Harninkontinenz ist unter Frauen weit verbreitet. Die Therapie der beiden Hauptformen – Belastungsinkontinenz und überaktive Blase (ÜAB) – orientiert sich am Leidensdruck der Patientin. Für die hausärztliche Praxis sind insbesondere Kenntnisse zu konservativen Therapiemöglichkeiten, wie Verhaltens- und Physiotherapie sowie medikamentöse Optionen, bedeutsam. Anticholinergika gelten bei der ÜAB als Mittel der ersten Wahl.
Die Belastungsinkontinenz ist mit einer Inzidenz von 49 % die häufigere Erkrankung – gefolgt von der ÜAB mit 29 %. Beide Inkontinenzen treten auch als Mischinkontinenz (22 %) auf.
Belastungsinkontinenz: Konservative Therapie
Unter einer Belastungsinkontinenz ist ein Urinverlust bei Belastung des Bauchraums (Husten, Lachen, Heben etc.) zu verstehen. Die anatomische Unversehrtheit der Blasenhalsregion und der proximalen Urethra ist für die Harnkontinenz bedeutsam. Durch Defekte des Halteapparats kommt es zur gestörten Unterstützung der Harnröhre und der urethralen Verschlussfunktion. Der erste Schritt in der Therapie der Belastungsinkontinenz einer postmenopausalen Patientin ist die lokale, vaginale Östrogenisierung. Sie ist inzwischen ein fester Bestandteil der urogynäkologischen Praxis. Eine intravaginale Östrogenapplikation verbessert bei postmenopausalen Patientinnen vaginale Beschwerden und Symptome des unteren Harntrakts – unabhängig davon, ob eine Atrophie der Vaginalhaut vorliegt. Intravaginal verabreichte Östriol-Präparate, gewöhnlich 0,5 mg –
1 mg vaginal täglich für drei Wochen, danach zweimal pro Woche, können eine Harninkontinenz bei postmenopausalen Frauen verbessern oder heilen [1].
Beckenbodentraining sollte ebenfalls am Therapieanfang stehen. Bei einer Belastungsinkontinenz wird ein angeleitetes Training über mehr als drei Monate, kombiniert mit einem Blasentraining, empfohlen. Um die korrekte Beckenbodenaktivität der Patientin zu demonstrieren, können ein apparatives Biofeedbackgerät, ein digitaler Tastbefund oder ein Vaginalgewicht (Vaginalkonen) sinnvoll sein. Ergänzend gibt es die elektromagnetische Stimulation des Beckenbodens durch einen Elektromagnetstuhl, die vor allem für Patientinnen, die ihren Beckenboden nicht spüren und kontrahieren können, vorteilhaft ist. Das Training sollte regelmäßig und dauerhaft sein. Kleine Beckenbodentrainer mit Apps können hier unterstützen (vgl. Abb. 1).
Eine weitere, wenn auch marginale Therapieoption ist die medikamentöse Therapie mit Duloxetin, einem selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. In Studien ließen sich bei einer Tagesdosis von 80 mg Duloxetin positive Effekte in der Behandlung der Harninkontinenz nachweisen. Die Kombination zwischen Duloxetin und Beckenbodengymnastik führt zu besseren Ergebnissen. Die Inkontinenzepisoden vermindern sich unter Duloxetin um 50 – 60 % vs. 20 – 40 % unter Placebo[3]. Die häufigsten Nebenwirkungen einer Duloxetintherapie sind Übelkeit, Schlaflosigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen und Sehstörungen. Die Therapie sollte man einschleichend beginnen,
20 mg 1–0–1 p.o., nach zwei Wochen gesteigert auf 40 mg 1–0–1. Zum Absetzen muss man die Medikation über mindestens zwei Wochen ausschleichen. Zu den Kontraindikationen zählen Leber- und schwere Niereninsuffizienz, entgleister Hypertonus, Therapie mit MAO-Hemmern oder SSRI. Vorsicht ist bei Patientinnen mit Manie, bipolarer Störung, Epilepsie, Glaukom, Antikoagulation oder Thrombozytenfunktionsstörung geboten.
Die Pessartherapie ist ein wichtiger Bestandteil der konservativen Therapie der Belastungsinkontinenz. Urethrapessare gibt es in vielen Designs
(Abb. 2). Das Wirkprinzip ist bei allen ähnlich: Durch den eingeführten Pessar verlagert sich der Blasenhals und verhindert in Belastungssituationen ein Öffnen der oberen Harnröhre. Die Verlagerung kann auch das Eindringen von Urin in die Harnröhre verhindern, was den Effekt auf eine Drang- oder eine Mischinkontinenz begünstigt. Es wird dringend empfohlen, den Pessar jeden Abend herauszunehmen und morgens wieder einzusetzen. Ein vaginaler Stützpessar (Restifem®) wurde vor allem für Frauen nach Entbindung entwickelt. Für die leichten Formen der Belastungsinkontinenz ist die vaginale Lasertherapie mit YAG-Laser günstig, die sich positiv auf eine vaginale Atrophie auswirkt, von den Kassen aber nicht bezahlt wird [8].
Operative Therapie der Belastungsinkontinenz
Bei anhaltender Symptomatik und Erschöpfung der konservativen Therapiemöglichkeiten oder bei Wunsch der Patientin nach einer dauerhaften Therapie ist eine operative Korrektur zu empfehlen (Kasten 1). Die Kolposuspension ist hier die älteste Op. und hat im Langzeitverlauf einen Erfolg von 70 % [2]. Ziel ist die verbesserte Drucktransmission durch Kranioventralverlagerung des Blasenhalses.
Bulking Agents werden zur peri- und intraurethralen Injektion eingesetzt, um die Adhäsivkräfte der urethralen Mukosa zu verbessern. Die Erfolgsrate liegt zwischen 40 und 70 % [1]. Die Methode ist auch in Lokalanästhesie möglich. Auch alloplastische vordere Vaginalbänder werden vor allem bei Belastungsinkontinenz genutzt. Das Band wird um die Harnröhre gelegt und suprapubisch (TVT) oder transobturatorisch (TOT) ausgeleitet. Heute liegt die Langzeitheilungsrate nach TVT-Operation bei über 80 %. Für minimalinvasive Alternativen (Minischlingen) fehlen bislang kontrollierte Studien.
Konservative Therapie der überaktiven Blase
Wichtige Bestandteile der Behandlung der ÜAB sind die Verhaltens- und die Physiotherapie, bei postmenopausalen Patientinnen zusätzlich die vaginale Östrogenisierung. Anhand des Miktionstagebuchs können sowohl die Trinkmenge als auch die Miktionsfrequenz optimiert werden. Bis zu einem gewissen Maß lässt sich durch das Unterdrücken des Drangs mittels Beckenbodenkontraktion (Bladder Drill), Druck auf den Vaginalintroitus oder Ablenkung die Miktion aufschieben und somit die funktionelle Harnblasenkapazität erhöhen. Eine systemische Hormonersatztherapie in der Peri- und Postmenopause ist keine Garantie für eine ausreichende vaginale Östrogenisierung. Häufig wird eine höhere Dosierung benötigt [4].
Falls keine onkologischen Kontraindikationen vorliegen, sollte jeder peri- und postmenopausalen Patientin eine vaginale Östrogenisierung dauerhaft empfohlen werden. Das Beckenbodentraining wird entweder klassisch (Gruppen-/Einzelsitzungen) oder intensiviert durch Elektrostimulations- und Biofeedbackgeräte angeboten. Im Vergleich zum Beckenbodentraining (allein versus BBT mit Biofeedback versus BBT mit Elektrostimulation) erzielt die Elektrostimulation den größten Erfolg bei ÜAB und Harninkontinenz. Für die kontinente Speicherphase und die Miktion sind nicht nur die anatomische Intaktheit der individuellen Organeinheiten (Blase, Urethra), sondern auch das Zusammenspiel als funktionelle Einheit wichtig. Durch die Elektrostimulation der afferenten Fasern des Nervus pudendus werden die sakralen Nervenwurzeln S 2/3 stimuliert, die weitergeleiteten Impulse aktivieren den Sympathikus, der die Speicherphase einleitet. Damit erhöht sich das Blasenvolumen, die Miktionsfrequenz wird verlängert.
Bleiben alle Maßnahmen erfolglos, sollte eine unterstützende Medikation beginnen. Wichtig bleibt aber die Fortführung von Verhaltenstherapie, Beckenbodentraining und vaginaler Östrogenisierung. Die Mittel der ersten Wahl bei überaktiver Blase sind Anticholinergika (vgl. Tabelle 1). Es gibt keine Evidenz dafür, dass manche Anticholinergika den anderen in ihrer Wirkung überlegen sind. Die Blockade der Muskarinrezeptoren der Blase führt zum gewünschten Effekt dieser Wirkstoffe. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen u. a. Mundtrockenheit, Obstipation und trockene Augen. Das Nebenwirkungsprofil kann durch retardierte (1x tgl.) oder parenterale Darreichungsformen (Pflaster, z. B. Kentera®) verbessert werden. Eine langfristige Behandlung (> 3 Monate) sollte nur bei eindeutiger Verbesserung der klinischen Symptomatik stattfinden. Eine Verstärkung der anticholinergen Wirkung durch Antiparkinsonmittel, Antihistaminika, Neuroleptika und trizyklische Antidepressiva sollte beachtet werden. Zu den Kontraindikationen zählen u. a. Engwinkelglaukom, Demenz und Leberfunktionsstörung. Bei Anticholinergika sollte man gerade bei älteren Menschen auf die Passage durch die Blut-Hirn-Schranke achten, um möglichst wenig zerebrale Nebenwirkungen zu verursachen. Tolterodin oder Trospiumchlorid sollten bei älteren Patientinnen bevorzugt zum Einsatz kommen.
Mirabegron (Betmiga® 50 mg ret.) ist ein selektiver Agonist des ß3-Adrenorezeptors und führt an der Blase zur Relaxation der glatten Muskulatur und zur Vergrößerung der funktionellen Harnblasenkapazität. Es gibt keine Evidenz für die Überlegenheit von Mirabegron in Symptom- oder Lebensqualitätsverbesserung gegenüber Anticholinergika. Über Sicherheit und Wirksamkeit einer kombinierten Behandlung von Mirabegron und einem Anticholinergikum liegen einzelne Studien mit gesteigerter Wirksamkeit und günstigem Nebenwirkungsprofil vor [5]. Die Kombination wird jedoch in der Fachinformation nicht empfohlen. Langzeitdaten bezüglich der kardiovaskulären Sicherheit sind noch nicht vorhanden. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Tachykardie und Harnwegsinfektionen. Vorsicht ist bei der Kombination mit CYP3A-Inhibitoren geboten. Kontraindiziert ist Mirabegron bei entgleistem Hypertonus, Schwangerschaft und im Kindesalter.
Operative Therapie der überaktiven Blase
Botulinumtoxin hemmt langanhaltend die Erregungsübertragung von Nerven auf die Muskelzelle [6]. Botulinumtoxin A ist zugelassen zur Therapie der Detrusorüberaktivität bei unzureichendem medikamentösem Therapieerfolg mit Anticholinergika [7]. Die mittlere Wirkdauer beträgt neun Monate. Selten können Blasenentleerungsstörungen mit der Notwendigkeit eines intermittierenden Katheterismus auftreten. Kontraindiziert ist die Botoxinjektion bei Gerinnungsstörungen, Harnwegsinfektionen und bekannter Unverträglichkeit. Vorsicht ist bei Myasthenia gravis geboten. Eine Botoxinjektion in Lokalanästhesie ist gut möglich.
- Verbesserung der Drucktransmission durch Kranioventralverlagerung des Blasenhalses
- Rekonstruktion der vaginalen Hängematte
- Ersatz der pubourethralen Fixierung der Urethra
- Verbesserung der Adhäsivkräfte der urethralen Mukosa
Die sakrale Neuromodulation (SNS) ist bei neurogener Detrusorüberaktivität indiziert, die auf Medikamente nicht ausreichend anspricht. Es wird eine Elektrode in die Nähe der sakralen Nervenwurzeln S2/S3 implantiert und mittels externen Stimulators zwei Wochen getestet. Bei Symptomlinderung ist ein subkutaner Impulsgeber zu implantieren. Zu den Indikationen zählen ÜAB, nicht ob-
struktiver Harnverhalt und Stuhlinkontinenz. Kon-
traindiziert ist die SNS bei anatomischen Veränderungen am Os sacrum, einer Blasenkapazität unter 150 ml, bei Schwangerschaft und im Kindesalter. Bei Therapieversagen und unverändert hohem Leidensdruck gelten Blasenaugmentation, Harnblasenersatz oder permanente Harnableitung als Ultima Ratio.
Fazit
Die Therapie der Harninkontinenz dient vor allem einer besseren Lebensqualität der Patientin. Bei der Therapiefindung sollte man alle Nebendiagnosen, medikamentösen Therapien und Eingriffe berücksichtigen. Nach wie vor gilt der Grundsatz: "konservativ vor operativ".
- Bei Belastungsinkontinenz sind vor allem konservative Methoden gefragt, wie etwa Beckenbodentraining.
- Als Mittel der ersten Wahl bei ÜAB gelten Anticholinergika.
- Keines der auf dem Markt befindlichen Präparate ist dem anderen in der Wirkung überlegen.
Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert
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Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (4) Seite 16-19