile, sondern eher noch mehr Bürokratie für die Praxen bedeuten.

Die AOK Baden-Württemberg kritisiert wie andere Krankenkassen auch, dass die Bundesregierung die Finanzautonomie der Krankenkassen untergräbt, um das Milliardendefizit im Gesundheitswesen auszugleichen. Damit werde es der AOK sehr schwer gemacht, die notwendigen Investitionen für neue Projekte zur Versorgungsverbesserung aufzubringen. Für die HzV sei somit erneut eine bessere Versorgung empirisch belegt, und das bei niedrigeren Ausgaben, erklärte Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg. Vonseiten der Kasse setze man gemeinsam mit den ärztlichen Vertragspartnern auf eine Fortsetzung dieser Erfolgsgeschichte – auch wenn man wohl Ende 2021 vor großen finanziellen Herausforderungen stehen werde, die es schwerer machen, neue gute Ideen umzusetzen.



Autor
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (5) Seite 38-39