Die Erfolge der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV), aber auch der Ärger über so manche geplante neue Regelung im Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) standen im Mittelpunkt der Herbst-Delegiertenversammlung des Deutschen Hausärzteverbands (DHÄV) in Bonn. Eigentlich hat der Verband viele seiner Ziele erreicht, doch man müsse aufmerksam bleiben und der Kampf für ein Primärarztsystem soll weitergehen. Kurz gesagt: Es gibt immer etwas zu tun, und Stillstand bedeute Rückschritt.

Bevor er sich an die schwierigeren Themen wagte, wollte Ulrich Weigeldt, der Bundesvorsitzende des DHÄV, in seinem Bericht zur Lage erst noch einen Blick auf die schönen Seiten des Verbandslebens werfen. Die HzV sei inzwischen fester Bestandteil und Garant für eine hochwertige ambulante hausärztliche Versorgung, lobte er die eigene Arbeit unter dem Beifall der Delegierten. Der Stellenwert der Hausarztverträge werde daran deutlich, dass sie als einzige selektivvertragliche Versorgungsform unter dem Titel "Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung" im Gesetz geregelt sei.

Unerhörte Bevormundung durch den Gesetzgeber

Doch das war´s dann auch schon an schönen Worten. Denn trotz aller Errungenschaften der HzV drohe schon wieder gesetzgeberischer Gegenwind. Gemeint war damit das TSVG. Denn darin kann der Hausärzte-Chef nur wenig Licht, aber sehr viel Schatten erkennen. Vor allem die geplanten Eingriffe in die Gestaltung der Praxisorganisation könne man so nicht akzeptieren. Gemeint ist damit z. B. die im Gesetz vorgesehene Anhebung der Mindestsprechstundenzeiten von 20 auf 25 Stunden pro Woche. "Diese Bevormundung lehnen wir ab!", rief Weigeldt den Delegierten zu und erhielt dafür mächtigen Applaus. Man werde hier intervenieren und wolle dafür sorgen, dass wenigstens die Hausbesuche zur Sprechstundenzahl gezählt werden.

Den Schwung nutzte Weigeldt auch gleich noch für eine Breitseite gegen die Krankenkassen und hier vor allem gegen den Spitzenverband Bund der Krankenkassen (SpiBu). Denn der hatte vorgeschlagen, dass die Hausärzte ja auch spätabends und samstags arbeiten könnten. Es sei schlicht und ergreifend eine Frechheit, was sich die obersten Kassenvertreter da erlauben, erzürnte sich Weigeldt und machte klar: "Wir sind nicht die Angestellten der Krankenkassen!"

Hausärzte lösen viele Patientenprobleme

Partiell kritisch sieht der DHÄV-Chef auch die Absicht, die sprechende Medizin im Vergleich zur Medizintechnik zu stärken. Das sei zwar grundsätzlich richtig, reiche aber nicht aus. Denn die Hausarztmedizin bestehe ja keineswegs nur aus Sprechen oder einer Lotsenfunktion, sondern aus dem tatsächlichen Lösen von Patientenproblemen.

Insgesamt helfe das TSVG jedenfalls nicht, junge Ärzte von einer Niederlassung zu überzeugen. Man werde daher beharrlich weiter versuchen, auf die Politik einzuwirken, um zumindest die gröbsten Schnitzer noch abzuwenden und so die gerade in Gang kommende Trendwende in Richtung Allgemeinmedizin beim Nachwuchs nicht abzuwürgen. So würde seit dem Jahr 2010 die Zahl der Ärzte in Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin jedes Jahr im Schnitt um 14 % steigen, und es gebe auch mehr Facharztanerkennungen. Dieses Wachstum reiche zwar längst nicht aus, aber es belege, dass das Image der Allgemeinmedizin sich deutlich gebessert habe, so Weigeldt. Wenn nun noch zügig der Masterplan Medizinstudium 2020 umgesetzt werde und endlich die "vermaledeite" Regressandrohung wegfalle, könne es mit der Nachwuchsgewinnung weiter aufwärtsgehen.

Plädoyer für ein Primärarztsystem

Zum Ende seiner Rede widmete sich Ulrich Weigeldt noch einmal dem zentralen Anliegen des Hausärzteverbands: Die Demographie, Multimorbidität, Chronifizierung und immer komplexere medikamentöse Therapiestrategien verlangten geradezu nach einer starken Primärversorgung und würden eine ordnende hausärztliche Hand erfordern.

5.000.000
Der Deutsche Hausärzteverband geht davon aus, dass sich im Frühjahr 2019 der 5.000.000ste Versicherte in die Vollversorgungsverträge zur Hausarztzentrierten Versorgung einschreiben wird. "Jeden Tag entscheiden sich in Deutschland im Schnitt über 1.000 neue Patientinnen und Patienten für die Hausarztverträge", so verkündete es DHÄV-Chef Ulrich Weigeldt am Rande des 2. Internationalen Hausärztetags in Bonn. Damit seien die Hausarztverträge die mit Abstand erfolgreichsten Selektivverträge in Deutschland und das einzig funktionierende Wettbewerbselement in der ambulanten Versorgung, so Weigeldt weiter.Neben Baden-Württemberg und Bayern sind die Hausarztverträge inzwischen auch in den meisten anderen Bundesländern fest verankert. In Nordrhein-Westfalen erwartet der Verband im Verlauf des kommenden Jahres den 1.000.000sten Patienten, der sich in die Verträge einschreibt.Bei den Hausarztverträgen wählen Patientinnen und Patienten freiwillig einen festen Hausarzt, den sie bei allen medizinischen Beschwerden immer zuerst konsultieren. Dieser überweist bei Bedarf an Fachärzte oder Kliniken und koordiniert den Versorgungsprozess. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die Versorgung im Rahmen der Hausarztverträge qualitativ besser und koordinierter ist. Gleichzeitig können Doppeluntersuchungen und unnötige Facharztbesuche reduziert werden. Durch diese effizienteren Strukturen werden unnötige Kosten eingespart. Die Teilnahme ist für Hausärzte und Patienten freiwillig.

Auch die WHO konstatiere, dass durch ein Primärarztsystem die Gesundheitssituation der Patienten verbessert werde und gleichzeitig die Gesamtausgaben des Gesundheitssystems systematisch reduziert würden. Und auch das aktuelle Gutachten der Gesundheitsweisen spreche sich faktisch für ein generelles Primärarztsystem aus – auch mit dem Hinweis auf die HzV.

Hausarztverträge weisen den Weg

Das zeige klar, dass man mit der HzV auf dem richtigen Weg sei. Und von dem werde man sich auch durch ständige Angriffe vonseiten der Krankenkassen nicht abbringen lassen, sondern die bislang sehr erfreuliche Entwicklung der Hausarztverträge weiter voranbringen. Schon bald werde man hier wohl die 5-Millionen-Marke bei den eingeschriebenen Versicherten überschreiten. Ein gesetzlich verankertes Bonusprogramm für Versicherte, für das sich auch die Gesundheitsweisen in ihrem Gutachten aussprächen, würde den Aufstieg der HzV sicher noch beschleunigen, mahnte der Hausärzte-Chef und verwies auf das Beispiel der Schweiz, wo es schon länger einen Hausarzttarif mit einer 20 %igen Preisreduktion gegenüber dem normalen Tarif gebe.



Autor:
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (18) Seite 32-33