Warum ist mein Arzt zehn Straßen entfernt und nicht nur einen Klick?" Oder so: "Warum heißt er Hausarzt, wenn ich für ihn das Haus verlassen muss?" Oder auch: "Warum muss ich aufstehen, um gesagt zu bekommen, dass ich mich hinlegen soll?" Und dann noch die Frage aller Fragen: "Warum können wir Gesundheit nicht neu denken? Das neue Gesund." Diese Fragen hat vor einigen Wochen ein gewisser DocMorris in einer bundesweiten Plakat- und Anzeigenkampagne gestellt.

Und DocMorris beantwortet sie gleich selbst: "Wir haben eine Vision. Die Vision von einer Zukunft, in der sich Ihr Zugang zu Gesundheitsversorgung nach Ihnen richtet und nicht andersherum. Eine Vision von einer Zukunft, in der Gesundheitsversorgung so smart funktioniert, wie alles andere in Ihrem Leben.

"Muss das mit der Gesundheit wirklich neu gedacht werden? Es hat bislang ja noch niemand eine allgemeingültige Antwort gefunden. Ist man gesund, wenn man nicht krank ist? Ist man gesund, wenn man nicht weiß, dass man krank ist? Gesundheit sei uns verborgen, sie sei "das Schweigen der Organe", sagte der Philosoph Hans-Georg Gadamer. Gesundheit ist körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden, sagte die Weltgesundheitsorganisation WHO. Für Aldous Huxley war schon vor 100 Jahren "die Medizin so weit fortgeschritten, dass man kaum noch Gesunde findet" – was für eine Weitsicht! Was soll das also sein, das "neue Gesund"? Und wer ist dieser DocMorris, der uns weismachen will, dass das Leben smart ist, nur die Gesundheitsversorgung nicht? Vor 20 Jahren schockierte DocMorris die deutsche Apothekerschaft von den Niederlanden aus. Man konnte bei DocMorris telefonisch, online oder per Post Medikamente bestellen. Es entwickelte sich ein Erfolgsmodell mit über 600 Mitarbeiter:innen und einem dreistelligen Millionenumsatz. Nach Zukäufen und Eigentümerwechseln gehört DocMorris heute der Zur Rose Group AG, die in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland mit mehr als 1.500 Mitarbeiter:innen und einem Milliardenumsatz agiert. Seitdem versteht sich DocMorris nicht mehr nur als Apotheke, sondern als breit aufgestellter "Gesundheitsdienstleister" – online, versteht sich. Und als solcher bietet uns DocMorris eine smarte Gesundheitsversorgung an, weil ja sonst auch alles smart ist in unserem Leben. Mich stößt das ab, aber wen spricht das an? Ist das die Zukunft, ist das das Modell der Medizin von morgen, ist das auf junge Menschen zugeschnitten? Ist das Modell Hausarzt am Aussterben, ist es von gestern?

DocMorris will also Gesundheit neu denken. Was auch immer sich hinter dem "neuen Gesund" verbirgt, philosophisch ist da nichts zu erwarten, ökonomisch und finanziell aber eher viel. Seit einiger Zeit werden Arztpraxen zu Objekten von Übernahmekonzepten der Großkonzerne. Die Diffamierung der Hausarztmedizin auf Plakatwänden durch DocMorris ist verbunden mit dem Versprechen, dass von jetzt an Gesundheit online, mit Klicks und digital "neu gedacht" und neu gemacht wird. Das wird entweder platzen wie eine Seifenblase oder es ist das Erfolgsmodell der Zukunft. Dann aber wird in der Medizin nicht mehr ein kranker Mensch auf einen heilkundigen Menschen treffen. Medizin ist dann nicht länger Beziehungsarbeit. Dann wird stattdessen geklickt, gegoogelt und gezoomt.


Vom Autor genehmigter Nachdruck seiner Kolumne in der Frankfurter Rundschau



Autor

Dr. med. Bernd Hontschik

Facharzt für Chirurgie
60323 Frankfurt am Main

Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (4) Seite 5