Dank Aufklärung, Stuhltestung und Koloskopie ist die Inzidenz und die Mortalität von Darmkrebs seit 2002 kontinuierlich gesunken. Hausärzt:innen können hierzu einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie Anspruchsberechtigte entsprechend beraten. Auch für MFA stehen Fortbildungscurricula zur Früherkennung zur Verfügung.

Tumorerkrankungen sind im hausärztlichen Alltag selten, dennoch sind sie mit 27 % die zweithäufigste Todesursache [1]. Durch Früherkennung wären 40 % der Tumorfälle vermeidbar. Darmkrebs ist mit 61.010 Neuerkrankungen (2014) und 25.512 Todesfällen die zweithäufigste Tumorerkrankung [2]. Das Risiko, am kolorektalen Karzinom zu erkranken, steigt ab dem 50. Lebensjahr kontinuierlich an, bei Männern durchschnittlich fünf Jahre früher als bei Frauen. In 75 % der Fälle tritt Darmkrebs sporadisch auf. Adipositas, westliche Ernährung, Rauchen, Diabetes mellitus und Bewegungsarmut erhöhen das Erkrankungsrisiko [1]. Bei Diabetes mellitus ist das Risiko um das 1,6-Fache erhöht [3]. In 18 % der Fälle liegt eine positive Familienanamnese vor [4]. Erstgradig Verwandte von Darmkrebspatient:innen oder solchen mit Polypen in fortgeschrittenen Stadien haben ein zwei- bis vierfach höheres Risiko, selbst und in früherem Alter an Darmkrebs zu erkranken [5]. War der Erkrankte jünger als 50 Jahre, haben die Verwandten ein besonders hohes Risiko und sollten frühzeitig Vorsorgemöglichkeiten in Anspruch nehmen. Bei 6 % der Erkrankten besteht ein erblicher Darmkrebs. Neben der familiären Polyposis (1 %) ist das hereditäre kolorektale Karzinom ohne Polyposis (HNPCC) die häufigste Form des erblichen Darmkrebses. Bei folgenden Befunden sollte an das Vorliegen eines erblichen Darmkrebses gedacht werden:

  • Kolonkarzinom vor dem 50. Lebensjahr
  • Gleichzeitig oder später auftretende HNPCC-assoziierte Tumoren (Magenkarzinom, Endometriumkarzinom, Ovarialkarzinom, Karzinome der ableitenden Harnwege, Gallengangkarzinom, Dünndarmkarzinom, ZNS-Tumoren, Pankreaskarzinom, Talgdrüsenkarzinom)
  • Mindestens zwei Verwandte mit HNPCC-assoziierten Tumoren
  • Zahlreiche Polypen bei einer Patient:in
  • Kolorektale Adenome vor dem 40. Lebensjahr

Um familiäre oder erbliche Formen des Darmkrebses und die damit verbundenen erhöhten Risiken zu erkennen, ist eine Familienanamnese unverzichtbarer Bestandteil eines Aufklärungsgespräches über Vorsorgemöglichkeiten. Nur so können Hochrisikogruppen erkannt und durch entsprechende Maßnahmen eine Erkrankung vermieden werden.

Bei den sporadisch auftretenden Karzinomen kommt es zunächst in der Darmschleimhaut durch erste Mutationen zur Entstehung von Polypen, die langsam wachsen und in denen durch weitere Mutationen fortgeschrittene Dysplasien entstehen, die sich innerhalb einer Zeit von 10 bis 15 Jahren zum Karzinom entwickeln. Bislang sind fünf verschiedene Karzinogenesewege kolorektaler Karzinome bekannt [6]. Das Entartungsrisiko der Polypen ist vom histologischen Befund abhängig. Das höchste Risiko der malignen Entartung haben villöse Adenome, gefolgt von tubulovillösen Adenomen und tubulären Adenomen. Polypen mit High-grade- Dysplasien haben ebenfalls ein hohes Entartungsrisiko. Das Problem ist, dass es beim kolorektalen Karzinom keine Frühsymptome gibt. Blutauflagerungen auf dem Stuhl, unerklärliches verändertes Stuhlverhalten, unklare Bauchschmerzen oder Gewichtsabnahme müssen zeitnah abgeklärt und ein Karzinom ausgeschlossen werden. Darmkrebs im UICC-Stadium I oder II mit Beschränkung auf die Darmwand ist erfolgreich zu behandeln und die Patient:innen haben eine Fünf-Jahres-Überlebensrate von 82 bis 96 % [7].

Durch Vorsorge kann das individuelle Darmkrebsrisiko um bis zu 70 % reduziert werden [8]. Zur primären Vorsorge gehören eine gesunde Ernährung, Gewichtsnormalisierung, körperliche Aktivität, Nichtrauchen und allenfalls moderater Alkoholgenuss. Allein dadurch reduziert sich das Darmkrebsrisiko um bis zu 37 % [9].

Zur Früherkennung stehen der quantitative immunologische Stuhltest auf okkultes Blut und die Früherkennungskoloskopie zur Verfügung (Tabelle). Ab dem 50. Lebensjahr sollte jeder einmalig ergebnisoffen über die Möglichkeiten der Darmkrebsfrüherkennung informiert werden (EBM-Abrechnungsziffer: 01740 extrabudgetär). Seit 2019 werden Anspruchsberechtigte vom Kostenträger alle fünf Jahre bis zum 65. Lebensjahr angeschrieben und zur Teilnahme an dem Programm eingeladen. Versicherte erhalten eine umfangreiche geschlechtsspezifische Broschüre, die sicherlich erläutert werden muss. Bei der Beratung und Information zur Früherkennung können qualifizierte Medizinische Fachangestellte unterstützend tätig werden und aufklärende Ärzt:innen unterstützen (Delegation von Leistungen gemäß § 28 Abs. 1 S. 3 SGB V). Die nötigen Kenntnisse können sie in Fortbildungen erwerben. Unter der Leitung der Stiftung LebensBlicke wurde das MFA-Projekt initiiert und ein Fortbildungscurriculum und Ausbildungsmodule entwickelt. Kurse werden über den Hausärzteverband (VERAH-Fortbildung des Instituts für hausärztliche Fortbildung im Deutschen Hausärzteverband (IhF) e.V.) oder den Verband medizinischer Fachberufe e.V. (vmf) angeboten.

Der immunologische Stuhltest (iFOBT) kann ab dem 50. Lebensjahr jährlich und ab dem 55. Lebensjahr alle zwei Jahre durchgeführt werden (EBM-Abrechnungsziffer: 01737 extrabudgetär). Der Test muss zeitnah an das untersuchende Labor geschickt werden. Jeder einmalig positive Test muss durch eine Koloskopie und Proktoskopie abgeklärt werden. Alternativ kann bei Männern ab dem 50. Lebensjahr und bei Frauen ab dem 55. Lebensjahr die Früherkennungskoloskopie durchgeführt werden, bei der Vorstufen von Darmkrebs (Polypen) direkt entfernt werden können. Eine Wiederholung ist nach frühestens zehn Jahren vorgesehen, sofern die erste Untersuchung vor dem 65. Lebensjahr erfolgt. Werden Polypen entfernt, sind Kontrolluntersuchungen in Abhängigkeit vom Befund nach bis zu fünf Jahren erforderlich. Die Untersuchung kann unter Sedierung durchgeführt werden und ist komplikationsarm. Die Komplikationsrate liegt bei ca. 2 pro 1.000 Untersuchungen [10]. Probleme treten am ehesten bei der Polypektomie auf (Blutung, Perforation) und können sich auch noch einige Tage nach der Untersuchung manifestieren.

Von 2003 bis 2012 wurden so 40.000 Darmkrebsfälle entdeckt und 180.000 Erkrankungen durch Abtragung fortgeschrittener Polypen verhindert [11]. Die meisten Tumoren waren in einem frühen Stadium, so dass eine kurative Therapie möglich war. Dank Aufklärung, Stuhltestung und Koloskopie ist die Inzidenz (ca. 20 %) und Mortalität (ca. 30 %) in Deutschland seit 2002 kontinuierlich gesunken [12]. Männer im Alter von 50 Jahren können ihr Erkrankungsrisiko in den nächsten 30 Jahren durch gesunde Ernährung und Vorsorgekoloskopie von 9,4 % auf 1,8 % reduzieren. Frauen senken das Risiko von 7,1 % auf 1,4 % [13]. Leider wird der Stuhltest nur von etwa 7 % der berechtigten Männer und 23 % der Frauen in Anspruch genommen und nur 2,5 % gehen zur Früherkennungskoloskopie [14]. Einladungsverfahren und verstärkte hausärztliche Information und Aufklärung können hier zu einer wesentlichen Verbesserung der Situation beitragen. Das gilt ganz besonders auch für Risikogruppen. Angehörige von Darmkrebspatient:innen sollten frühzeitig informiert werden, um Früherkennungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen. Gerade bei familiärem Darmkrebs ist gemäß den Leitlinien eine Untersuchung zehn Jahre vor dem Erkrankungsalter des Betroffenen, spätestens aber im Alter von 40 bis 45, indiziert und sinnvoll [15]. Leider erkranken zunehmend Menschen im Alter von unter 50 Jahren, weshalb auch bei jungen Menschen heute eine Darmkrebserkrankung bei entsprechenden Symptomen in die Differenzialdiagnostik einbezogen werden muss. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Hausärzt:in und Gastroenterolog:in ist gerade bei Risikogruppen hilfreich und nützlich. Die Darmkrebsfrüherkennung ist eine Vorsorge, deren Nutzen seit der Einführung 2002 mehrfach belegt wurde und dazu geführt hat, dass in Deutschland im Gegensatz zu vielen anderen Ländern die Inzidenz und Mortalität sinkt.

ESSENTIALS – Wichtig für die Sprechstunde
  • Darmkrebs ist mit 61.000 Neuerkrankungen und 25.512 Todesfällen (2014) die zweithäufigste Tumorerkrankung.
  • Erstgradige Verwandte von Darmkrebspatient:innen haben ein zwei- bis vierfach erhöhtes Erkrankungsrisiko.
  • Zur primären Vorsorge gehören gesunde Ernährung, Gewichtsnormalisierung, körperliche Aktivität, Nichtrauchen und allenfalls moderater Alkoholgenuss.
  • Zur Früherkennung gehören Stuhltest und Koloskopie.
  • Beratung und Information zur Früherkennung können Hausärzt:innen bzw. MFA leisten.


Literatur:
1. Statistisches Bundesamt 2016 (RKI, DESTATIS)
2. KfKD (Zentrum für Krebsregisterdaten), Robert Koch Institut
3. Khan U, Fallah M, Tian Y, Sundquist K, Sundquist J, Brenner H, Kharazmi E: Personal History of Diabetes as Important as Family History of Colorectal Cancer for Risk of Colorectal Cancer: A Nationwide Cohort Study. Am J Gastroenterol. 2020; 00:1-7
4. Winawer SJ, Fletcher RH, Miller L, Brown-Davis C, Marciniak DA, Mayer RJ et. al.: Colorectal cancer screening: Clinical guidelines and rationale. Gastroenterology 1997, 112 (2): 594 – 642
5. Lowery J, Ahnen D, Schroy P, Hampel H et.al.: Undestandig the Contribution of Family History to Colorectal Cancer Risk and Ist Clinical Implications: A State-of-the Sciense Review. Cancer 2016; 122 (17): 2633 – 2645
6. Tannapfel A, Neid M, Aust D, Baretton G: Unterschiedliche Wege und Vorstufen – differenzierte Nomenklatur. Dtsch. Ärztebl. Int. 2010; 107(43): 760-766
7. Robert Koch Institut 2019, 12. Ausgabe: Krebs in Deutschland für 2015/2016
8. Brenner H, Stock C, Hoffmeister M: Effect of screening sigmoidoscopy and screening colonoscopy on colorectal cancer incidence and mortality: systematic review and meta-analysis of randomised colntrolled trials and observational studies. BMJ 2014; 348:g2467
9. Aleksandrova K, Pischon T, Jenab M et.al.: Combined impact of healthy lifestyle factors on colorectal cancer: a large European cohort study. BMC Medicine 2014, 12: 168
10. Jahresberichte des ZI 2003 – 2017 an die Praxen (Zentralinstitut für die Kassenärztl. Versorgung in Deutschland), Ergebnisse aus 6.512.727 Untersuchungen
11. Brenner H., Altenhofen L., Stock C., Hoffmeister M.: Prevention, Early Detection, and Overdiagnosis of Colrectal Cancer Within 10 Years of Screening Colonoscopy in Germany. Clin. Gastroenterol. Hepatol. 2015; 13: 717 – 723
12. Brenner H, Schrotz-King P, Holleczek B, Katalinic A, Hoffmeister M: Rückgang der Inzidenz und Mortalität von Darmkrebs in Deutschland. Dtsch. Ärzteblatt 2016; 113: 101-106 und Robert-Koch Institut 2016
13. Carr P, Weigl K, Edelmann D, Jansen L, Chang-Claude J, Brenner H, Hoffmeister M: Estimation of Absolute Risk of Colorectal Cancer Based on Healthy Lifestyle, Genetic Risk, an Colonoscopy Status in a Population-Based Study. Gastroenterology 2020;in press: 1-10
14. Steffen A, Holstiege J, Hagen B, Akmatov M K, Bätzing J: Inanspruchnahme der Darmkrebsfrüherkennung in den Jahren 2009 bis 2018: Eine Bestandsaufnahme auf Basis bundesweiter vertragsärztlicher Abrechnungsdaten. Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi). Versorgungsatlas-Bericht Nr. 20/02. Berlin 2020 10.20364/VA-20.02Bericht Nr. 20/02 des ZI, veröffentlicht am 14.05.2020
15. Schmiegel W, Buchberger B, Follmann M, Graeven Ul, Heinemann V, Langer T, Nothacker M, Porschen R, Rödel C, Rösch T, Schmitt W, Wesselmann S, Pox C: S3-Leitlinie – Kolorektales Karzinom. November 2017–AWMF-Registernummer: 021/007OL Zeitschrift für Gastroenterologie 2017; 55(12): 1344 – 1498 DOI: 10.1055/s-0043-121106


Autor

Priv.-Doz. Dr. med. Christoph Schmidt

Facharzt für Innere Medizin –
Gastroenterologie –
53173 Bonn

Interessenkonflikte: Ehrenamtlicher Vorsitzender des Integrativen Darmzentrums Bonn/Rhein-Sieg e. V. (IDZB), Fachgruppenkoordinator Darmzentren im Berufsverband niedergelassener Gastroenterologen bng, ehrenamtlicher Leiter der "Initiative Familiärer Darmkrebs" des bng und des Projekts "QualiMore", Botschafter der "Stiftung Lebensblicke" 2018, ehrenamtlicher Koordinator des MFA-Projekts der Stiftung LebensBlicke, Mitglied der Zertifizierungskommission für Darmkrebszentren der Deutschen Krebsgesellschaft DKG, Mitglied im KV-Kreisstellen-Vorstand Bonn, Referentenhonorar Norgine (2019)



Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (6) Seite 37-39