Die Gesundheit ist ein hohes Gut. Sie zu erhalten und Krankheiten vorzubeugen, ist vornehmste Aufgabe der Hausärzte. Doch der demografische Wandel stellt die Patientenversorgung schon jetzt und mehr noch in der Zukunft vor große Herausforderungen. Wer wird sich um die immer älter werdende Bevölkerung dann kümmern? Mit dieser heiklen Frage beschäftigte sich der 16. Hausärztetag Baden-Württemberg.

Die Medizin ist mit einer zunehmenden Zahl an älteren, chronisch kranken Patienten konfrontiert, die eine intensivere Betreuung und mehr Hausärzte als bisher erfordern. Während unsere Gesellschaft altert, lässt sich gleichzeitig ein Rückgang an praktizierenden Hausärzten verzeichnen. Vor allem ländliche Regionen sind heute schon betroffen.

Von Videosprechstunde über Telemedizin bis Physician Assistants – Lösungsansätze gibt es viele, die man diskutieren könne. "Wir müssen Strukturen schaffen, die unsere Hausärzte von Routinetätigkeiten entlasten, sagte Dr. Berthold Dietsche, Vorstandsvorsitzender des Hausärzteverbands Baden-Württemberg, bei seiner einleitenden Ansprache beim Hausärztetag in Stuttgart. Der Hausärzteverband habe mit der Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis, kurz VERAH®, ein Versorgungsmodell geschaffen, das es ermögliche, ärztliche Aufgaben an eine qualifizierte Medizinische Fachangestellten weiterzudelegieren, so Dietsche. Ärztliche Aufgaben einfach an nicht-ärztliche Berufe wie Physician Assistants abzugeben, hält man beim Hausärzteverband im Hinblick auf eine qualitativ hochwertige Versorgung nicht für sinnvoll.

Die Lunte brennt

Wichtig sei es, wieder mehr Ärzte für den Hausarztberuf zu gewinnen. Allein in Baden-Württemberg sollen derzeit rund 500 Hausarztsitze unbesetzt sein. Die Lage sei zwar noch nicht katastrophal, so Dietsche, das liege aber auch daran, dass viele Kollegen ihre Praxen weit über die Altersgrenze hinaus betreiben. So seien mehr als 1.300 Hausärzte im Ländle über 65 Jahre. Wenn die aufhören und keine jungen Ärzte nachrücken, werde es sehr kritisch – "die Lunte brennt". Empört zeigte sich Dietsche von der im Koalitionsvertrag niedergelegten Idee, die Sprechstundenzeiten für GKV-Versicherte von 20 auf 25 Stunden zu erhöhen. Das sei Gift für die Niederlassung, so überzeuge man keine Nachwuchsärzte, den Beruf des Hausarztes zu ergreifen.

Als Vertreterin dieser jungen Hausärzte-Generation beteiligte sich Dr. Susanne Fischer an der Diskussion. Sie hatte sich erst 2017 in der Nähe von Karlsruhe mit einer eigenen Praxis niedergelassen. Sie hatte zuvor auch schon angestellt gearbeitet, ihr Ziel war aber immer, sich selbstständig zu machen. Dieser Schritt sei zwar schon mit viel Verantwortung verbunden, aber man könne das schaffen. Sie jedenfalls sieht die Zukunft ihrer Praxis optimistisch und engagiert sich zudem auch berufspolitisch.

Was bringen „grundversorgende Fachärzte“?

Etwas Unmut kam auf, als es um die Frage ging, ob sogenannte grundversorgende Fachärzte etwas zur Minimierung des Versorgungsproblems beitragen könnten. Eingeladen hatte man dazu den Dermatologen Dr. Bernd Salzer, Vorsitzender des Spitzenverbands Fachärztliche Berufe Baden-Württemberg. Der konstatierte zwar, dass der Hausarzt die Koordination bei multimorbiden Patienten schon übernehmen müsse, dass es aber auch Patienten gebe, die nicht unbedingt den "Umweg" über den Hausarzt gehen müssten, wenn sie doch eigentlich bei einem Spezialisten auch sehr gut aufgehoben wären. Die Hausarztzentrierte Versorgung (HzV) jedenfalls werde das grundlegende Versorgungsproblem nicht lösen, so Salzer. Man brauche einfach mehr Ärzte, und zwar sowohl Allgemeinärzte als auch Spezialisten, denn auch die Praxen der Letzteren seien jetzt schon übervoll. Grundsätzlich glaubt er aber nicht, dass es sinnvoll wäre, wenn alle Patienten erst einmal zum Hausarzt müssen.

Diese kleine Attacke auf die HzV konnte Dr. Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, nicht einfach so unwidersprochen stehen lassen. Mit viel Herzblut habe man in Baden-Württemberg das Beste aus den gegebenen Verhältnissen gemacht – und das seien eben die HzV und dazu noch die Facharztverträge (für Dermatologen gibt es einen solchen Facharztvertrag noch nicht, Anm. d. Redaktion). Dieses "Primärarztsystem" sei ein wesentlicher Mosaikstein, um dem Hausärztemangel zu begegnen. Und ganz nebenbei würden damit auch die Spezialisten entlastet, weil es dadurch 40 % weniger ungesteuerte Facharzt-Besuche gebe, so der AOK-Chef. Unterstützung erhielt Hermann hier vom Vorsitzenden der KV Baden-Württemberg, Dr. Norbert Metke. Der Orthopäde stellte klar, dass es zur hausärztlichen Patientensteuerung keine Alternative gibt. Durch die HzV gebe es weniger Doppeluntersuchungen und bessere Honorare. Jetzt müsse man den Hausarztberuf noch attraktiver machen, zum Beispiel indem man den Hausärzten mehr Kompetenzen zuordnet.

Welche Rolle spielen die Kliniken?

Wer darauf hoffe, dass die Krankenhäuser das Versorgungsproblem lösen könnten, dem erteilte Prof. Dr. Jörg Martin, Geschäftsführer Regionale Kliniken Holding RKH GmbH, eine klare Absage. "Die Kliniken können die Grundversorgung nicht stemmen", stellte er klar. Das Gesundheitssystem funktioniert noch ganz gut, aber man brauche ein hausarztzentriertes System. Das sei ganz einfach das System der Zukunft. Die Patienten müssten sich allerdings darauf einstellen, zukünftig weitere Wege gehen zu müssen. Denn Einzelpraxen auf dem Land werde es nicht mehr geben. Stattdessen werden sich Gesundheitszentren bilden und eine wesentlich engere Vernetzung zwischen Niedergelassenen und Kliniken z. B. durch die Digitalisierung.

Das war das Stichwort für Ulrich Weigeldt, den Bundesvorsitzenden des Deutschen Hausärzteverbands e. V. Von der Digitalisierung erwartet Weigeldt eine bessere Kommunikation zwischen Ärzten, Patienten und Krankenkassen sowie einen Abbau von Bürokratie. Als erfolgversprechendes Projekt nannte er die Digitalisierung der Arbeit Medizinischer Fachangestellter, wie z. B. der VERAH®. Diese könnten dabei die während ihrer Hausbesuche bei Patienten erhobenen Daten dem Praxisarzt elektronisch übermitteln und ihn so entlasten.

Digitalisierung wird durch langsames Internet ausgebremst

Ausgebremst würden alle Ansätze zur Digitalisierung aber noch durch die völlig unzureichende Internetversorgung in vielen Regionen Deutschlands. "Das ist, als wolle man Auto fahren, aber ohne Straße", monierte Weigeldt. Wegen dieser mangelnden Internet-Infrastruktur blieben viele Wünsche noch offen. So etwa der elektronische Medikationsplan, auf den Arzt und Apotheker Zugriff haben. Nach Weigeldts Ansicht gehört eher der elektronischen Patientenakte als der elektronischen Gesundheitskarte die Zukunft. Die Letztere sei technologisch auf dem Stand des letzten Jahrhunderts. Die Akte soll alle relevanten Gesundheitsdaten enthalten und ähnlich wie beim Online-Banking für Patienten und Ärzte einsehbar sein.

Allerdings fehlten hier noch klar definierte Vorgaben, wie diese konkret aussehen soll, bemängelte Weigeldt. "Wir brauchen bei der Patientenakte endlich eine praxistaugliche Lösung, mit der wir Ärzte dann auch vernünftig arbeiten können. Bisher erleben wir hier vor allem Kompetenzgerangel zwischen einigen ärztlichen Organisationen und den Krankenkassen." Entlastung verspreche er sich bei der Verordnung von Hilfsmitteln: "Heute entsteht für jedes zu ersetzende Rollatorrad ein Papierkrieg zwischen Arzt und Krankenkasse." Wichtig sei, dass die Digitalisierung den Workflow des Hausarztes nicht stört. "Da müssen wir aufpassen und selbst aktiv werden, damit so etwas nicht passiert", mahnte Weigeldt.

Durchs Telefon und durch die Hose …

In Baden-Württemberg läuft im April ein telemedizinischer Modellversuch mit Ferndiagnose in Stuttgart und Tuttlingen an. Dieses Thema wurde daher auf dem Hausärztetag ebenfalls angesprochen. Zur Fernbehandlung von Patienten, die der Arzt noch nie persönlich kennengelernt habe, äußerte Weigeldt sich skeptisch. "Die 5 Sinne sind bei der Diagnose immer noch wichtig. Es stellt sich auch die Frage der Haftung, wenn der Arzt etwas übersehen hat." Letztlich bringe diese Form der Behandlung nicht zwangsläufig eine Zeitersparnis, denn Videosprechstunden kosten letztlich genauso viel Zeit wie die normale hausärztliche Sprechstunde. "Das wird kein Massenphänomen, auch weil viele Patienten auf den persönlichen Kontakt nicht verzichten wollen." Das sieht auch Dr. Susanne Fischer so: "Wenn das Wartezimmer voll ist, habe ich keine Zeit für eine Videosprechstunde." Und außerdem gelte immer noch der alte Spruch: "Durchs Telefon und durch die Hose stellt man keine Diagnose."



Autor:
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (8) Seite 32-35